Guten Abend!
Krankenhaus. Dass ich gerne ins Krankenhaus gehe, können sich manche gar nicht vorstellen. Lange Flure, funktionales Licht, viele Türen. Was noch? Warten, lange warten und beklommen warten und dieser typische Geruch. Ich gehe trotzdem gerne ins Krankenhaus, weil ich da arbeite …. als Seelsorgerin.
Ich hab in meinem Büro eine Postkarte mit einem Cartoon. Auf dem sieht man den typischen Krankenhausseelsorger, der so zum Patienten im Bett sagt:
„Guten Tag!, ich wollte mich vorstellen, ich bin von der Krankenhauseels…“ – und er kann gar nicht zu Ende sprechen, weil der Patient ihn mit schreckgeweiteten Augen unterbricht und fragt: „Wie, ist es schon so weit?“
Das ist zum Schmunzeln. Aber natürlich nur teilweise. Es stimmt, als Pfarrerin bin ich da, wo Menschen sterben, und vorher noch, wo die schwere Diagnose im Raum steht und die Frage, wie man denn jetzt bitte damit umgehen soll, wie es denn jetzt noch weitergehen kann mit dem Leben? Zugleich ist Krankenhausseelsorge auch der christliche Auftrag, einfach für andere da zu sein - in welchen Momenten auch immer.
Ich war letztens auf Station und die Schwester sagte zu mir: „Geh doch vielleicht mal zu Herrn Müller rein!“ (Sein Name war natürlich anders, ich benutze jetzt nur den, um die Geschichte zu erzählen.) „Das tut dem gut...“ Ich sagte: „Ja, gerne gleich, in einer Stunde oder so.“ Als ich dann Zeit hatte, suchte ich in der Stationsliste nach Herrn – nennen wir ihn - Meier, ich hatte einen falschen Namen im Kopf. Es gab auch einen Patienten Meier. Also, wir sprachen – über die Firma , über die alternde Mutter und die Frage, wie es mit ihrer Versorgung weiter geht. Beide Themen waren verwoben und hatten eine lange Geschichte.
Als ich wieder rausging, fragte mich die Schwester nach Herrn Müller – und ich war bei Herrn Meier gewesen, der so gar nicht bedürftig gewirkt hatte, aber dennoch froh war über die Gelegenheit zum Gespräch.
Ich mag diese kleine Episode, wie sie mir so viel über Seelsorge sagt. Zeit nehmen und Hinschauen: Da schau, hier, das ist mein Leben. Das hier war gut, das hier hat nicht geklappt, an diesem hänge ich noch und kann es nicht hinter mir lassen…
Wenn ich am Bett sitze, schaue ich mit dem Menschen da im Bett das Leben an, das so eigenartig draußen geblieben ist, außerhalb des Krankenhauses. Wir ertragen, dass für Manches keine schnelle Lösung da ist, und wir erkennen, dass momentartig auch Kraftvolles aufscheint – für mich sind das Gottesmomente, so nenne ich das.
Das passiert in der Krankenhausseelsorge jeden Tag, da bin ich eine unter Hunderten, in vielen Krankenhäusern in Deutschland. Mitten im Klinikalltag und Stationsstress, im Fachkräftemangel und in der Überforderung. Und die PatientInnen? Sind raus aus dem normalen Leben. Man muss wildfremden Leuten sagen, ob man zur Toilette gegangen ist. Und erst recht all das, was dann noch mit dem Kranksein an sich zu tun hat.
Der „irrtümlich beseelsorgte“ Herr Meier war froh, dass er erzählen konnte. Denn es war mit ihm so, wie es doch eigentlich ist: wir tragen unsere Geschichten in uns und vieles ist auch gar nicht so einfach, wir kriegen das auch irgendwie hin, entwickeln unsere Strategien, haben Hilfe, eine stabile Seele. Aber trotzdem hinterlässt das Spuren. Und ist Teil von mir.
Im Krankenhaus, in der Seelsorge, ist meine Erfahrung, dass Erzählen und Zuhören eine heilende Kraft entwickelt, und das ist ein echtes kleines Wunder.
Ich kenn das selber. Wie sich plötzlich mein Blick auf meine Geschichte verändert, weil ich sie erzählen kann. Weil da jemand zuhört, mit einer Hingabe zuhört, und nicht einfach nur so.
In der Seelsorge hat diese Hingabe etwas mit dem Glauben zu tun - meinem Glauben, dass Gott an jedem und jeder einzelnen von uns interessiert ist. Und deswegen ist für jede einzelne Geschichte Platz in der Seelsorge. Ob ich nun Meier oder Müller oder anders heiße.
Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag.
Westdeutscher Rundfunk (WDR)
Redaktion: Christiane Mausbach