Wo sich Himmel und Erde berühren

uta-katharina gau

Wo sich Himmel und Erde berühren
Gottesdienst-Live-Übertragung aus der Inselkirche Hiddensee
03.07.2022 - 10:05
11.06.2022
Pastor Konrad Glöckner
Über die Sendung:

Im Zentrum des Gottesdienstes steht der "Hiddenseer Rosenhimmel" der Klosterkirche Hiddensee. Vor hundert Jahren, 1922, malte der Berliner Kunstmaler Max Nikolaus Niemeier die Rosen an die Kirchendecke. Inselpastor Dr. Konrad Glöckner wird die Predigt halten, Eckart Pätzold spielt die Schuke-Orgel.

 

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Predigt zum Nachlesen

I

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus, Amen.

Damit, - damit hatte niemand gerechnet!

Was hat sich der Berliner Kunstmaler Nikolaus Niemeier nur dabei gedacht, als er vor 100 Jahren unsere Inselkirche so ausmalte?

Sechs Wochen war er in der Inselkirche tätig gewesen. Er selbst hatte der Kirchengemeinde angeboten, diese Malerarbeiten auszuführen. Kostenlos! Bedingung allerdings war, dass niemand zusehen dürfe, während seines Tuns. Die Gemeinde ging auf das Angebot ein. Und so trugen Hiddenseer Fischer lange Reusenstangen in die Kirche, zimmerten ein Gerüst daraus und gingen wieder nach Hause. Was sollte schon Außergewöhnliches geschehen? Nun kehren sie wieder, und gemeinsam mit ihnen betreten auch wir den Raum. Neugierig erheben wir unseren Blick und sehen – Rosen?

Das gesamte Tonnengewölbe leuchtet hellblau, wie der Himmel. Doch statt mit Sternen oder Wolken ist er mit Rosen übersät. Um größere Rosenbouquetes reihen sich, jeweils kreisförmig angeordnet, einzelne Blüten, wie ein tänzerischer Reigen. Ein wiederkehrendes Muster! Wie eine Choreographie in einem Ballsaal. „Früher sah unsere Kirche aus wie ein Schweinestall. Und nun sieht sie aus wie ein Tanzsaal.“ – grummelt ein Fischer vor sich hin.

Was hat sich der Maler nur dabei gedacht?

 

Was er sich gedacht hat, das wissen wir! In einem Brief an den damaligen Pastor teilt er es mit: Er wolle ein Beispiel geben und andere dazu anleiten, dafür zu sorgen, dass uns „das an und für sich schwere Leben leicht und schön werde“, schreibt er. Menschen wollte er befähigen, ihrem Leben mit Freude und Leichtigkeit zu begegnen, – und das ist ihm gelungen. Immer wieder berichten uns Besucher, wie überraschend wohltuend und angenehm sie diese Kirche empfinden. Sie fühlen sich in guter Weise aufgenommen, angesprochen, berührt – und gehen beglückt, fröhlich, freier wieder weiter in den Tag. Und dieses Empfinden verstehe und teile ich selbst.

Der Innenraum nimmt den Eintretenden behutsam auf und vermittelt ihm ein Gefühl von Geborgenheit. Er ist klein, aber nicht bedrückend, düster oder beklemmend – wie er vor der Ausmalung gewesen sein mag. Seine Wände sind weiß, voller Licht und bringen den Rosenhimmel zum Leuchten. Es scheint, als würde das Tonnengewölbe den Raum nicht begrenzen, sondern als wäre es transparent und geradezu durchsichtig. Es ist, als könne man hindurchsehen in eine weitere, größere Welt.

Geborgenheit und Weite zugleich – beide Erfahrungen sind für uns Menschen grundlegend wichtig, und hier in der Kirche sind sie beide durch die Deckenmalerei eng miteinander verwoben. Ich betrachte den Rosenhimmel – und noch in der Kirche verweilend finde ich mich zugleich auf der Insel wieder. Ich stehe am Weststrand, dessen Dünen von Heckenrosen überzogen sind, deren rote Blüten sich vom strahlend blauen Sommerhimmel abheben. Mein Blick geht zum Wasser mit seinem unendlichen Horizont und mich erfasst das Gespür, dass es Mächte und Kräfte gibt, die größer sind als wir Menschen und all unserer Vermögen. Aber dies macht mir keine Angst. Ich fühle mich nicht bedroht, sondern weiß mich gehalten. Das Bekenntnis, das wir uns zu Beginn dieses Gottesdienstes bekräftigt haben: „Meine Hilfe steht im Namen des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat“ klingt nach und gewinnt anschaulich einen Bezug.

Mir wird deutlich: Die alten Worte und Bräuche unseres Glaubens – sie nehmen mich nicht aus den Fragen heraus, die mir in meinem Alltag begegnen. Diese alten Worte und Bräuche – sie begleiten mich durch mein Leben, und sie geben mir die Kraft, mich den Fragen des Lebens mutig zu stellen.

Drinnen oder Draußen? Die Frage stellt sich nicht. Es gibt keine Binnenwelt kirchlicher Frömmigkeit als einem geschützten Sonderraum neben dem eigentlichen, dem wirklichen Leben. Im Glauben sind wir geborgen und zugleich doch voller Weite  und offen für die Welt.

Unsere kleine Inselkirche mit ihrem Rosenhimmel tut vielen, die hierher kommen, einfach gut. So wie auch Hiddensee, dieser begrenzte, überschaubare Flecken Erde, dieses Söte Länneken mit seinem hohen Licht und der Weite des Meeres vielen Menschen einfach guttut. Manch Seelengepäck bleibt am Festland zurück und verliert für die an Gewicht, die sich mit dem Schiff der Insel nähern. Schon der Maler Nikolaus Niemeier kannte diese Erfahrung: „Geh nach Hiddensee – da wirst du licht und frei!“ – schrieb er in einem Gedicht. Er kannte diese Erfahrung, und im Rosenhimmel fing er sie ein.  Malerisch verband er sie mit der Inselkirche und verknüpfte sie auf diese Weise mit dem Glauben und der Hoffnung, für die unsere Kirche steht. Durch den Rosenhimmel hat Niemeier die Kirche zu einem Herzstück der Insel gemacht – und die Insel selbst als ein Sinnbild von Glaubenszuversicht. Viele Menschen erleben das so. Ein Besuch auf der Insel ohne Einkehr in die Kirche – ohne einen Blick auf den Rosenhimmel – wäre undenkbar, zumindest unvollständig für sie. Und das ist doch schön,-: Die Sehnsucht und die Liebe so vieler Menschen zur Insel Hiddensee erweist sich in ihrer Tiefe als Sehnsucht nach einem tragenden Grund für ihren Glauben. Hiddensee und der Rosenhimmel der Inselkirche lehren uns, dass uns „das an und für sich schwere Leben“ letztlich doch als leicht und schön erscheinen kann.

 

II

Die Erfahrung des Schweren war für den Maler Niemeier mit einer Kriegsverletzung verbunden, die er im Ersten Weltkrieg erlitt. Lebenskraft und Lebensfreude waren für ihn seither gebrochen. Zeit seines Lebens kämpfte er nun gegen Schwermut und Düsternis. Es war der Anblick von Blumen, der ihn weiter daran glauben ließ, dass das Gute und Schöne stärker waren als alles Schreckliche auf dieser Welt. Die Schönheit der Blumen vermittelte ihm ahnungsvoll die Erfahrung: Das Leben, in dem wir uns vorfinden, ist in seinem tiefsten Grund heilig und heil, in seiner Tiefe gut und auf eine geheimnisvolle Weise bejaht, die keine Gewalt und keine Macht des Bösen zerstören kann. Auf diese Erfahrung konnte und wollte er sich vertrauensvoll einlassen.

Daher die Rosen! Hindurchblicken auf eine größere, weitere Wirklichkeit! Dies kommt dem Satz aus dem Glaubenslied, das wir vorhin gesungen haben, sehr nahe: „Wir glauben fest, dass diese Welt in ihrer Schönheit uns erzählt: Sie ist zu gutem Sinn gemacht, und Gott hat sie dafür erdacht.“ Dieses Bekenntnis freilich wird getragen von dem Satz aus der darauffolgenden Strophe: „Wir glauben stark, dass nicht der Tod die Welt regiert mit seiner Not …“

Denn die Erfahrung der Gebrochenheit des Lebens, und die Erfahrung, wie wir selbst in vielfältiger Weise hinter unseren Hoffnungen, Erwartungen oder Möglichkeiten zurückbleiben, macht sich an ganz existentiellen, unser Leben bedrohenden Fragen fest. Dies galt zu Zeiten Niemeiers ebenso, wie heute. Heute bedrohen uns Pandemie, Krieg – ja wiederum Krieg, und das Tempo, mit dem das lebensermöglichende Klima unserer Erde aus dem Gleichgewicht fällt.

Kann uns angesichts so handfesten Bedrohtseins eine kleine Insel mit ihren Heckenrosen dazu verhelfen, dass unsere Gemüter von all dieser Last befreit werden und dass wir von Herzen frei und fröhlich bekennen, dass das an und für sich schwere Leben letzthin doch leicht und schön sei? Sicherlich nicht, wenn wir die Insel als einen Fluchtort aufsuchen, auf dem wir versuchen, im eigenen Glücke zu schwelgen und die Augen vor dem Leid der Welt zu verschließen. Die Insel selbst und ihre Schönheit genügen uns nicht als Gegengewicht gegen die Lasten der Welt. Doch wenn uns die Insel in ihrer Schönheit ergreift, wir innehalten und staunend erfahren, wie wir durch die Schönheit der Insel hindurch berührt werden von der Erhabenheit und der Heiligkeit des Lebens selbst, dann wohl. Dann, wenn sich Himmel und Erde berühren.

 

Wir wandern zurück, von der Insel wieder in die Kirche hinein, die wir ja eigentlich gar nicht verlassen hatten – nur dass uns der Kunstmaler Niemeier mit dem Rosenhimmel einen Durchlass zwischen den verschiedenen Orten geschaffen hat. Und nun, wieder in der Kirche, hören wir eine Geschichte, die unserer Sehnsucht nach heilem, selbst dem Tod trotzenden Leben Erfüllung verheißt: Jesus, der Gekreuzigte, so hören wir, hat den Tod überwunden und sich als Auferstandener seinen Jüngern gezeigt. Durch verschlossene Türen tritt er zu ihnen. Er durchbricht die Engen und Ängste ihres Daseins und spricht ihnen zu: Friede sei mit Euch! Können wir dieser Geschichte glauben, wir, die wir sie doch selbst nicht erlebt haben? Können wir dem Frieden trauen, von dem Jesus erzählt? Zweifel sind angebracht und legitim! Legen wir doch den Finger in die Wunde – genau das sollten wir tun, den Finger in die Wunden legen – überall dort, wo Leid und Tod vorherrschen. Nur wenn sich dort zeigt, dass die Wunden heilen, die Leid und Tod schlagen, nur dann kann doch das Zeugnis, dass die Macht des Todes gebrochen ist, überzeugend und wahr für uns sein.

So jedenfalls hat es Thomas empfunden, einer der Jünger, der nicht da war, als Jesus erschien. Als Zweifler ist er uns nah. Doch dann wiederholt sich das Ereignis und Jesus begegnet auch ihm. „Mein Herr und mein Gott“ – bekennt Thomas nun! – doch tadelnd erwidert ihm Jesus: Weil du mich gesehen hast, darum glaubst du? Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!

Selig sind, die nicht sehen und doch glauben? Was ist denn dem Thomas entgangen, woran er sich hätte festmachen können, wenn ihm das Zeugnis der anderen zu unglaubwürdig erscheint? Was sollte ihn dazu bringen, etwas zu glauben, was all seine Erfahrungen und Erwartungen sprengt?

Dass die anderen Jünger andere Menschen geworden sind, ausgestattet mit innerem Frieden, mit Zuversicht und mit gutem Geist – das hätte er sehen und spüren können. „Nehmt hin den Heiligen Geist.“ hatte Jesus zu ihnen gesagt; „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich Euch.“ und „Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen“ – Die Jünger haben eine Vollmacht im Geist die sogar Vergebung und Neuanfänge im Leben gelingen lässt!

Und zweifellos, diese beeindruckende Erfahrung kenne ich! Mir sind schon oft Christen begegnet, die aus ihrem Glauben die Kraft gewinnen, sich mit frohem Mut und weiten Herzen dem Leben zu stellen. Manchmal sind es nur kleine Gesten, die Mut machen und Trauernde trösten. Andere handeln ganz selbstlos und zeigen mir dabei, wie befreit und leicht sie mit ihrem Leben umgehen können. Wiederum andere sind gastfreundlich, sind offen gegenüber Fremden, haben Mut, wahrhaftig zu sein oder sind bereit, sich zu versöhnen.

Alle diese Menschen bezeugen mir den Sieg des Lebens über den Tod. Und ich bin mir sicher, wir alle könnten uns solche Geschichten erzählen. Immer wieder bricht sich das Leben völlig neu Bahn, inmitten unserer alten Welt. Wieder und wieder!

Noch immer betrachten wir den Rosenhimmel am Tonnengewölbe der Kirche. Nun aber durchschreitet unser Blick nicht mehr das dargebotene Tor zum Erleben der Insel und einer noch darüber hinausgreifenden Welt, sondern bleibt bei dem Gemälde selbst und seinem stets wiederkehrenden Muster haften: Um größere Rosenbouquetes reihen sich jeweils kreisförmig angeordnet einzelne Blüten. Wieder und wieder. Wie eine Choreographie in einem Ballsaal. Oder wie die wiederkehrende Litanei der Mönche dereinst hier in Kloster. Die Blumen selbst scheinen zu tanzen. Und zu beten. Wir versuchen ihre Schrittfolge aufzunehmen und merken, wie wir leicht und frei werden und uns tänzerisch hinauswagen in das an und für sich schwere Leben. Es hat seine Last, aber es erdrückt uns nicht. Wir fühlen uns sicher geborgen und auf weiten Raum gestellt zugleich. Die Rosen inmitten der Kirche lassen uns Momente in unserem Leben entdecken, in denen sich Himmel und Erde berühren. Das Wort vom Leben ragt hinein in unseren Alltag. Gottes Geist selbst bewegt uns, und wir lernen und aus der Kraft des Glaubens zu leben, dass unser Leben gewollt und bejaht ist, so dass selbst der Tod es nicht zu zerstören vermag. Und so werden auch wir zu Zeugen dieser frohen Botschaft. Wieder und wieder. 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne, in Jesus Christus, unserem Herrn. Amen.

Amen

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

 

11.06.2022
Pastor Konrad Glöckner