Bild: DEKT/Jenna Dallwitz
Treffen einer kritischen Öffentlichkeit
DEKT und re:publica
26.05.2019 08:35
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Die evangelischen Kirchentage sind immer ein Spiegel ihrer Zeit. Die engagierte, christlich-evangelische Gemeinde trifft sich nicht nur zum Singen und Beten, sondern auch zum Diskutieren, Streiten und Aufzeigen von Wegen. Oft mit Podien, die hochkarätig mit Menschen aus Politik und Gesellschaft besetzt sind. Und – seinerzeit bisweilen belächelt – voll mit Rauschebärten, Jesuslatschen, Jutetaschen.

 

Eine andere kritische Öffentlichkeit trifft sich nicht in Jesu Namen – sondern weltlich. Angefangen hat die re:publica als eher kleine Veranstaltung von Nerds und Netzaktivistinnen und Aktivisten. Inzwischen ist sie mehr als bloß ein Branchentreffen, zu dem viele Netz- und Medienschaffende nach Berlin-Kreuzberg reisen. Hier trifft sich die Netzgemeinde zum Diskutieren, Streiten, Aufzeigen von Wegen. Oft mit Podien, die hochkarätig mit Menschen aus Politik und Gesellschaft besetzt sind. Und – bisweilen belächelt – voll mit Hipsterbärten, Ladekabeln, Club-Mate-Flaschen.

 

Kirchentag und re:publica – es gibt Ähnlichkeiten und Unterschiede. Und vielleicht ist mein Blick auf die Programme, den Rahmen der Veranstaltungen und, ja, das Catering, hier und da subjektiv gefärbt. Auch meine Erinnerung spielt eine Rolle: Ich bin in diesem und im vergangenen Jahr nur auf der re:publica gewesen – und während ich in meiner Jugend keinen evangelischen Kirchentag verpasst habe, habe ich zuletzt den Kirchentag auch mal ausfallen lassen. Man kann aber über beide Events reden, ohne selbst alles gesehen zu haben – was ohnehin bei beiden Großveranstaltungen unmöglich ist. Zu groß die Fülle, zu umfangreich das Programm.

 

Das Programm.

Klar – der Deutsche evangelische Kirchentag (kurz: DEKT) ist eine weit größere Veranstaltung als die re:publica. Um die 150.000 Dauer- und Tagesbesucher suchen alle zwei Jahre nach Anregung, Diskurs, Unterhaltung. Dafür sorgt ein Komitee. Das wird nicht von der Evangelischen Kirche in Deutschland oder einer Landeskirche gestellt, sondern der DEKT ist eine Laienveranstaltung. Das evangelische Fußvolk knöpft sich quasi Kirchenleitung und Politik vor und befragt sie auf Podien und in Diskussionsrunden.


Auch wenn die re:publica größenmäßig nicht mithält: Sie ist eine Großveranstaltung, die seit ihrer Entstehung 2007 jährlich stark gewachsen ist. Damals haben sich rund 700 Menschen getroffen – inzwischen sind es rund 20.000, die nach Berlin kommen. Organisiert wird sie von den Bloggern von Spreeblick und netzpolitik.org.

 

Beide Veranstalter geben ihren Treffen jeweils ein Motto mit, eine Brille, durch die auf die Themen der Zeit geschaut wird. Erstaunlich oder nicht: Das erste Wort der Einladung zum Kirchentag 2019 in Dortmund ist Digitalisierung:

 

Digitalisierung, Arbeit, soziale Teilhabe und Europa. Das sind große thematische Schwerpunkte des 37. Deutschen Evangelischen Kirchentages, der vom 19. bis 23. Juni 2019 in Dortmund stattfindet. Die Themen des Dortmunder Kirchentages wurden von der Präsidialversammlung und dem Präsidium des Kirchentages verabschiedet. Umgesetzt werden die Themen in rund 50 Projekten um die biblische Losung „Was für ein Vertrauen“ (2. Könige 18,19).

 

Umgekehrt Vertrauen: Heutzutage gerade ein Thema in der Netzwelt. Wem kann man vertrauen? Jeder kann ins Internet schreiben, was er will. Und gerade diejenigen, die ein großes Missionsbedürfnis mit kruden Botschaften haben, schreiben besonders fleißig und kommentieren im Social-Web besonders aggressiv. Und so scheint es im Netz beispielsweise, als gäbe es tatsächlich Forscher, die am Klimawandel oder seiner menschengemachten Ursache zweifeln – obwohl das kaum der Realität entspricht. Wem also kann man vertrauen… Die Macher der re:publica haben eine einleuchtende Idee: Nicht der knalligen Überschrift, sondern dem Kleingedruckten. In der Ankündigung heißt es:

 

Die dreizehnte Ausgabe der Konferenz (einige sagen Festival) findet (…) in der STATION Berlin zusammen mit der MEDIA CONVENTION Berlin statt. Einmal mehr und in real life bringen wir eine diverse Gruppe von Menschen zusammen: die digitale Gesellschaft. Wir werden reden, wir werden debattieren, wir dürfen streiten und mehr denn je werden wir IN DIE TIEFE gehen. Denn die Dinge sind kompliziert. Die Dinge sind komplex. Die Dinge wollen durchdacht, diskutiert und von verschiedenen Seiten betrachtet werden. Darum widmen wir die (…) re:publica der Langform, dem Kleingedruckten, den Fußnoten, der Kraft der Recherche, der Kraft der Kontroverse und der Dringlichkeit, die Themen, die uns spalten (oder vereinen!) NICHT zu vereinfachen. Das Motto lautet: tl;dr — Internet-Slang für too long; didn’t read – zu lang, habe ich nicht gelesen…

 

In ihrer Ausrichtung sind sich re:publica und Kirchentag durchaus ähnlich: Kritische Fragen stellen, Nachdenken, Antworten suchen, diskutieren – und nicht sofort „Ich hab’s!“ rufen. Das passiert auf hochkarätig besetzten Podien: Auf der re:publica geben viele Expertinnen und Experten, manchmal sogar Intendanten der Rundfunkanstalten und Bundesministerinnen Auskunft, der Bundespräsident hat in diesem Jahr die Veranstaltung eröffnet.

Und auf dem Kirchentag im Juni sieht man sich auf den evangelischen Podien wieder: Beim vergangenen Kirchentag war ein Publikumsmagnet ein Podium, auf dem sogar der ehemalige US-Präsidenten Barack Obama saß.

 

Daneben gibt es natürlich hier wie da kleine Runden, Foren, Workshops, wo die Besucher auch selbst zu Wort kommen. Und auch im Programm der eher unreligiösen re:publica wird als Veranstaltungstitel die Bibel, Jesus selbst, zitiert:

„Führe mich nicht in Versuchung: Jugendschutz zwischen Screentime-Limits und Social Media Overkill“.

 

Umgekehrt gibt es auch auf dem Kirchentag Themen, die viele den Evangelen nicht zugetraut hätten. Anscheinend ist das Image der Protestanten noch nicht überwunden – nämlich etwas verklemmt zu sein, vergeistigt… Weshalb sonst hätte dieser Programmpunkt des Kirchentages schon vorab zu einem kleinen Social-Media-Hype geführt, bei dem sich die Netzwelt fragt, ob die Frommen jetzt übergeschnappt sind:

„Workshop im Zentrum Geschlechterwelten: Vulven malen“

 

Der Rahmen (oder: Wer sind wir?)

Beide Veranstaltungen, re:publica und Evangelischer Kirchentag, sind im Kern einer Art Sozialethik verpflichtet. Eine Gesellschaft will gestaltet werden – und es treffen sich Menschen, die über die Regeln dieser Gesellschaft nachdenken, die mitgestalten und sich einbringen wollen. Beide Male zutiefst demokratisch. Aber das „WIR“ ist in dem einen Fall geklärt – im anderen doch ziemlich offen.

Beim Kirchentag treffen sich evangelische Christen. Das ist ein bunter, diverser Haufen. Nicht nur das Klischee aus Rauschebart, Jesuslatsche und Jutetasche. Ein kleiner Ausschnitt wird sicher den Workshop „Vulven malen“ besuchen, andere besuchen Veranstaltungen, in denen über die Bewahrung der Schöpfung geredet wird. Das Großthema der 1980er Jahre, wo Kirchentage tief in die Politik eingewirkt haben, das ist heute mit Macht zurück. Aber auf dem Kirchentag stehen auch Menschen uniformiert am Stand der Militärseelsorge. Und alle definieren sich als Christen. Der Kirchentag 2019 wird gerahmt vom

„Eröffnungsgottesdienst vor großer Kulisse am Ostentor Dortmund“ …

… und dem Schlusssegen im Abschlussgottesdienst. Alles geschieht im Namen Gottes. Und Christen wissen sich selbst in einem großen Strom durch die Zeiten und Orte: Nicht ich allein muss die Welt retten oder zumindest bewahren. Wir gemeinsam tun es. Jeder an seiner Stelle, jede und jeder so gut wie er und sie kann. Und das Versagen findet Vergebung. Das macht demütig einerseits – und frei andererseits. Und es hat eine (wie ich finde: schöne) Form gefunden in der Liturgie der Gottesdienste.

Das fehlt der re:publica. Die beginnt mit einer Veranstaltung auf der Hauptbühne, die heißt

„Welcome everybody – it’s re:publica and MEDIA CONVENTION Berlin time!“.


Für den Kirchentags-Kenner wirkt dieses „Welcome“ reichlich formlos. Ein Willkommensgruß dauert nicht lange – und dann wird ausführlich übers Programm geredet, was gar nicht nötig wäre, jeder hat ohnehin die Programm-App auf dem Handy installiert. Die gibt es natürlich auch für den Kirchentag, daneben aber, immer noch, das dicke, gedruckte Programmbuch.

Bei der re:publica nun ist es einigermaßen unklar, wer sich eigentlich zusammengefunden hat. Es sind Netzaffine, viele Medienleute, die ihr Geld mit Internet-Inhalten verdienen. Als Blogger, Autoren, Aktivisten oder gestandene Redakteure aus allen möglichen großen und kleinen Sendern. Klar – auch hier gibt’s das Hipster-mit-Club-Mate-Stereotyp. Das trifft aber schon längst nicht mehr auf alle Teilnehmer des Festivals zu.

Augenfällig wurde das bei der re:publica im Jahr 2018. Die Bundeswehr hatte vor den Toren der Hallen im öffentlichen Raum für Karrieren im Heer geworben. Das missfiel den Veranstaltern: „Die Bundeswehr hat versucht die re:publica zu hacken“, hieß es. Diese Meinung teilten nicht alle. Da haben die Veranstalter mit Bundesministerien zusammengearbeitet, Minister auf den Bühnen gehabt – aber bei der Bundeswehr sollte das nicht gelten? Es kann doch nur gut sein, wenn die Bundeswehr bei den kritischen Netz-Youngsters Hilfe sucht, statt bloß ein Verein von rechten Waffennarren zu sein, der sie wohl in vielen Köpfen nach wie vor ist. Es hat jedenfalls einigen aufgestoßen, dass in ihrem Namen geredet wurde – ohne gefragt worden zu sein.

Deutlich ist – auch in Berlin trifft sich eine kritische Öffentlichkeit. Aber ihr innerer Zusammenhalt ist loser. Vielleicht auch beliebiger: Mein Evangelischsein hat mehr mit meiner Person zu tun als mein Beruf als Medien-Schaffender. Ich bin auch Rheinhessen-Bewohner, Ostsee-Urlauber, BMW-Fahrer – jeder Mensch gehört zu diversen Gruppen ohne inneren Zusammenhalt. Das ist, finde ich, durchaus eine Schwachstelle der Digitalmesse. Die genau deswegen offenbar wird, weil die re:publica insgesamt doch sehr „kirchentagig“ wirkt.

 

Das Catering

Kein Mensch lauscht durchgehend Diskussionsforen. Irgendwann meldet sich der Hunger. Und irgendwann ist auch einfach Feierabend. Keine große Kategorie – aber fürs Wohlfühlen nicht unerheblich.

Der Kirchentag ist auf seinem Gelände konsequent: Es wird so viel übers bessere Leben, das verantwortliche Handeln, geredet, dass es eigenartig wäre, wenn das bei der Verpflegung von 150.000 Menschen plötzlich keine Rolle mehr spielte. Beim DEKT spielt es aber eine große Rolle. Auf Nachhaltigkeit wird geachtet; es gibt beispielsweise gläserne Restaurantküchen, die von beeinträchtigten Menschen gewuppt werden. Gutes Tun noch beim Mittag essen – und die langen Schlangen großmütig ertragen.

Eine Mittagspause mit Freunden und Kollegen bei einer kleinen Flasche Bier und einer großen Portion Pommes im Biergarten, dem bin ich auch nicht abgeneigt. Ich mag das. Beim Kirchentag geht das nicht – es wird kein Alkohol ausgeschenkt.

Bei der re:publica werden die Ergebnisse von den Podien durchaus bei einem Bier noch einmal durchgehechelt. Das macht aus der Digitalmesse noch lange keine Säufer-Veranstaltung, lässt aber die Entscheidung bei den einzelnen Besuchern. Natürlich gibt es auch alkoholfreie Club-Mate. So viel Klischee muss wohl sein.

Und während – mein Empfinden – sich der Kirchentag irgendwann in die Kneipen der Stadt verteilt, bleiben bei der re:publica mehr Besucher in den Veranstaltungsräumen am Kreuzberger Gleisdreieck – wenn sich die Location langsam in einen Club verwandelt. Angeblich bin zu Morgengrauen – aber das kenne ich nur aus Erzählungen.

 

Ein Fazit?

Der Kirchentag hat das große Plus der christlichen Verbundenheit, der vertrauten Form, der bewusst ausgehaltenen Diversität der Christen. Die re:publica kann vielleicht entspannter feiern – und Berlin Kreuzberg ist für viele jüngere Teilnehmer sicher spannender als Dortmund. So viel ist aber klar: Die Kirchentage haben eine starke Konkurrenz bekommen. Und das ist kein schlechtes Zeichen – Gute Diskussionen führen dürfen selbstredend auch andere als die Protestanten. Was die Programme angeht, stehen sich beide Veranstaltungen jedenfalls darin in nichts nach: Beide sind Treffen einer kritischen Öffentlichkeit, die sich hörbar in den gesellschaftlichen Diskurs einbringen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.