Es ist Fastenzeit. Na Prost Mahlzeit! Verzichten mussten wir ja schon das ganze letzte Jahr. Und jetzt kommt auch noch die Kirche mit Fasten daher. Für Genussmenschen wie mich ist das eh schwer. Ich muss das Wort Fasten nur denken und fühl mich quasi postwendend genötigt, Schokolade zu essen. Aber wenn es gelingt, dann ist es – kaum zu beschreiben - vielleicht ein bisschen so: Wenn ich zu Besuch in einem Kloster bin, erzählen mir die Ordensleute, die Nonnen oder Mönche was sehr Erstaunliches. Fast immer, wenn ich frage, wie es für sie ist, auf so Vieles zu verzichten im Kloster, Armut ist ja eines der Gelübde, das sie ablegen, höre ich: Verzichten macht frei. Nicht, dass es leicht wäre, so reduziert zu leben. Verzicht bleibt nun mal Verzicht. Aber es gibt ein großes Geschenk dafür. Das hör ich von vielen Ordensleute. Der Verzicht auf Möglichkeiten führt zu einer ganz anderen Art von Freiheit. Und ein bisschen so geht es mir beim Fasten. Fasten ist für mich wie eine Art Mini-Klosterzeit, also wirklich mikromini, aber immerhin!
Was passiert da?
Fasten holt mich aus Gewohntem raus. Die üblichen Ablenkungsstrategien, was weiß ich, Zigaretten gegen Liebeskummer, Rotwein zur Entspannung, Schuhe und Schokolade zur Belohnung – lass ich weg. Schwer genug. Und noch schwerer: Wenn ich aufhöre, mich abzulenken, fühl ich alles direkter. Autsch, nicht schön. Aber die Chance ist: Ich kann mich auch viel direkter damit auseinandersetzen. Dinge viel besser klären. Und dann geht es ja noch weiter. Abseits meiner ausgetretenen Pfade betrete ich unbekanntes Gelände. Muss mich neu orientieren. Der Blick wird weiter. Und ich nehme viel feiner, reicher, wacher wahr. Alles. Auch, was schön ist und wie schön es ist. Fasten, so erlebe ich es, ist Stille für das ganze System. Eine Stille, die sensibilisiert und feinfühlig macht. Und ich bin überzeugt: Wer auf diese Weise mehr zu sich kommt, kann umso mehr bei seinen oder ihren Mitmenschen sein. Eine Erfahrung der christlichen Tradition, und vieler anderer Traditionen: Fasten macht offen. Für eigene Nöte und für die um uns herum.
Es geht nicht um Zwang und es geht nicht um Selbstoptimierung, keine spirituelle Magersucht. Es geht um eine Chance.
Letzte Woche am Aschermittwoch hat die christliche Fastenzeit angefangen und dauert bis Ostern. 40 Tage. 40 Tage brauchen die wichtigen Dinge in der Bibel. Eine große Chance für einen kleinen Veränderungsprozess. Es muss ja nicht der klassische Verzicht auf feste Nahrung sein. Wir könnten z.B. - Klima-Fasten, Macht-Fasten, Hass-Fasten … - wenn wir etwas brauchen, um mit den Herausforderungen dieser Zeit gut umzugehen, dann sind es Umwandlungen. Von Sichtweisen. Von zerstörerischen Zeitgeistern, Lebensweisen, vermeintlichen Selbstverständlichkeiten.
Fasten wird Welt und Menschheit nicht retten. Aber es könnte eine Möglichkeit sein, anzufangen. Es könnte ein Anfang sein, unseren Geist zu entschlacken, den Blick zu klären und Mitgefühl zu üben. Denn das wirkliche große Fasten liegt noch vor uns. Wir werden uns einschränken müssen. Zu Vieles haben wir schon zerstört, verbraucht, aus dem Gleichgewicht gebracht. Das wirkliche große Fasten liegt noch vor uns. Aus Verantwortung gegenüber unseren Kindern. Aus Ehrfurcht vor der Schöpfung. Damit die Schöpfung auch für kommende Generationen noch genug zum Leben bereithält.
Norddeutscher Rundfunk (NDR)
Redaktion: Eberhard Kügler