Der Sommer war groß - und zugleich hat er sich irgendwann bedrohlich angefühlt.
Ich mag den Sommer. Ich mag es, wenn es heiß ist, die Tage lang sind, fast endlos. Wenn sie vor Hitze zähflüssig verstreichen - und die Lebensgeister am Abend spät, wenn es etwas kühler wird, erwachen. Oft zu einer Uhrzeit, zu der man im Winter längst eingeschlafen ist. Ich mag den Chorgesang. Ich mag es, Werke von Bach, Händel, Mendelssohn einzustudieren, Wochen und Monate an den Feinheiten zu feilen. Am Ende steht ein Erlebnis für uns Sängerinnen und Sänger - und für ein Publikum, das merkt: Der Chor hat sich wirklich in das Werk reingeschafft, die Textzeilen beginnen zu leben, so wie sie interpretiert wurden.
Zu viel schönes Wetter?
In diesem Jahr hat mein Chor den „Elias“ von Mendelssohn-Bartholdy einstudiert. Das Oratorium beschreibt eine Dürre - es in diesem Jahr 2022 einzustudieren war eine besondere Erfahrung.
Im Frühjahr, im Sommer: Unsere Schulferien lagen spät, der Juni war warm und trocken, der Juli war unerbittlich heiß. Auch im August: Hitze, Trockenheit. In weiten Teilen Deutschlands hat es kaum geregnet, die Medien berichteten von Dürre. In meinem Heimatdorf regnet es besonders selten. Wenn sich mal eine kleine Regenwolke gebildet hat, dann regnet sie an westlich gelegenen Hängen ab, in die Senke meines Dorfes dahinter fällt kein Tropfen Regen. Und der Chor schwitzt im Gemeindehaus und singt aus dem Elias: „Hilf Herr! Willst Du uns denn gar vertilgen? Die Ernte ist vergangen, der Sommer ist dahin, und uns ist keine Hilfe gekommen!“
Ein einzelner sonniger Tag ist kein Zeichen für den Klimawandel. Aber ein Viertel Jahr ohne nennenswerte Niederschläge schon. Ein Hochwasser, wie das an der Ahr im vergangenen Jahr, erkennt jede und jeder sofort als Extremwetter-Ereignis. Eines, das sich, begünstigt durch den Klimawandel, in Zukunft häufiger ereignen könnte, sagt die Forschung. Eine Reihe schöner Tage ist dagegen erst einmal keine Bedrohung - zumindest keine fühlbare. Ferien ohne Regen sind für die Kinder großartig! Wir erkennen „schönes“ Wetter nicht auf den ersten Blick als das Extremwetter, das es tatsächlich ist. Dieses Jahr sind die Bauern mit ihrer Ernte noch einmal davongekommen (1). Aber mehrere Dürresommer hintereinander würden auch hier die Erträge senken. Wer über die Felder spaziert, sieht ausgetrocknete Oberflächen, zentimeterdicke Risse in der Erde. Das sah früher so nicht aus. Wer auf dem Land lebt und es täglich sieht, fragt sich mit Sorge: Wohin soll das führen? Ohne gute Weizenernten, wie sie rund um mein Dorf eingefahren werden, kein Brot.
Der Stimmen setzen nacheinander ein: „Die Tiefe ist versieget. Und die Ströme sind vertrocknet. Dem Säugling klebt die Zunge am Gaumen vor Durst. Die jungen Kinder heischen Brot - und da ist niemand, der es ihnen breche.“
Rechthaberei statt Ursachenbekämpfung
In der biblischen Elias-Erzählung und damit auch im Oratorium ist die Ursache der Dürre klar: Es ist der Unglaube. Wird nur endlich wieder der richtige Gott angebet, dann regnet es auch. So blicken wir heute nicht mehr auf die Welt. Und doch entdecke ich eine kleine Parallele: Im Oratorium wird mit sehr schön zu singenden Chören ein Glaubenskrieg beschrieben. Anstatt zu tun, was man kann, wird erst einmal gestritten. Welcher Gott soll angerufen werden? Baal - oder der Gott des Volkes Israel? Zeit vergeht und wird genutzt für pure Rechthaberei. Die Anhänger der verschiedenen Glaubenssätze beharken sich gegenseitig - es wird sogar getötet. An der Sache selbst, der Beseitigung der Dürre, wird erst einmal nichts gemacht.
Wir heute wissen, woran die jetzige Erwärmung des Klimas liegt: am massenhaften Ausstoß von Treibhausgasen durch Menschen. Wir wissen, was wir kurzfristig tun könnten, um die menschengemachte Klimakatastrophe einzudämmen: so wenig wie möglich weitere Treibhausgase freisetzen. Jeder Beitrag zählt, Hauptsache, er kommt zügig! Aber auch unsere heutige Gesellschaft führt erst einmal Streit an Nebenschauplätzen: Sollen doch die anderen mit Klimaschutz beginnen! Nicht wir, nicht ich. Erst die Chinesen. Und die US-Amerikaner. Und die Industrie. Und Windräder sind super - so lange sie nicht in der Nähe meines Ortes stehen.
Wolken!
Ende September hat mein Chor den Elias aufgeführt. Ein paar Wochen vor der Aufführung waren wir auf einem Probenwochenende. Aus dem Probensaal hat man einen herrlichen Blick über das Mittelrheintal und Weinberge an den Hängen und den Rhein, der wegen der langen Trockenheit wenig Wasser führt. Am Himmel sind Wolken. Der Hochsommer ist vorbei - aber geregnet hat es trotzdem schon lange nicht mehr. Der Schlusschor des ersten Teils wird geprobt. Es liest sich dahinkonstruiert - aber ich versichere: Es war so! Der Chor singt: „Dank sei Dir Gott, Du tränkest das durst’ge Land! Die Wasserströme erheben sich, sie erheben ihr Brausen. Die Wasserwogen sind groß und brausen gewaltig.“ Da beginnt es draußen zu regnen. Ein Landregen, stundenlang. Endlich Regen. Gott sei Dank.
(1) https://www.bmel.de/DE/themen/landwirtschaft/pflanzenbau/ackerbau/ernte-2022.html