Voller Vertrauen auf Gottes unverdiente Gnade leben und Gottes Willen tun

Evangelischer Rundfunkgottesdienst aus der St. Nicolai Kirche in Wiedensahl
Voller Vertrauen auf Gottes unverdiente Gnade leben und Gottes Willen tun
Evangelischer Rundfunkgottesdienst aus der St. Nicolai Kirche in Wiedensahl
27.08.2017 - 10:05
Über die Sendung

Thema des Gottesdienstes ist die Spannung zwischen unverdienter Zuwendung, die Jesus besonders den aus der Gesellschaft Ausgegrenzten schenkt, und seiner Forderung an die Verantwortungsträger, den Willen Gottes zu tun, und nicht nur davon zu reden.

Der Frage, wie diese Spannung zu lösen ist, geht Pastor Joachim Diestelkamp in seiner Predigt auf den Grund. Die Lektorinnen sind Bärbel Äbel, Heidemarie Peeck und Anja Zißing.

Im Gottesdienst wird der weit über die Dorfgrenzen hinaus berühmte Wiedensahler Handglockenchor unter der Leitung von Thomas Eickhoff zu hören sein; mit von der Partie ist auch der Posaunenchor unter der Leitung von Heiko Deterding. Auf der Orgelbank sitzt Stiftskantor Michael Merkel und begleitet eine Gemeinde, die gerne das Gotteslob singt.

Die alte St. Nicolai Kirche steht mitten im Dorf. Sie wurde im 13. Jahrhundert erbaut und im 16. Jahrhundert vergrößert.

Wiedensahl ist ein aktives, quirliges Dorf zwischen Minden und Hannover mit etwa 1000 Einwohnern, mit vielen Vereinen und einer engagierten Dorfjugend. Etwas Besonderes ist die große Musikbegeisterung.

Berühmtester Sohn Wiedensahls ist der Maler und Dichter Wilhelm Busch. Der Schöpfer von "Max und Moritz" wurde in Wiedensahl geboren und hat viele Jahre seines Lebens hier gelebt und gearbeitet.

 

Gottesdienst nachhören

Den Gottesdienstmitschnitt finden Sie auch direkt unter http://www.deutschlandradio.de/audio-archiv.260.de.html?drau:broadcast_id=122

Predigt zum Nachlesen

Liebe Gemeinde, liebe Hörerinnen und Hörer!

 

‚So richtig aus dem Leben gegriffen‘, ist diese Geschichte, die Jesus erzählt:

Zwei Söhne – noch grün hinter den Ohren, noch voller Rivalität gegen den Vater. Der eine sagt erst nein- dann tut es ihm leid, und er macht doch, worum der Vater ihn gebeten hat. Der andere sagt gleich ja- und kaum hat er sich rumgedreht, macht er, was er will.

Eine Mutter klagt mir ganz ähnlich über ihre Tochter. Zimmer aufräumen. „Ja, Mutter.“ Fünf Minuten später ist sie fertig. Die Mutter kommt, um nachzusehen. Tatsächlich: nichts liegt mehr auf dem Boden herum, aber als sie die Schubladen aufzieht, quillt ihr das Chaos entgegen: Die Kleidung hineingestopft. Dreckige Wäsche neben sauberer. Alte, verschimmelte Schulbrote. Zwischendrin dutzende Plastikfingernägel…

Ganz anders der zwei Jahre ältere Sohn, sagt sie. „Lass mich bloß in Ruhe“, stöhnt er, als das Thema Aufräumen angesprochen wird. Es sieht schlimm aus bei ihm. Auf dem Fußboden Klamotten verstreut, der Schreibtisch ein Chaos. Aber näher hingesehen, herrscht in den Schubladen absolute Ordnung. Die Stifte liegen in Reih und Glied. Alles ist 100% ordentlich und dort, wo es sein soll. Nur die Oberfläche ist das deutlich sichtbare Zeichen seiner Rebellion. „Ich höre doch nicht auf Dich! Aufräumen? Nein danke!“

Mit der Tochter hat sie viel mehr Probleme als mit dem Sohn, sagt mir die Mutter. Immer wieder muss sie nachhaken. Kann sie nicht mal lernen, richtig aufzuräumen? Dagegen kann sie über die absichtliche Unordnung ihres Sohnes entspannt lächeln.

Genauso kritisiert Jesus das Verhalten des „Ja-Sagers“. Etwas allgemeiner ausgedrückt sagt er: Schöne Sonntagsreden solltet Ihr Euch sparen, wenn Ihr den Reden nicht auch Taten folgen lasst. Es kommt darauf an, den Willen Gottes zu tun, und nicht nur seine Überzeugung mit frommen Worten zu bekennen.

Das hat mehr mit unserem Alltag zu tun, als man denken möchte. Und es kann schnell sehr politisch werden. Die meisten Menschen in Deutschland z.B. teilen die Überzeugung, dass die Energiewende notwendig ist. Gleichzeitig werden aber immer mehr unnötig große, treibstoff-fressende und aerodynamisch schlechte SUV-Fahrzeuge zugelassen. Das passt nicht zusammen. Das ist Ja sagen und Nein tun.

Ebenso wenig passt zusammen, wenn Menschen gegen industriemäßige Tiermast sind, trotzdem aber ihr Fleisch gern billig beim Discounter kaufen. Oder sie wollen sauberen, grünen Strom beziehen, sind aber dagegen, wenn neben dem Dorf auf ausgewiesenen Flächen weitere Windkraftanlagen gebaut werden sollen. „Ja“ sagen und das Gegenteil tun, das zieht sich wie ein roter Faden durch unsere Gesellschaft. Von der Steinzeit bis heute. Jesus macht mit seiner kleinen Alltags-geschichte darauf aufmerksam und meint: Unser Denken und Reden sollte mit unserem Handeln übereinstimmen.

Am besten ist natürlich „Ja“ sagen und „Ja“ tun. Am zweitbesten ist immerhin: „Ja“ zu tun, auch wenn ich erst „Nein“ gesagt habe. Die Zuhörer von Jesus sind sich da ganz einig. Ich brauche mich nicht festnageln zu lassen auf mein Gerede von gestern. Heute sage ich ‚Ja‘ und tue, was mir meine innere Stimme als das Richtige eingibt. Was ich heute als das Gute, als den Willen Gottes erkenne.“

Vermutlich steckt in jedem von uns ein „Nein“- und ein „Ja“-Sager, also auch ein „Ja“-Tuer und ein „Nein“-Tuer. Wir müssten uns selber ab und zu prüfen, wenn die mal wieder etwas machen wollen, was eigentlich ganz und gar gegen unsere Überzeugung ist. Und uns selbst ermuntern, auch wirklich umzusetzen, was das Herz als gut erkannt hat. Mitunter ist das unbequem oder ruft Widerstand hervor. Wer versucht den Willen Gottes zu tun, macht öfters diese Erfahrung. Aber nur so wächst die neue Welt Gottes mitten unter uns, und der Himmel öffnet sich, und es wird menschlicher, gerechter und liebevoller in der Welt. Möge Gott uns den Mut und die Kraft dazu schenken. Darüber nachzudenken, lohnt sich.

 

Es gibt noch eine andere Ebene in unserer Geschichte: Jesus hat ein Streitgespräch mit seinen Zuhörern. Das sind Priester vom Jerusalemer Tempel und politisch Verantwortliche aus der Stadt. Diese Leute finden Jesus gefährlich. Sie stören sich daran, dass Jesus mit göttlichem Anspruch auftritt, dass er im Namen Gottes heilt und Sünden vergibt und dass er – besonders anrüchig, mit Zöllnern und Prostituierten verkehrt, in deren Häusern zu Besuch ist, mit ihnen isst und trinkt. Das macht man nicht. Nach damaligen Vorstellungen machte man sich damit die Finger schmutzig und verletzte religiöse Gefühle.

Jesus provoziert seine Streitpartner. Johannes der Täufer, sagt er, der hat den Weg der Gerechtigkeit verkündigt und er hat alle ohne Unterschied getauft. Ihr habt Johannes den Täufer abgelehnt. Ihr habt Nein gesagt zum Weg der Gerechtigkeit. Ihr habt seine Taufe abgelehnt. Ihr seid „Nein“- Sager und „Nein“- Tuer, sagt Jesus. Aber die Zöllner und Prostituierten, die Johannes getauft hat und mit denen Jesus gegessen und getrunken hat, die haben ein neues Leben angefangen. Die gehen auf dem Weg der Gerechtigkeit. Die haben „Ja“ gesagt und sie tun „Ja“.
Und weil sie das machen – durch die positive Begegnung mit Jesus, deshalb haben sie den Priestern und Politikern in Jerusalem etwas voraus. „Wahrlich, ich sage euch“, sagt Jesus: „Die Zöllner und Huren kommen eher ins Reich Gottes als ihr.“

Wer sind die Zöllner und Huren heute? Ich denke, es sind Leute, die ständig vermittelt bekommen, nicht in die Gesellschaft oder nicht in die Kirche zu passen.

Womöglich verhalte ich mich heute ungewollt so wie ein Priester damals. Und mit mir die Kirche, die ich vertrete. Wir haben in unseren Kirchen ähnlich wie damals hunderte von Regeln und Gesetzen, die man kennen und am besten auch einhalten sollte. Wer sich als Neuling in einen Gottesdienst verirrt, wird mit Regeln konfrontiert, die er oder sie nicht durchschaut: Er sieht Menschen plötzlich aufstehen und sich wieder setzen, und weiß gar nicht warum. Vorn steht eine schwarz verkleidete Frau oder ein verkleideter Mann. Die Leute singen auswendig alle möglichen fremdartigen Liedstückchen, dann wieder sprechen sie zusammen Gedichte, die man auch kennen müsste. Sie singen Lieder, die man nirgends im Radio hört – außer man hört zufällig einen Radiogottesdienst. Dann wird etwas vorgelesen in einem uralten Deutsch, sodass man kaum etwas versteht. Es kann passieren, dass einem kleinen Kind Wasser über den Kopf geträufelt wird oder alle essen ein Stück Brot und trinken danach aus einem silbernen Pokal. „Da passe ich nicht hinein, da verstehe ich nichts“, denken Neulinge. Ich kann das nur zu gut verstehen: so wie wir Kirche manchmal erleben, ist es eine Sache für Insider geworden.

Jesus hat die ausgetretenen Pfade, auf denen die Priester gingen, verlassen. Er war in ganz anderer Weise für die Leute da, besonders für die Kranken und für die aus der Gesellschaft Ausgestoßenen. Die mussten nicht erst Regeln befolgen und anders werden, um dazu zu gehören. Jesus ist ihnen da begegnet, wo sie waren und hat sie so genommen, wie sie sind. Das hat Menschen gesund gemacht an Leib und Seele und ihnen wieder einen Platz in der Gesellschaft gegeben. So hat er sie Gott erfahren lassen.

Gott sei Dank passiert das ja auch heute landauf- und landab in den Kirchengemeinden und anderswo, z.B. beim unglaublichen Engagement für Geflüchtete. Und trotzdem, wünschte ich mir eine noch viel offenere Willkommenskultur. Nicht nur für Geflüchtete, sondern für alle, die mit Kirche etwas anfangen wollen. Das ist manchmal schwierig, das bedeutet Veränderung. Buße heißt das in der Bibel. Doch es lohnt sich! Das reicht von einem liebevoll gestalteten, ansprechenden Gottesdienst bis zum Konfirmandenunterricht.

Vor vielen Jahren hatte ich einmal drei Rabauken im Konfirmandenunterricht. Die konnten mit unserem Bildungsprogramm überhaupt nichts anfangen. Da ging überhaupt nichts mehr. Die mischten auch die anderen auf. Es war einfach bloß scheußlich Woche für Woche. Da habe ich meiner Kollegin gesagt: Ich muss mit den drei Rabauken ein Extraprogramm machen. Nimm Du bitte die anderen zu Deiner Gruppe hinzu. Die hat das gemacht. War toll von ihr. So konnte ich mich auf die drei ganz intensiv einlassen. Die brauchten was Praktisches zu tun, z.B. die Turmuhr jede Woche aufziehen. Am Ende haben wir uns bestens verstanden. Die drei fühlten sich nicht mehr draußen vor. Es wurde eine super Konfirmandenzeit. Aber ganz anders als sonst.

Ich müsste mich so ein Aussteigen aus den gewohnten Pfaden öfters trauen. Wir alle vielleicht. Dann mag es leichter fallen: Ja sagen und das entsprechende Tun. Gott schenke uns den Mut und die Bereitschaft dazu. Amen.