Gehet hin in alle Welt

Evangelischer Rundfunkgottesdienst

Leipziger Missionswerk

Gehet hin in alle Welt
Rundfunkgottesdienst aus der Kapelle des Leipziger Missionswerks
08.03.2020 - 10:05
28.02.2020
Superintendentin Kristin Jahn
Über die Sendung

Schule beendet. Und dann? Was bewegt junge Leute aufzubrechen in ein fremdes Land? Neues entdecken, die eigenen Fähigkeiten testen, sich engagieren für andere – die Motivationen sind vielfältig. Spielt der Glaube dabei eine Rolle?

Im Gottesdienst aus der Kapelle des Leipziger Missionswerks kommen junge Leute von heute zu Wort, die ins Ausland gehen; und junge Menschen von damals, als das Missionswerk gegründet wurde. Wozu fühlen sie sich gesandt? Was ist ihre Mission?

Und wie hat sich dieser Begriff über die Jahrzehnte entwickelt?

Direktor Ravinder Salooja und Mitarbeitende des Leipziger Missionswerks feiern den Gottesdienst zusammen mit Jugendlichen aus Übersee und Mitteldeutschland. Die Predigt hält Superintendentin Dr. Kristin Jahn. Capella vocalis Leipzig und Solisten unter Leitung von Kantor Veit-Stephan Budig gestalten den Gottesdienst musikalisch.

 

Folgende Lieder werden im Gottesdienst gesungen:

EG 452 Er weckt mich alle Morgen

EG 264 Die Kirche steht gegründet

EG 258 Zieht in Frieden eure Pfade

 

Gottesdienst nachhören

 

Den Gottesdienstmitschnitt finden Sie auch direkt unter http://www.deutschlandradio.de/audio-archiv.260.de.html?drau:broadcast_id=122

Predigt zum Nachlesen

Nach Afrika gehen und die Welt retten. Ich weiß noch, wie ich kurz vor dem Abi bei einem Familienfest zu Haus am gedeckten Tisch saß und auf die Frage meiner Tante, was ich denn nun machen wolle, sagte: Krankenschwester werden; nach Afrika gehen: die Welt retten.

Das mit der Welt, hatte ich so nicht gesagt, aber gemeint. Seit Wochen kamen Bilder im Fernsehen von verhungernden Kindern und wir saßen zu Hause am gedeckten Tisch.

Mich hat das fertig gemacht. Ich wollte raus aus meinem Dorf, raus aus einem Land, wo jeder nur darauf bedacht war, wieder auf die Beine zu kommen, damals kurz nach der Wende.

Also Krankenschwester werden und Afrika.

Meine Tante sagte: Wenn du kranken Menschen helfen willst, dann mach das doch gefälligst erst mal hier. Es gibt hier genug Leute, denen es schlecht geht.

Ich dachte damals, wie herzlos von ihr. Erst wegschauen, wenn ein Kind verhungert und dann auch noch meine Träume kritisieren.

Wir haben lange geschwiegen am Tisch.

Gehet hin in alle Welt.

 

Vor 125 Jahren ist Emma von Soden nach Indien aufgebrochen. Ein lang gehegter Traum ging damals für sie in Erfüllung. Ein Traum nach einem langen harten Weg.

Emma von Soden war in Neuhaus an der Aller aufgewachsen. Tochter eines Rittergutsbesitzers. Sie hatte alles gehabt. Eltern, Geschwister, Brot. Ein Zuhause und eine Liebe, die hält.

Mit 8 Jahren verliert sie plötzlich ihre Eltern. Auf einmal ist alles anders. Ihr Leben fühlt sich an wie ein Stuhl ohne Lehne. Wo ist noch Geborgenheit? Eine Welt zerplatzt in ihr.

Sie findet Obhut im Haus des Oberamtsmannes Garke auf der Burg Widelah im Harz; genießt dort eine gute Erziehung, aber die Liebe der Eltern kann ihr das nicht ersetzen. Die Welt - ein heilloser Ort?

Emma träumt sich weg und sie liest. Sie liest ein Buch mit dem Titel „Das Pfarrhaus im Harz“. Von einer Emma ist dort die Rede, einer Pfarrersfrau, die Waisen zu sich nimmt und sie zusammen mit ihren Kindern großzieht.

Die Beschreibung einer sinnvollen Welt, und die Erzählung von einer Frau, die eines Tages einen englischen Missionar trifft. Sich verliebt und mit ihm nach Indien geht. Ab in die Mission.

In Emma von Soden wächst ein Traum heran. Indien und die Mission. Eine Heimat finden in der Ferne. Helfen und heilen und Geborgenheit finden in der Ferne.

Ich kann mir vorstellen, wie sich Emma von Soden gesehnt hat nach einem Leben, das sie hält, nach Wärme, die in ihr die Lücke füllt, nach all dem, was mit dem frühen Tod der Eltern auf einmal weg war.

Die Trommeln des Aufbruchs in ihr.

Emma von Soden setzt fortan alles daran, nach Indien zu kommen. Sie lässt sich ausbilden zur Lehrerin. Geht nach Schottland und unterrichtet dort die Töchter von Pfarrern und Missionaren.

Sie rennt alle Türen ein und sie ist bereit für ihren Traum alles zu tun, auch die Geschwister zu verlassen. Nach den Jahren in Schottland sagt sie ihren Schwestern: Ich will nach Indien in die Mission.

Aber alles, was Emma hört, ist ein sehr hartes, klares Nein. Ihre Schwestern empfinden allein den Gedanken als Verrat. An ihrem Land, an ihrer Nation. In der Ferne irgendwelchen Kindern Unterricht geben, was hast du dir dabei gedacht!?

Emma wird klein. Sie geht in sich. Sie beugt sich dem Willen ihrer Schwestern und geht nach Genf. Macht ihr Examen in Englisch und Französisch und wird Hilfslehrerin in Neuendettelsau. Aber ihr Traum ist noch immer nicht aus.

„[A]llem Widersprechen trotzend“, schreibt sie Jahre später, „blieb ich bei dem heißen Verlangen in die Mission einzutreten, noch im Herbst 1888 stand ich vor dem seligen Herrn Direktor Hardeland und wagte es, mich zum Dienst anzubieten (…) Da traf mich auf dem Nürnberger Missionsfeste das ernste Wort ‚durch Stillesein und Hoffen, werdet ihr stark sein‘, das brachte mich mit Schrecken zur Erkenntnis wie wenig ich die ungeheure, schwere Aufgabe erkannte, welche nur durch Stillesein errungen werden konnte; ich ging betrübt davon.“

Andren helfen, um die eigene Verlorenheit zu dämpfen? – Emma erkennt, wie sinnlos das ist.

Ein Ackermann kann nicht machen, dass die Liebe wächst wie das Gras. Er kann sich die Liebe nur schenken lassen und sein Leben annehmen wie es ist.

„Es kam dann eine harte Zeit des Kampfes mit mir selber“, schreibt sie, „ich erfuhr Gottes freundliches Locken und Werben um meine ruhelose Seele und beugte mich“.

In Dir ist schon alles, was du brauchst. Du bist ohne alles Zutun gerecht. Liebenswert.

Ein Läuterungsfeuer und eine Erkenntnis.

Gott merzt die Leerstelle aus. Emma, du bist liebenswert. In Dir ist schon alles, was du brauchst.

 

Wenn ich damals nach Afrika gegangen wäre, aus mir wäre keine gute Krankenschwester geworden. Die Probleme, die man zu Hause hat, lassen sich nicht lösen am anderen Ende der Welt.

Und wirklich da sein für andere mit seinem Wissen und Können, kann nur einer, der sein eigenes Dasein schon angenommen hat und sich seiner selbst bewusst ist.

Es ist ja ein weitverbreitetes Missverständnis, dass Menschen denken, wenn sie anderen etwas Gutes tun, dann bekommen sie endlich das zurück, was ihnen so sehr fehlt: Ansehen, Wertschätzung, Liebe.

Es gibt Menschen, die brennen für andere aus. Sie tun alles für andere, um endlich ein liebes Wort zu hören, das sie wieder aufrichtet.

Sie erwarten alles von anderen oder am anderen Ende der Welt. Sie sind auf der Suche nach dem Heil. Aber das Heil liegt immer schon in uns.

Du bist liebenswert. Gott sagt das zu seinem Sohn und sein Sohn sagt es zu uns.

Liebe mich und deinen Nächsten so wie dich selbst. Das ist alles, was Gott von uns will.

Er braucht unsre Taten nicht um die Welt zu retten, höchstens unser Mittun und unser Amen. Jeder mit dem, was er kann.

Ein Abbild von Gottes Liebe sein – das reicht vollkommen aus.

 

 

Emma von Soden hat vor 125 Jahren ein Motivationsschreiben verfasst, so wie das junge Menschen heute immer noch tun, bevor sie ausgesendet werden.

„Mit heißen Tränen“, schreibt sie, „verließ ich den Weg, den ich mir selber mit starkem Willen hatte bahnen wollte und schlug nun in Gehorsam auf [Gottes] Wort den Weg der Diakonie ein.“

Emma fügt sich und wird Diakonisse in Neuendettelsau. Sie pflegt Kranke und verbindet ihre Wunden. Sie macht ihren Frieden mit der Welt und mit ihrem Leben.

Die Liebe zur Mission lag noch in ihr wie ein stiller See. Aber nur Gott soll diese Sehnsucht wecken, schreibt sie. Der Direktor des Missionswerkes liest diesen Brief und gibt Emma von Soden nun sein Ja.

Sie darf nach Indien in die Mission. Sie geht als geläuterte Frau.

Zusammen mit Auguste Hensolt bricht sie noch im selben Jahr auf. Angekommen in Indien, macht sie dort nichts anderes als das, was sie zu Hause auch hätte tun können.

Sie gibt Unterricht, sie geht zu den Kranken und verbindet ihre Wunden. Aber jetzt weiß sie, ich mache das nicht, um Applaus oder Liebe zu bekommen. Ich tue das, weil ich‘s kann. Denn liebenswert bin ich schon.

Eine Inderin, die zusah, wie Emma von Soden einer kranken Frau den Fuß verband, fragte nach ihrem Besuch in ihrer Gemeinde: „Was ist das, dass eine weiße Dame sich herablässt, einer eingeborenen schwarzen Frau den Fuß zu verbinden? Darauf gab der Gemeindeälteste die Antwort: Das ist barmherzige Liebe, die nur Christen haben können, weil sie die noch größere Liebe Christi erfahren haben.“

Die Liebe ausstrahlen, weil ich schon liebenswert bin.

 

Geht hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur, schreibt Markus in seinem Evangelium und er setzt noch hinzu:

wer das glaubt und getauft wird, der wird selig werden.

Was werden die Menschen, denen wir begegnen mit unseren Worten und Werken, einmal von uns sagen? Werden wir ein strahlender Spiegel voll von Liebe sein oder brauchen wir nur die Zusage anderer, den Applaus?

 

Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur. Was ist das Evangelium?

Das Evangelium heißt: Du bist liebenswert und in dir ist alles, was du brauchst. Vor 2000 Jahren ist Jesus aufgebrochen, dies den Menschen weiterzusagen. Heute brechen wir auf. Meine Liebe, mein Evangelium.

Mit diesem Satz brechen wir auf und sind Evangelium aller Kreatur. Amen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

28.02.2020
Superintendentin Kristin Jahn