Der Kanzler muss die Vertrauensfrage stellen, obwohl Misstrauen vorherrscht. Nicht nur in der Politik. Auch gesellschaftlich trauen viele einander nicht mehr über den Weg. Was passiert, wenn Vertrauen fehlt? Warum es ohne Vertrauen nicht funktioniert und wie man Vertrauen wecken könnte – dazu spricht die Berliner Theologin Magdalena Kiess im nächsten Wort zum Sonntag.
Samstags ab 17 Uhr können Sie an dieser Stelle den Sendetext lesen.
Guten Abend,
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Sagt man doch so. Und irgendwie ist es ja auch so `n ganz menschliches Bedürfnis, alles messen, korrigieren und – ja – auch kontrollieren zu wollen. Wir sehnen uns halt nach Sicherheit.
Jetzt ist aber das "Vertrauen" in aller Munde. Das lässt sich ja nicht so wirklich messen.
Außer wohl bald im Bundestag. Wenn der Bundeskanzler dort die Vertrauensfrage stellt, bescheinigen die Abgeordneten ihm namentlich ihr Vertrauen – oder nicht. Das Ergebnis? Erwartbar bei diesem eher taktischen Manöver. Vertrauen wurde gebrochen – auf vielen Ebenen.
In unserem normalen Alltag gibt’s keine Stimmkarte für den Vertrauensstatus. Und trotzdem merkt man, wenn es fehlt – und das schmerzt! Hier in Berlin bleiben mittlerweile viele lieber unter sich. Aber was bedeutet das für unsere Gesellschaft mit ihren vielen Kulturen, Religionen und politischen Strömungen, wenn wir einander immer häufiger sagen: Dir trau ich nicht mehr über den Weg?!
Vertrauen ist ein scheues Reh. Wie schnell ist es weg!
Dabei ist es so wichtig, dass ohne – in der Politik und genauso in unserem täglichen Zusammenleben gar nichts geht.
Es beginnt schon damit, wenn ich mich mit dem Fahrrad in die Berliner Rush Hour wage und auf die Vernunft aller Verkehrsteilnehmer vertrauen muss.
Und es gipfelt in den ECHTEN Herausforderungen des Lebens. Die wirklich wichtigen Dinge im Leben können wir nicht kontrollieren. Und ALLEINE lösen können wir sie schon gar nicht.
Ich denke an den Familienvater, der sich mit seiner plötzlichen Herzkrankheit in die Hände der Ärztinnen und Ärzte begeben muss. Vor der OP schreibt er: "Das wird gutgehen – darauf vertraue ich".
Oder an die alte Dame, die jetzt schweren Herzens in ein Seniorenheim zieht – auch noch in einem anderen Stadtteil. "Wird schon werden", sagt sie.
Ich denke an flüchtende Menschen, die auf Sicherheit an einem anderen Ort vertrauen müssen.
Und ich denke an uns alle. Wir dürfen jetzt das Vertrauen in unsere Demokratie nicht verlieren. Bald können wir wahrscheinlich wieder wählen.
Vertrauen lässt sich nicht anordnen: "Jetzt vertrau doch Mal!"
Aber es lässt sich aufbauen und mir gefällt die Idee, dass man Vertrauen wecken kann. Dass es irgendwo in mir schlummert und ich beherzt die Decke der Verzagtheit und der Verdächtigung wegziehen kann, damit es wach wird, das Vertrauen. Damit ich handlungsfähig bleibe, trotz Angst oder Unsicherheit.
Mir hilft dabei mein Glaube. Ich vertraue einem Gott, der da ist und es gut meint. Er beantwortet die Vertrauensfrage uns gegenüber mit einem eindeutigen Ja. Das macht mir Mut. Mut, auf andere Menschen zuzugehen und mich mit ihnen auszutauschen. Auf dass Vertrauen wächst und wieder heilt, was zerbrochen ist.
Ich formuliere also um: Kontrolle ist gut, Vertrauen ist – die Basis. Darauf vertraue ich. Worauf vertrauen Sie?
Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Nacht.
Mitteldeutscher Rundfunk (MDR)
Redaktion: Susanne Sturm
Johannes Rogge
Senderbeauftragter für Das Wort zum Sonntag für den rbb
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