Schöpfungskraft aus der Ewigkeit

St. Matthäuskirche Bamberg

St. Matthäuskirche Bamberg

Schöpfungskraft aus der Ewigkeit
Rundfunkgottesdienst aus Bamberg
09.08.2020 - 10:05
30.07.2020
Jutta Müller-Schnurr und Martin Schnurr
Über die Sendung

 

 

 

Gottesdienst nachhören

 

Den Gottesdienstmitschnitt finden Sie auch direkt unter http://www.deutschlandradio.de/audio-archiv.260.de.html?drau:broadcast_id=122

Predigt zum Nachlesen

Unterm Feigenbaum.

Da sitzt ein Mensch. Er heißt: Nathanael. (Zu deutsch): "Gott hat gegeben".

Und es stimmt ja: Gott hat ihm sein Leben gegeben, mit Händen und Herz, mit Füßen und Verstand. Aber nicht nur ihm, auch den Bäumen, den Insekten, den Blumen um ihn herum, der Erde, auf der er sitzt.Ich stelle ihn mir vor, diesen Nathanael, von dem das Johannesevangelium uns berichtet. Wie er im Schatten der Blätter sitzt, wie er spürt und lauscht. Unterm Feigenbaum.

 

Unterm Feigenbaum.

Da stehen sie. Die ersten Menschen, Adam und Eva, das biblische Mosebuch erzählt, dass sie Vater, Mutter, Urbild von uns allen sind. Gott hat gegeben - hat ausgeschüttet aus seiner Fülle eine ganze Schöpfung. Eine Welt, schön und grün, wie ein einziger Garten, in dem es kreucht und fleucht, wimmelt und wächst.

 

Und darinnen sie - wir: Menschen, männlich, weiblich, wunderbar verschieden frei zu tun und zu lassen, zu genießen, was gut und auch was schädlich ist.Gott hat's gegeben. So viel - ein ganzes Paradies. Und doch war es, ist es nie genug.Bestimmt kennen Sie sie, die alte Geschichte: "Von allem darfst du essen", spricht Gott der Herr im Paradies, "nur von diesem einen nicht". Und immer wieder ist es gerade dieses Eine, ist es das Verbotene, das uns lockt, als wär es unser Leben.

Und so essen wir. Und kommen Biss für Biss an in einem Leben, das uns seither bittersüß schmeckt

 

Das Paradies um ihn herum ist zwar noch da, und doch wandelt es sich, denn plötzlich fällt der Mensch aus diesem paradiesischen Zusammenhang heraus. Übergroße Fülle um ihn herum, und er erkennt, dass er selber nackt dasteht. Und dass er deshalb etwas braucht, dass er so vieles braucht, immer mehr. Als erstes machen sich Adam und Eva Röcke gegen die eigene Nacktheit, Röcke aus Feigenblättern.

 

Und damit wird der Feigenbaum in der Bibel zum ersten Mitgeschöpf, das dem Menschen nach dem Sündenfall von Nutzen ist. Eine Nutz-Pflanze, eine Helferin. Ihr werden viele weitere folgen.

Denn seither haben wir uns viel genommen, zu viel, und das nicht nur von den Bäumen. Wir haben uns Kleider, Häuser, Möbel draus gemacht, haben immer neue Ressourcen, Energie- und Einnahmequellen ausgehoben, haben die Erde, die Pflanzen, die Tiere ausgebeutet, nicht einmal vor Klimaveränderungen machen wir jetzt halt; wir baggern, bohren, schlagen, hauen, verschmutzen, töten uns durch diese Welt, bis, ja bis vom Paradies bald nichts mehr übrig ist.

 

 

Gott hat gegeben - "Nathanael", so ruft Philippus seinen Freund. Er findet ihn unter dem Feigenbaum und erzählt ihm: „Wir haben den gefunden, von dem Mose im Anfang und die Propheten in der Verheißung geschrieben haben! Es ist Jesus, Josefs Sohn, aus Nazareth.“

Philippus ist überzeugt, aber Nathanael, der Mensch unterm Baum, bleibt skeptisch. „Was kann aus Nazareth schon Gutes kommen?“ fragt er – und nicht nur er fragt so. Was kann schon dran sein an einem so wie du und ich, wenn doch das Paradies verloren ist, wenn die ganze Schöpfung auf dem Spiel steht?

 

Was können Einzelne da schon bewegen? Sei es ein Jesus aus Nazareth, eine Greta aus Schweden, ein Al Gore aus Amerika? Was kann schon Gutes kommen, Gutes werden, aus der Menschheit, die doch immer noch und immer wieder nur sich selber sieht?

 

 „Komm und sieh“ hält Philippus dagegen. Schau ihn dir selber an und vielleicht siehst, erkennst und spürst du ja dann doch mehr, als du erwartest.Doch als Nathanael dann tatsächlich kommt, und diesen Jesus sehen will, da dreht sich plötzlich alles um. Auf einmal ist er es selber, der gesehen wird. Ja, der längst gesehen ist: „Als du unter dem Feigenbaum warst, da habe ich dich gesehen", sagt Jesus.

 

Liebe Gemeinde

"sehen und gesehen werden" - das, was in unseren alltäglichen Begegnungen ständig und oft nur oberflächlich geschieht, bekommt hier nun zwischen Jesus und Nathanael eine viel tiefere Bedeutung.

 

Denn Jesus sieht Nathanael und er sieht ihn so, wie dieser sich wahrscheinlich selber nicht gesehen hat. "Ein rechter Israelit, in dem kein Falsch ist", sagt Jesus. Ein Mensch ohne all die Makel, die wir doch stets gewohnt sind, uns selber anzuhängen. Ein Geschöpf, dem nichts fehlt. Kein Feigenblatt muss seine Scham verdecken. Kein Erfolg, kein Reichtum, keine Moral, in die er seine Nacktheit kleiden müsste.

 

Jesus sieht Nathanael und sieht in ihm, in uns den Menschen, den Gott gegeben, geschaffen, in die Welt gesetzt hat, als Teil seiner so guten Schöpfung.

Und er sagt: "Genau da, wo du, Mensch, hingehörst, wo du in Gottes Augen immer schon und immer noch bist, wo du dich weder verstecken noch verstellen musst. Unterm Feigenbaum. Da habe ich dich gesehen."

 

Ich glaube, es ist so etwas wie ein mystisches Erkennen und Erkannt werden, das das Johannesevangelium in dieser Begegnung beschreibt. Dieses Sehen reicht viel tiefer als das, was vor Augen ist. Unser ganzes Sein, unser In-Gott- und in Beziehung- Sein wird hier gesehen.

Mich wundert es nicht, dass für den Skeptiker Nathanael alle selbstgemachten Hüllen fallen. Ihm gehen die Augen auf. Als in Liebe Erkannter erkennt er nun auch den Anderen kennt: "Du bist Gottes Sohn."

In dieser kurzen Begegnung, in diesem Moment des Hin- und Her von Sehen und Gesehen werden, da steckt für mich das ganze Evangelium: Der aus dem Paradies heraus gefallene Mensch findet neu seinem Platz - im liebenden Blick des Gottessohnes, unterm Feigenbaum.  Mitten in der Welt und in Beziehung zur Welt, zu unseren Mitmenschen, zu den Tieren, den Pflanzen, ja zur ganzen Schöpfung sind wir von Gott gesehen, geliebt. Hier ruft er uns immer wieder in seine Gemeinschaft und in die Gemeinschaft mit allem, was lebt.

 

Lange Zeit haben wir - auch in der Kirche - diese Verbindung zur Schöpfung vergessen, haben uns eher als Herrscher denn als Teil gefühlt. Wir haben geglaubt, dass Gott dort, wo er uns anspricht, begegnet, erneuert, immer nur uns meint, nur den Menschen, und der Rest der geschaffenen Welt keine Rolle spielt.

 

Dabei sprach Gott schon immer und spricht er immer noch in seiner Schöpfung. Wie auch die Bibel voller Schöpfungsworte ist und - wie Martin Luther es formulierte - die Schöpfung ist voller Bibel. „Unser Haus, Hof, Acker, Garten und alles ist voll Bibel“, - sagt er in einer Predigt. „Da Gott durch seine Wunderwerke nicht allein predigt, sondern auch unsere Augen öffnet, an unsere Sinne rührt und uns gleichsam ins Herz leuchtet.

 

Gott sieht nicht nur Nathanael unter seinem Feigenbaum. Er sieht mich – im Grünen. Und im Grauen auch…Gott sieht uns Menschenkinder in seiner Schöpfung. Und das öffnet mir die Augen – für Gottes Gegenwart in allem …

 

 „Also reden die Christen mit Bäumen und allem, was auf Erden wächst und sie wieder mit ihnen.“ Ich liebe diesen Satz von Martin Luther! So will ich mich mit Bäumen unterhalten….

 

Unterm Feigenbaum.

Da wohnen sie. Die Menschen in Gottes neuer Welt. Ein gutes Leben im Grünen, im grünen Bereich. Dann haben sie aufgehört, Kriege zu führen, Kriege gegen sich selber, gegen einander und Kriege gegen die Natur.

 

Der Prophet Micha träumte vor fast 3000 Jahren schon von dieser Zeit, wenn Schwerter einmal zu Pflugscharen und Spieße zu Sicheln werden und wenn der Mensch, statt sie gierig auszubeuten die Erde dann bebauen und bewahren wird ... "dann“, so heißt es „wird ein jeder unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen, und niemand wird sie schrecken." Auch der Schrecken für die Erde wird vorbei sein und Friede wird sein, für alles, was lebt. Dann wird es neu heißen: Gott hat gegeben – auf Hebräisch: Nathanael.

 

Amen

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

30.07.2020
Jutta Müller-Schnurr und Martin Schnurr