Predigt zum Nachlesen
Gnade sei mit Euch…
Ich möchte Sie einladen – egal von wo aus Sie diesen Gottesdienst mitfeiern – begleiten Sie mich auf einem kleinen Spaziergang an einem lichten Sommermorgen hier in Wildenbruch in der Mark Brandenburg. Der Weg führt über altes Kopfsteinpflaster, in der Ferne ruft ein Kuckuck, gleich um die Ecke lädt der Seddiner See zum Baden ein. Idyllisch ist es hier, nur ein paar Kilometer von der Millionenstadt Berlin entfernt. So ein bisschen, als wäre die Zeit stehengeblieben. Und wir haben tatsächlich Zeit an diesem Sonntag – nichts ist bedrängend – die Welt ist einfach nur wundervoll – am Wegesrand steht eine Bank – wir nehmen Platz und lauschen einem, der vor vielen Jahren schon einmal hier spazieren ging. Ein Dichter und ein Wanderer durch die Mark Brandenburg: Theodor Fontane. In diesem Jahr feiern wir seinen 200. Geburtstag. Fontane hatte einen Sinn für die Schönheit dieser Welt. Er fand sie oft im Kleinen. Er war ein Lebenskünstler – und will uns anstecken mit seiner Kunst, indem er rät:
Laß ab von diesem Zweifeln, Klauben,
vor dem das Beste selbst zerfällt,
und wahre dir den vollen Glauben
an diese Welt trotz dieser Welt.
„Glaube an die Welt“ – so lautet der Titel dieses Gedichts von Theodor Fontane. Und an diesem Glauben hat er festgehalten. Trotz allem, was auch damals schon nicht gut war, was Menschen zweifeln und verzweifeln ließ. Auch davon handeln seine Romane und Geschichten. Er kannte sie eben – die Menschen mit ihrem begrenzten Horizont, mit ihren Fehlern und Schwächen, Sorgen und Ängsten. Menschen wie du und ich. Wir erleben das auch: Eben war die Welt noch so schön – und auf einmal steigen Zweifel auf – und der wundervolle Sommermorgen bekommt Risse – manchmal von innen – manchmal von außen – und wir sind plötzlich mitten drin in dem, was Fontane Zweifel klauben nennt: Wir sammeln Sorgen und Ängste, schauen auf das, was nicht perfekt ist, klauben Zweifel – sammeln Zweifel.
Ich sitze hier auf der Bank mitten im Grünen und sehe ein Flugzeug am Himmel aufsteigen – und schon ist der Klimawandel in meinem Kopf – Sorgen um die Schöpfung, eingesammelt von meiner Seele – und das „Kopfkino“ geht los: Ist es eigentlich angemessen, es hier so gut zu haben? Ist unsere herrliche Schöpfung noch zu retten – oder ist die Idylle hier nicht längst schon Illusion und Täuschung und die Natur unaufhaltsam zerstört?
Ich glaube, Sie kennen diese Gedanken. Fontane kannte die Zweifel auch – er schrieb:
Es gibt kein unbedingtes und ungetrübtes Glück, das länger als 5 Minuten dauert –
Ja – Fontane wusste aus seinem eigenen Leben um die Brüchigkeit des Glücks – hatte oft genug Situationen am eigenen Leibe durchlebt, die zum Verzweifeln waren: als Kriegsberichterstatter geriet er in Gefangenschaft, das Geld war lange Zeit knapp, der Erfolg beim Schreiben stellte sich erst in späten Lebensjahren ein. Zwei seiner Kinder starben, als sie noch ganz klein waren. Die zweite Strophe aus seinem Gedicht berührt auf diesem Hintergrund besonders:
Schau hin auf eines Weibes Züge,
das lächelnd auf den Säugling blickt,
und fühl’s: es ist nicht alles Lüge,
was uns das Leben bringt und schickt.
Auf der Parkbank sitzend kann ich die Mutter sehen, – eine Märkerin, die lächelnd in den Kinderwagen schaut. Dieses hoffnungsvolle Bild setzt Fontane in seinem Gedicht den nagenden Zweifeln entgegen. Es ist kein romantisch verklärtes Bild, das hätte Fontane nicht gewollt. Es ist das Bild gelebter, ganz realer Liebe – mitten in dieser Welt – im Wissen um ihre Abgründe, um ihre Gebrochenheit und Verletzlichkeit.
In der ganz realen Liebe zur Schönheit dieser Welt, zu den Menschen, mit denen wir leben, öffnet sich ein Raum des Vertrauens – in dem die Zweifel zur Ruhe kommen – in diesem Bergungsraum können wir heute schon das Glück, die Seligkeit spüren, die Jesus uns zugesprochen hat – vielleicht nur für fünf Minuten – wie Fontane befürchtet hat – aber immerhin fünf Minuten und vielleicht auch gerne etwas länger – diese Augenblicke von Licht und Glück, die uns Vertrauen geben und die zweifelnde Seele zur Ruhe kommen lassen – so wie es König David im Psalm sagen konnte :
Ich bin zur Ruhe gekommen, mein Herz ist still geworden und zufrieden wie ein Kind im Arm der Mutter. (Ps 131, 2)
Wir sind in der Mark Brandenburg. Südwestlich von Berlin nahe der Autobahnabfahrt Michendorf. Hier liegt das malerische Dorf Wildenbruch. Hier in der Dorfkirche feiern wir Gottesdienst gemeinsam mit Ihnen. Und in Gedanken öffnen wir im Fontanejahr die Kirchentüren weit und spazieren mit dem Dichter und mit Ihnen durch die schöne brandenburgische Landschaft hin zu einer Badestelle am wundervollen Seddiner See – die Holzbank ist frei – Familien sind da, es herrscht ein fröhliches Treiben – damals zu Zeiten Fontanes wie heute:
Ein Gruß aus frischer Knabenkehle,
ja mehr noch eines Kindes Lall’n
kann leuchtender in deine Seele
wie Weisheit aller Weisen fall’n.
Erneut ist es eine ganz alltägliche Begebenheit, die Fontane den Glauben an das Gute in der Welt bewahren lässt. Ihm die Seele erleuchtet, auch wenn er um die vielen Dunkelheiten weiß, die es im Leben auch gibt.
Das unbeschwerte Kinderlachen erhellt die Seele. Steckt an.
Familie war für Fontane wichtig – sie bot ihm Halt – schon bald außerhalb der Familie begann für ihn, wie er plastisch beschrieb, „die Sahara“ – es mag sein, dass Fontane seine eigenen Kinder inspirierten zu dieser Gedichtstrophe – mir kommt auch eine Szene aus seinen Wanderungen in den Sinn – sie spielt im Spreewald: Man ist auf einer Kahnpartie unterwegs und gegen Abend kommt man auf den Hof eines Kätners – dem also, der die ärmliche Kate bewohnt und der offensichtlich schon bessere Tage erlebt hat. Fontane sieht dessen Kinder im Fluss baden und beschreibt die Szene wie folgt:
.... vom Kahn aus sahen wir dem Treiben seiner im Fluss umherplätschernden Kinder zu. Es waren ihrer sieben, das älteste elf, das jüngste kaum vier Jahre alt und aus dem Lachen und Kinderunschuld wob sich hier ein Bild, das uns auf Augenblicke glauben machte, wir sähen in eine feenhafte Welt. Und dass wir diese Welt nicht störten, das war ihr höchster Zauber. Ungeängstigt und von keiner Scham überkommen, spielten die Kinder weiter, tauchten unter und prusteten das Wasser in die Höhe wie junge Delphine.
Später fragt der Kätner seine Gäste, ob seine nun dem Wasser entstiegenen Kinder ein mehrstimmiges Lied zu Gehör bringen könnten, dass sie leidlich eingeübt hätten.
Wir bejahten die Frage natürlich, und alsbald klang es mit jener unwiderstehlichen Innigkeit, wie sie nur Kinderstimmen eigen zu sein pflegt, durch die sommerstille Luft.
Die Kinder sangen – Jesu, geh voran auf der Lebensbahn – und als sie das Lied beendet haben schließt Fontane:
Das Lied hätte die doppelte Zahl von Strophen haben können, wir wären willig gefolgt. Es hatte jeden von uns ergriffen.
Ein bisschen steckt in dieser literarischen Szene aus Fontanes Wanderungen durch die Mark Brandenburg von der biblischen Szene, als Jesus die Kinder zu sich kommen lässt, sie herzt und segnet mit den Worten: Lasst die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn solchen gehört das Reich Gottes. (Mk 10.14)
Ich kann Fontane sehr gut verstehen: In unserer Gemeinde gibt es seit über 100 Jahren einen Kindergarten, und die Kinder kommen an fast jedem Dienstagmorgen mit ihren Erzieherinnen in das Gemeindehaus zum Kita-Singen mit unserer Kantorin Elke Wiesenberg.
Mein Arbeitszimmer liegt direkt über dem Gemeindesaal, also höre ich sie dann singen – und egal wie vertieft ich da gerade über den Büchern sitze – der Gesang der Kinder zaubert mir immer ein Lächeln ins Gesicht – er verändert meine Wirklichkeit. Lichtet die Seele – lässt mich glauben, dass diese Welt auch eine gute Welt ist, nicht verloren, sondern gerettet von dem Jesus, der mit uns auf dem Weg ist. Dieses musikalische Geschenk der Kinder einmal in der Woche ist ein wunderschöner Luxus meines Pfarramtes, für den ich von Herzen dankbar bin.
Nicht jeder kann in einem Pfarrhaus wohnen – aber jeder kann singen – lassen Sie uns das Lied, das die Kinder damals im Spreewald dem Dichter Theodor Fontane sangen, aufgreifen. Lassen Sie uns miteinander singen:
Jesus geh voran – im Evangelischen Gesangbuch die Nr. 391.
Erst unter Kuß und Spiel und Scherzen
erkennst du ganz, was Leben heißt;
o lerne denken mit dem Herzen,
und lerne fühlen mit dem Geist.
Unterwegs mit Theodor Fontane sind wir nun auf einer kleinen Anhöhe angekommen – mit weitem Blick auf den Seddiner See, der ganz in der Nähe von unserer Kirche liegt. Die Morgensonne hat schon längst den Tau auf den Wiesen vertrieben, und wir lassen den Blick über die weite Landschaft schweifen – am Waldrand sitzt eine Paar auf einer Decke – ganz verliebt: Sie küssen sich. Ein paar Meter weiter ist ein Rentnerpaar mit Nordic Walking Stöcken unterwegs und treibt seinen Sport – so ist man heute in Fontanes Alter unterwegs – Jugendliche spielen Frisbee und werfen sich die bunte Scheibe mit großem Können zu, eine große Familie kommt gerade mit allerlei Kisten und Sonnenschirmen an – das sieht nach einem längeren Grillfest aus – die Kopftücher der Frauen – bunte Farbtupfen – von der Sonne beschienen.
Ja – das Leben ist bunt, reich – vielfältig – es ist das größte und wundervollste Geschenk, das uns anvertraut ist. Es sind selige Momente, die wir gerade in den Sommermonaten oft erleben können. Wenn wir spüren, wie wundervoll das Leben ist – wenn wir einfach nur sein dürfen: mitten in der Natur, ohne zeitliches Korsett, frei von Arbeit, fern von allen Sorgen und Problemen. Selig sind wir dann – glücklich, dankbar, eins mit uns selber – eins mit der Welt. Zufrieden, hoffnungsvoll.
Für Jesus waren diese seligen, glücklichen Augenblicke sehr wichtig. Er hat sie besonders Menschen in schweren Situationen zugesprochen. Die Seligpreisungen der Bergpredigt zeigen davon. Wie selig können wir sein, wenn unsere Zweifel für einen Moment zur Ruhe kommen. Es ist, als ob wir plötzlich eintreten in ein Haus aus Licht: Wir ahnen – noch ganz in dieser Welt – bereits etwas von der kommenden Welt, von der Jesus gesagt hat: Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten. Wir betreten einen Ort der Seligkeit – mitten im Angesicht einer ganz zerbrechlichen Welt.
Sicher – diese lichten Augenblicke sind flüchtig – manchmal dauert dieses Glück nur fünf Minuten – und doch gibt es sie: auch mitten im Alltag, jenseits von Urlaub und Ferien – und im Grunde leben wir von diesen Augenblicken.
Von dem Glauben an eine auch wundervolle Welt – trotz vieler Schwierigkeiten und Herausforderungen. „Lerne denken mit dem Herzen, lerne fühlen mit dem Geist“ – beides kann man von Theodor Fontane mit in den Alltag nehmen, damit uns die Seligkeit nicht abhandenkommt.
Wer ausdauert, erreicht alles – schreibt der märkische Dichter – und das lasse ich so stehen – Amen.
Es gilt das gesprochene Wort.