Erinnert an den Anfang

Dorfkirche Ulbrichshalben

Ulrike Greim

Erinnert an den Anfang
Rundfunkgottesdienst aus der Dorfkirche Ulrichshalben
11.07.2021 - 10:05
09.07.2021
Gregor Heidbrink
Über die Sendung

Mitwirkende: 

Predigt: Superintendent Dr. Gregor Heidbrink

Liturgie: Pfrarrerin Christin Bärwald

Lektorin: Sophia Gruppe

Musikalische Leitung und Orgel: Fabian Kiupel

Violine: Dorothea Gruppe 
Querflöte: Elisabeth Merschdorf  
Testimonial: Andreas Schuchert und Jessica Krake

Kirchliche Leitung: Ulrike Greim
 

 

 

 

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Predigt zum Nachlesen

Wenn ich zuhause rufe: „Wer hilft mir mal eben den Geschirrspüler ausräumen?“ – dann kann es sein, dass ich die fröhliche Antwort bekomme: „Ich! Aber erst wenn ich tot bin!“
Und das ist gar nicht böse oder ablehnend gemeint.
Wenn ich dann rufe: „Wie lange noch?“ – dann schallt es ebenso fröhlich zurück: „Keine Sorge. Ist gleich soweit.“

Aber was sich zuträgt, ist kein Familiendrama. Sondern es ist ganz normaler Alltag. Wer da so fröhlich vom Tod spricht, das ist ein Kind mit einem Computerspiel. Es gehört gerade einer anderen Realität an, es steckt in der Realität eines Computerspiels, man verkörpert sich selbst in einer sterblichen Figur, die kann dutzendfach sterben…
Aber es ist nicht schlimm: Zum einen, das geht hinterher einfach wieder weiter, zum anderen, so schön diese Computer-Welt auch ist, mit allem, was man da so machen und wie man über sich hinauswachsen kann, sie ist nicht die wirkliche Welt.

In unserem Leben geht es immer noch echter zu, als in jedem Computerspiel: Es kracht nicht nur, es stinkt auch, zuweilen, man muss Abwasch machen, Tränen schmecken salzig und bitter zugleich, Schläge tun wirklich weh, Abschiede fühlen sich endgültig an und tot ist tot.

Dennoch gilt auch hier die Frage, welche Wirklichkeit eigentlich echter ist, welche Realität ist höher: Die Wirklichkeit in der Jesus Christus die Macht hat – seine Auferstehungsrealität. Oder eben die Wirklichkeit unseres kurzen Weges über diesen Planeten.
Muss ich selbst diesem einen Leben einen Sinn verleihen, denn danach ist Game over?
Oder werde ich immer umgeben und behütet sein von einer höheren Dimension, in der am Ende alles seinen Sinn hat? Und wir gehen in die Ewigkeit.

Wenn man sich die Apostel ankuckt, nach Ostern: Für die war die Frage auch nicht einfach. Auferstehung – ist das ein gemeinsamer Traum – oder eine neue Realität? Und, na ja: Wie lange dürfen wir uns erlauben, den Traum weiterzuträumen, bevor wir wieder zurückkehren an unsere Arbeit, zu unserer Familie? Wie lange wird es dauern, bis uns die Welt wiederhat – mit ihren Verpflichtungen zu organisieren, zu versorgen, zu arbeiten.
Auferstanden, schön und gut. Bloß sag mir mal bitte jemand: Wie lange wird dieses Ereignis, wie lange wird er uns tragen – bis wir vergessen, wie es gewesen ist: Loszugehen. Alles hinter sich zu lassen.
Die Jünger nach Ostern, elf sind übriggeblieben. Sie sind nicht einer Meinung. Es gibt die Geläuterten, die Bekenner, die fröhlichen… Aber es gibt auch Zweifler – sogar mit Jesus Christus, dem Auferstandenen direkt vor der Nase – immer noch Zweifler.
Gemeinsam folgen sie dennoch einer Wegweisung, die sie von ihm bekommen haben. Ich lese aus Matthäus 28:

16Aber die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, wohin Jesus sie beschieden hatte. 17Und als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; einige aber zweifelten.

Damit beginnt die Schlussszene des Evangeliums nach Matthäus.

Welcher Berg?

Wenn ich eine Vermutung anstellen darf, welcher Berg es war, wohin sie beschieden wurden, ich würde auf den Berg tippen, auf dem Jesus schon mal in alle Himmelsrichtungen geblickt hatte; ein Berg, auf dem ihm einst alle Reiche der Welt vor seinem inneren Auge vorbeizogen, und er meinte, eine Stimme zu hören. „Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest“ Damals, kurz nach seiner eigenen Taufe, erkannte er diese Stimme als teuflische Versuchung.

Wie ist es jetzt, nach seiner Auferstehung? Jetzt steht er im Bewusstsein mit höchster göttlicher Vollmacht ausgestattet zu sein. Wird er sich weiterhin bewähren angesichts der Versuchung?

„Gott hat mir alle Macht gegeben, im Himmel und auf der Erde.“ Meine Güte! Man könnte ihn für verrückt halten.
Einige glaubten, einige zweifelten.

Es ist ein Spagat, den müssen wir bis heute aushalten. Großer Anspruch: Jesus Christus, die rechte Hand Gottes.
Und andererseits bleibt seine offenkundige Weigerung, diese Macht einzusetzen.
Dieser himmlische Blankoscheck macht eigentlich die Missionsaufgabe hinfällig. Er könnte mit dem Finger schnipsen:
Schnips, und nie wieder wird ein Mensch zweifeln. Nie wieder wird man die Wege des Höchsten in Frage stellen. Nöte werden vergessen, Flucht… und die verfluchten Seuchen.

Aber offensichtlich ist Jesus nichts daran gelegen, die Welt mit Gewalt umzugestalten.
Damals hatte er das als eine Versuchung von unten erkannt und zurückgewiesen. Nach Ostern wagt er es noch immer nicht. Stattdessen schickt er die teils zweifelnden Elf.

Aber er geht mit ihnen. Unser 12. Mann. Der selten eingreift in das Spiel, aber mitfiebert, tröstet und überall mit hinreist – ja, für den das alles überhaupt stattfindet.
Und wenn die Jünger wandern durch Länder und durch die Zeiten, dann haben sie den Auftrag, ihn immer wieder zu entdecken. Sie sollen ihn finden in den anderen Menschen, in jenen, denen sie dienen, in jenen, die dann selbst mit ihm eine unauflösliche Verbindung eingehen durch die Taufe. So unauflöslich wie seine Verbindung mit den Jüngern ist, so soll es überall sein. Öffnet ihnen die Augen: Diese Welt ist eine andere, seit einer den Tod hinter sich gelassen hat. Die bestimmende Wirklichkeit ist das Leben – und nicht länger der Tod. Und alle, alle Menschen, werden gerufen, seinen Weg zu gehen.

19Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes 20und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe.

Am Anfang unserer Gottesdienste wiederholen wir das: Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes Dadurch erinnern wir uns, dass wir als Gemeinde der Getauften zusammenkommen. In der Taufe wurde unser Leben dem dreieinigen Gott gewidmet.

Aber:

Als das Matthäusevangelium geschrieben wurde, gab es noch keine theologischen Lehrbücher zur Frage der Dreieinigkeit Gottes. Die faszinierten Erstleser des Evangeliums merken vielmehr, hier kommt ein großer Bogen zum Abschluss.

Offensichtlich sollen die Jünger in der Taufe das wiederholen, was an Jesus selbst geschehen ist und was durch die Auferstehung jetzt beglaubigt ist:

  • Der Sohn im Wasser des Jordan.
  • Der Geist Gottes in Gestalt einer Taube, die vom Himmel herabkommt.
  • Und die Stimme eines himmlischen Vaters: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe“

Die Taufe von Jesus selbst am Anfang des Evangeliums und der Taufbefehl am Ende des Evangeliums bilden einen großen Bogen. Am Ende steht die Erinnerung an den Anfang.

Und dazwischen: Alles, was Jesus dann gesagt oder getan hat, das hat er als Getaufter getan.

Den Jüngern fällt ein, was sie erlebt haben:

„Wisst ihr noch,“ werden sie sagen. „Dass er sich erst geziert hat, der fremden Frau zu helfen? Und dann ging es doch? Wie er Grenzen überschritten hat?“

Und seine Tischgemeinschaft mit Sündern. Auf Leute zugehen, die nur scheinbar mit Gott nichts zu tun haben. Aber in Wirklichkeit hat Gott sie natürlich längst auf dem Schirm, so wie er den Zöllner Matthäus auf dem Schirm hatte.

„Ich erinnere mich“, wird jemand sagen, „wie er die Kinder zu sich geholt hat, die wir wegschicken wollten. Weil wir dachten, Reich Gottes und diese Sachen, das wäre noch nichts für Kinder. Aber uns hat er gesagt, dass wir umkehren müssen und werden wie sie.“

„Lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe“ Der Auftrag beginnt also zunächst mal damit, sich zu erinnern. Von dem Moment an, wo alles losging – bis zu diesem letzten Briefing auf dem Berg.

Das bedeutet für die Apostel, für die Glaubenden, wie für die Zweifelnden, es ist gut, sich wieder reinzuträumen und sich zu erinnern in den Anfang, wie das war, als er sie gefunden hat. Matthäus an der Zollstation. Simon, Andreas, Jakobus und Johannes, die hatte er am Seeufer gefunden. Sie flickten gerade ihre Fischernetze. Sie ließen einfach alles zurück.
Auf einmal war es verlockend: Nichts zu wollen, außer mit ihm zu sein, keine Ambitionen zu pflegen außer der einen, sogar: sich freuen können über Zurücksetzung. Was kann uns schaden, wir sind in seiner Hand.
Und was ist dann mit uns geschehen? Wir waren mal mehr.

Nicht alle sind noch immer begeistert. Die wenigsten sind treu geblieben, als das Kreuz näher rückte. Und manche zweifeln im Angesicht des Auferstandenen.

 

Liebe Geschwister,

zwei aus der Gemeinde haben uns erzählt, wie das für sie gewesen ist.

Jessikas Taufe, feierlich in der Osternacht – und dieses Gefühl von Geborgenheit, dazugehören. Aber auch: Einen Auftrag bekommen. Selig, die Frieden stiften.

Oder die Geschichte von Andreas Schuchert: Mitten im Leben gestanden – und von Jesus angesprochen worden. Mit Jesus verbunden und mit ihm auf einem neuen Weg.

Sie haben sich für uns erinnert. Danke! Sie ermutigen uns, dass wir selbst fragen: was für eine Kraftquelle könnte die Taufe für mich werden?

Mitten im Leben: Dass ich weiß, ich werde begleitet. Und ich habe eine Berufung, die mich motiviert: Nach guten Wegen zu suchen – und für andere da zu sein.
Aber dann eben auch: Hoffnung stärker als der Tod.
Selbst wenn es einem tollkühn vorkommt – eine Unbekümmertheit, dem Tod gegenüber, wie das Kind beim Computerspiel.
Was könnte sich nicht ändern, schon jetzt, mitten im Leben, wenn ich mir diese Hoffnung erlauben würde!?

Ich will mich daran erinnern, dass ich getauft bin – und an meinen Weg mit Gott. Wir hatten große Momente zusammen. Doch Alltag ist das nicht.
Mal glaubt man froh, mal zähneknirschend.
Ich muss mich aber nicht in religiöse Zustände versetzen, damit die Taufe wirkt. Und wenn ich zweifle, heißt es nicht, dass ich minderwertig wäre.
Sondern: Wir haben ein Versprechen. Darum geht es.

Heute ist Gelegenheit zur Tauferinnerung. Tauferinnerung heißt: Entdecke, dass er noch immer da ist. Er bleibt. Wasser und Wort sind seine Zeichen.

Wenn auch Gefühle gehen: Jesus aber, Jesus ist nicht gegangen. Gott ist immer noch nah.

Ein weiteres Wort vom Anfang wird eingelöst am Schluss des Evangeliums. Zu Beginn stand eine Vorhersage: „Sie werden ihm den Namen Immanuel geben“. Das heißt übersetzt: Gott ist mit uns.

Tauferinnerung hilft uns, neu darauf zu sehen, was Gott in unserem Leben getan hat – als wir getauft wurden. Er hat unser Leben mit dem Leben von Christus verknüpft. Nichts und niemand wird diese Verbindung kappen.

Das wäre schön: sich wieder von ihm finden zu lassen. Und ihn beim Wort nehmen, wenn er sagt:

siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.

Amen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

Es gilt das gesprochene Wort.
 

09.07.2021
Gregor Heidbrink