Ökumenisches Versuchslabor

Pius-Lukas-Kirche Krefeld

Ökumenisches Versuchslabor
Gottesdienst-Live-Übertragung aus der Pius-Lukas-Kirche, Krefeld
09.10.2022 - 10:05
01.08.2022
Pfarrer Christoph Zettner (kath), Pfarrer Christoph Tebbe (ev.)
Über die Sendung:

Im Gottesdienst am 9. Oktober geht es um das Zusammenleben der Verschiedenen. Was hindert uns? Was verlockt uns dazu? Was haben wir davon, mit den anderen, den Fremden in Kontakt zu kommen?

Es wirken mit: Pfarrer Christoph Tebbe von der evangelischen Gemeinde sowie Gemeindereferentin Dorothee Blum und Pfarrer Dr. Christoph Zettner von der katholischen Gemeinde.
Die musikalische Gestaltung liegt in den Händen von Daniel Schaaf (katholisch) und Mihyun Brüchner (evangelisch), es singt der ökumenische Projektchor Gartenstadt Uerdingen.

 

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Predigt zum Nachlesen
 

I

Liebe Gemeinde, die Sie uns im Rundfunk zuhören, liebe Gemeinde hier in der Pius-Lukas-Kirche.
„Dieser Schritt hat Modellcharakter“, schreibt eine große Tageszeitung. Ein Fernsehteam rückt an für eine Reportage in den Tagesthemen. Das war vor zwei Jahren. Viele haben gestaunt, die unsere Wohngemeinschaft von außen betrachtet haben. Eine evangelische und eine katholische Kirchengemeinde ziehen zusammen. Wie geht das wohl? Seit September 2020 leben und feiern wir in diesem Ökumenischen Kirchenzentrum. Das hat uns alle bereichert. Die evangelischen Christen finden sich in neuen Räumen wieder, die katholische Seite feiert unter dem imposanten Kreuz aus der früheren evangelischen Kirche Gottesdienst, sie kann sich an Wochentagen um den neuen Altar versammeln, und viele nutzen die evangelische Bücherei. Das ist schön. Aber schöner als das ist das Erlebnis, sich auf die eigentlich christlichen Werte zu besinnen, und sich gemeinsam von Gottes Geist erfüllen zu lassen.

Ja, es ist schöner geworden. Fast hätte ich gesagt, angenehmer und gemütlicher.
Steckte nicht in der biblischen Botschaft noch ein Sprengstoff und das ist die Offenheit für die Fremden. Im Alten Testament wird das Volk Gottes immer wieder auf die Situation der Fremden hingewiesen: Zugewanderte, Ausländer, Geflüchtete, Menschen anderer Religion. Sie stehen unter besonderem rechtlichen und ethischen Schutz:  Darauf müsst ihr achten, sie sollen unter euch wohnen wie einer von euch, denn ihr ward selbst Fremde gewesen im Land Ägypten (Ex 19,34; 22,20), so heißt es.

Der Mensch im alten Israel hat die Pflicht, gastfreundlich zu sein und viele erfahren damals täglich, dass der Gast überraschende Gaben mitbringt, den Gastgeber seinerseits bereichert und sein Leben erfüllter macht. Abraham sitzt im Schatten der Eiche von Mamre, als drei fremde Männer vorbeikommen. „Geht nicht vorüber,“ sagt er, „wir holen Wasser, dann könnt ihr euch die Füße waschen und euch unter dem Baum ausruhen.“ Er lässt schnell ein Brot backen und ein Essen zubereiten. Wie sich herausstellt, sind diese drei von Gott geschickt. Sie versprechen Abraham und Sarah, dass sie Nachkommen haben werden.  Abraham ist gastfreundlich und gewinnt dadurch eine große Zukunft. Eine solche Gastfreundschaft für die Fremden ist und bleibt eine Pflicht da, wo Menschen glauben. Heute ist es unsere Erkenntnis und unsere Pflicht.

Sich Menschen anzuvertrauen, die eine fremde Sprache sprechen, eine andere Hautfarbe haben, sich anders kleiden und anders leben, das kann Angst machen, Misstrauen fördern. Tatsächlich erlebe ich immer mehr Menschen in dieser Furcht und höre oder sehe in den Medien, wie aus dieser Furcht heraus rechtsgerichtete Demonstrationen gewalttätig gegen alles Fremde auftreten.

Das verbietet uns unser gemeinsamer Glaube. Das verbietet Gottes Recht. Johann Baptist Metz gilt als Begründer einer neuen politischen Theologie. Er sagt: „Wir müssen uns vergessen können, zurücktreten, damit der andere in seiner Einmaligkeit bei uns wirklich ankomme. Wir müssen ihn sein lassen können, ihn frei geben in seine eigene Art, die uns oft aufscheucht und zur schmerzlichen Verwandlung ruft .... Denn das Geheimnis des Lebens erschließt sich nicht in der Selbstgefälligkeit sondern der schöpferischen Gegenseitigkeit“. (TR: Quelle?) – Wir werden, positiv formuliert, beschenkt sein von dem, was im Fremden steckt. So geschah es auch Jesus an jenem Tag.
An jenem Tag nämlich wurde Jesus überrascht.

Jesus hat sich – was wir oft von ihm hören - zurückgezogen. Er war von der Westseite des Sees Genesareth gekommen und „in das Gebiet von Tyrus“ gegangen. Er hat damit die Galiläische Grenze im Norden überschritten. Das alte Tyrus war zu einer bedeutenden, freien Handelsmetropole geworden. Es galt den Juden als sprichwörtlich „heidnische Stadt“.

Es spricht sich wohl herum, dass Jesus im Haus ist. - Eine Besucherin tritt ein.

In dem, was jetzt folgt, wird jene Griechin das entscheidende Wort sprechen. Sie ist eine Syrophönizierin, so heißt es wörtlich, also eine einheimische, eine heidnische Frau; Manche sagen, diese Geschichte ist „die einzige Erzählung im Evangelium, in der Jesus als Verlierer dasteht,“  (Ebner).

Denn diese Nichtjüdin bittet Jesus inständig, ihre Tochter zu heilen. Es kommt zum Dialog, dem Mittelpunkt der Erzählung: einem der großen Dialoge, deren es in der Bibel so viele gibt. Eine echte Verhandlung. Dabei zeigt sich, wie tief Jesus im Glauben Israels verwurzelt ist. Aus diesen Wurzeln bezieht er seine Kraft. Gemeint ist die Liebe Gottes zu Israel, seinem Volk, seinem Kind. Gott spricht von Israel als seinem Erstgeborenen (Ex 4,22; Jer 31,9), seinem Lieblingskind, das er aus Ägypten gerufen hat. Alle sind sie Söhne und Töchter Gottes, und Gott ist es, der Mitleid hat mit seinem Kind, sich immer wieder erbarmt, es trägt und tröstet, wie es Vater und Mutter tun. „Geliebt sind die Israeliten,“ sagt Rabbi Aqiba, „denn sie sind Kinder Gottes genannt worden. Als eine besondere Liebe wurde es ihnen kundgetan.“

Jesus antwortet also der Frau und benutzt einen Vergleich: „Lasst zuerst die Kinder satt werden; denn es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und den kleinen Hunden vorzuwerfen.“ (V 27) Es ist dieses „Zuerst“, von dem auch Paulus noch spricht: „Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht: es ist eine Kraft Gottes zur Rettung für jeden, der glaubt, zuerst den Juden, aber ebenso den Griechen.“ (Röm 1,16)
Und das will die Frau auch gar nicht bestreiten; sie lässt sich auf das Bild ein. „Herr!“ sagt sie (übrigens als Einzige im Markusevangelium sagt sie „Herr“ zu ihm), „Herr, aber auch die kleinen Hunde unter dem Tisch essen von den Brotkrumen der Kinder.“ (V28)

Die Menschen sind immer für Überraschungen gut. Oft steckt viel mehr in ihnen, als wir auf den ersten Blick bemerken. Diese Frau lässt sich nicht beirren in ihrem Glauben. Jesus erkennt an jenem Tag die Tiefe in diesem Menschen aus dem fremden Land. Das überzeugt ihn. Also handelt er.

 

II

Ja, lieber Christoph, wir werden beschenkt von dem, was im Fremden steckt.
Die anderen Menschen sind immer für Überraschungen gut.
Das ist genau das, was Max, Jugend-Teamer in unserer Gemeinde, als Austausch-Schüler in den USA erlebt hat. In der Fremde sein. Nicht mehr im gewohnten Freundeskreis. Ganz anders geprägte Menschen kennenlernen.  Durch ganz neue Erlebnisse überrascht werden. Seine Profilbilder, mit denen er sich gezeigt hat in den sozialen Medien, veränderten sich immer wieder in diesem Jahr.
Das ist es doch, wenn ich auf Zugfahrten beiläufig ins Gespräch komme mit dem, der zufällig neben mir sitzt. Beim letzten Mal im Zug hat sich ein längeres Gespräch entwickelt über unsere jeweiligen Kinder, zwischen Münster und Osnabrück, dann musste ich raus. Und stieg aus mit einer neuen Idee für unsere Familie. 
Das mag es sein, wenn Sie oder ihr in den sozialen Netzwerken jemanden trefft – und es entspinnt sich ein längerer Austausch und sei es nur schriftlich.
Beschenkt werden von dem, was im Fremden steckt.

Hier in Pius-Lukas, im Ökumenischen Gemeindezentrum sind wir uns, Katholische und Evangelische, schon länger nicht mehr fremd.
Und weiterhin erleben wir, wie das ist, beschenkt zu werden durch die Anderen.
Eben deshalb, weil wir uns als die jeweils anderen persönlich begegnen.
Und das ist auch nach unseren ersten zwei Jahren hier vor Ort nicht erledigt.
Der Kontakt wird intensiver. Und es gibt weiterhin diesen Mehrwert.
Klar, ich weiß es aus Büchern: die katholische Eucharistie weist ein anderes Verständnis auf als unser evangelisches Abendmahl. Aber bei einem Plausch in eurem Gemeindebüro zeigt mir die Gemeindesekretärin diesen besonderen Schlüssel für den Tabernakel und spricht davon, wie wertvoll die geweihte Hostie für euch Katholiken ist. Sie wird deshalb wie in einem Tresor eingeschlossen. In diesem Moment ist das keine christliche Lehre mehr, sondern da ist ein Mensch, den ich schätzen gelernt habe und dessen Leben und Glauben anders geprägt ist.
Das ist wertvoll.
Und stößt in mir neue Fragen an: Was in meinem Glauben ist mir so wichtig? Was möchte ich wie in einem Tresor schützen?

Das eine ist unsere immer intensivere Begegnung zwischen katholisch und evangelisch geprägten Christenmenschen hier am Ökumenischen Zentrum. Aber wir leben ja – natürlich auch hier in Krefeld - in einer sehr viel bunteren Gesellschaft.
Krefeld, liebe Hörerin, lieber Hörer, hat sogar eine Tradition der Vielfalt.
Es gab hier schon Toleranz im Zusammenleben der christlichen Konfessionen, als sie sich anderswo noch bekämpften: Die mennonitischen Seidenweber fanden schon Anfang des 17. Jahrhunderts in Krefeld die tolerante Haltung der Grafschaft Moers. Anderswo wurden die Mennoniten damals noch verjagt. Diese Liberalität hat letztlich den späteren Wohlstand der Seidenstadt Krefeld möglich gemacht.
Und diese tolerante Tradition wird in Krefeld Gott sei Dank immer wieder bewusstgemacht und dauerhaft hochgehalten.
Heute leben in Krefeld zahlreiche verschiedene Religionen nebeneinander und pflegen auch Kontakt. Von Schützen-, Bürger-, Kultur über Sportvereinen bis hin zu karitativen Initiativen gibt es ein vielfältiges städtisches Leben. Und seit 2020 gibt es auch den Christopher Street Day in Krefeld.

Vielleicht wäre Jesus im ersten Moment von dieser multikulti Vielfalt hier und in anderen Städten überfordert gewesen.
Jesus, finde ich, macht zunächst keine so gute Figur in dieser Geschichte, die wir vorhin gehört haben. Er weist die Frau zurück.
Aber sie ist doch in Not wegen ihrer Tochter. Die Tochter quält sich doch mit einem Dämon (oder sagen wir, mit einer psychischen Krankheit).
Und Jesus weist sie zurück.
Keine gute Figur. Eher empörend.
Aber glücklicherweise lässt er sich wenigstens auf den Kontakt mit der Fremden ein. Immerhin.
Immerhin wendet er sich nicht wortlos ab. Tut nicht so, als hätte er sie nicht gesehen. Er hört ihr zu.
Das geht ja schlimmer: die Fremden unwillig abweisen. Verbal angreifen. Aggressiv werden in der Begegnung. Du, lieber Christoph, hast es schon angesprochen.
Jesus lässt sich auf das Gespräch ein, nimmt den Kontakt auf – und dabei wird er dann überraschend bereichert. Mit diesem Brotkrumen-Gedanken. Dass vom Tisch immer auch etwas abfällt für die anderen, für alle.
Jesus lernt diese neue Sichtweise durch die Weisheit der Frau aus Syrophönizien:
Unsere Aufmerksamkeit soll nicht beschränkt bleiben auf die eigenen Kreise. Sondern unsere Aufmerksamkeit soll auch für die anderen da sein.

Ich finde, wir Kirchengemeinden machen da manchmal auch keine so gute Figur. Wir bleiben zu sehr unter uns. Legen Wert darauf, dass es unter uns schön, angenehm und gemütlich ist. Und vielleicht gilt das auch für manchen Sportclub, für manche Nachbarschaft, für manche Karnevalsgesellschaft.
Keine so gute Figur machen: zu sehr unter sich bleiben.
Ja, es ist schön, wenn wir zusammenkommen. Es ist schön, dass wir uns haben als Gemeinschaft.
Das ist das Zuerst, das ich von Jesus höre. Das ist sicher gut und wichtig.
Aber die Weisheit der Frau aus Syrophönizien ist, dass wir immer auch darüber hinaus gucken sollen. Nicht nur im eigenen Saft schmoren, sagt man ja.
Dass wir auch aufmerksam sind, uns interessieren und Ausschau halten nach den Anderen, nach denen, die uns noch fremd sind.
Brosamen der Aufmerksamkeit auch für die anderen!
Solche „Brosamen der Aufmerksamkeit für andere“ waren bei uns: etwa der Sprachkurs für Geflüchtete in unserer Gemeinde. Bis heute gibt es Kontakte aus den Jahren 2015/2016.
Eine Idee war auch die lange Kaffeetafel auf der Hauptstraße durch unseren Stadtteil Gartenstadt. Da sind alle eingeladen, einfach dazuzukommen, sich mit den anderen zu treffen und etwas mitzubringen. Corona hat dann die Umsetzung verhindert, aber eines Tages werden wir das machen.
Interessant wäre auch als Christinnen und Christen am Ökumenischen Zentrum Kontakt zu einer Moscheegemeinde zu pflegen. Vielleicht werden wir zu einem Fastenbrechen eingeladen.

Das wünsche ich uns in unserer ökumenischen Wohngemeinschaft – und jedem Club,  jedem Verein, jeder Nachbarschaft – dass es nicht nur unter uns schön, angenehm und gemütlich ist. Sondern dass wir Brotkrumen der Aufmerksamkeit und des Interesses auch für die ganz anderen haben.
Dann erleben wir, was Jesus und die Frau aus Syrophönizien erleben:
Bereichert werden durch die Begegnung.
Der eine erweiterte seinen Horizont. Und bei der anderen wurde die Tochter geheilt.
Und bei mir? Bei uns?
Wir können gespannt sein, wie wir immer neu beschenkt werden durch die Anderen.

Amen

 

Es gilt das gesprochene Wort.

01.08.2022
Pfarrer Christoph Zettner (kath), Pfarrer Christoph Tebbe (ev.)