Wie Gott das Leben durchdringt

Wie Gott das Leben durchdringt
Rundfunkgottesdienst aus der Immanuelkirche in Köln-Stammheim
30.05.2021 - 10:05
21.05.2021
Thomas Fresia
Über die Sendung

Prediger: Pfarrer Thomas Fresia 

Liturgie: Pfarrer Thomas Fresia und Christiane Friedrich

Musikalische Leitung: Thorben Zepke

Orgel: Thorben Zepke

Harfe: Konstanze Jarczyk

Gesang: Ulrich Kordes

Gesang: Andreas Hoffmann

 

 

Gottesdienst nachhören

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Predigt zum Nachlesen
 

Teil 1: Gott, die schöpferische Kraft

Manchmal träume ich tagsüber vor mich hin. Dann gehen die Gedanken spazieren. Oder ich liege abends noch lange wach. Dann rauben Fragen den Schlaf. Wie bei Nikodemus, den die Geschichte mit Jesus nicht losgelassen hat. Sorgen bereiten mir Kopfzerbrechen. Ängste lassen mich unruhig hin- und herwälzen. Es gibt auch das andere: Glücksmomente wirken nach. Visionen machen sich breit.

Der Zoff mit der Tochter, der bis zum Tagesende unversöhnt blieb.

Die Sorgen um die Pandemie mit all ihrer Dynamik und den Folgen für meinen Alltag – ob wir das wohl jemals in den Griff kriegen?

Die ungezählten flimmernden Kacheln auf den Bildschirmen bei den Videokonferenzen der letzten Tage.

Aber auch:

Der atemberaubende Ausblick auf die Weinberge und der frische Duft des Waldes bei der Wanderung am letzten Wochenende.

Die Faszination über die Nachricht, dass da eine Raumsonde unlängst ein Foto von der Marsoberfläche gemacht hat – Gestochen scharf, obwohl Lichtjahre weit entfernt, und von der Erde aus ferngesteuert – Distanz scheint keine Rolle mehr zu spielen.

 

Und die Gedanken schweifen weiter, bis hinter den Horizont. „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen – woher kommt mir Hilfe? Meine Hilfe kommt von dem, der Himmel und Erde geschaffen hat.“ – Der Beter eines alten Psalms bringt es auf den Punkt. Wer steckt dahinter? Zu viel für bloßen Zufall. Zu strukturiert für reines Schicksal. Und zugleich immer wieder: unfassbar und unbegreiflich, so viel mehr als ich denken und begreifen kann.

 

Gott ist der Schöpfer all dessen, was mich umgibt. All dessen, was ich bin.

Schöpfer auch der schweren, der unschönen, der gehassten Seiten des Lebens?

Für mich ist das oft schwer vorstellbar. Und doch lässt mich der Eindruck nicht los, dass Gott auch dort zu finden ist. Nein, nicht als Vernichter des Lebens, sondern eher als schöpferische Kraft selbst und gerade in der Krise. Also vielleicht als Trost und Zuspruch. Oder als Aufgabe, die mir etwas zu lernen gibt. Oder als Lebensmut und neue Verheißung.

 

Mein Wälzen findet etwas Ruhe in dem Gedanken, dass das nicht alles in meinen, in unseren menschlichen Händen liegt. Dass es da eine Kraft gibt, die dahintersteckt. Oder auch darunter oder darüber. Es hilft zu ordnen. Einzuordnen, was mir zu durcheinander geworden ist, was ich ganz augenscheinlich nicht gelöst bekomme. Worauf ich keine Erklärung finde. Weil ich sie auch gar nicht zu finden brauche. Und deshalb leben kann mit der Unfertigkeit meiner Gedanken. So dass ich weiter schlafen kann trotz aller Sorgen und Ängste. Und selbst das größte Glück mich nicht auf ewig gefangen nimmt, so schade sich das vielleicht auch anfühlen mag.

 

Gott als Kraft, aus der heraus Neues entsteht. Jeden Tag, ja mit jedem unverwechselbaren Atemzug. „Siehe, ich mache alles neu.“ wird diese Kraft in der Offenbarung zitiert. Aus dieser Kraft kann ich schöpfen. Gerade, wenn ich mich in meiner Komfortzone eingerichtet habe. Ich habe die Chance, nicht festzufahren, nicht in der Sackgasse zu bleiben, nicht zu resignieren. Sondern bei Gott Kraft zu schöpfen.

 

Gott, die Quelle meines Daseins.

 

Teil 2: Christus, der Gott als Mensch

„Siehe, ich mache alles neu.“ Sagt dieser Gott. So unbegreiflich. Unfassbar. Unnahbar. Ja, oft genug auch geradezu unglaublich.

 

In Jesus zeigt Gott sich von seiner menschlichen Seite. Seine Geschichte liest sich, als sei er einer von uns. Und doch auch irgendwie ganz anders. Schon von Beginn an wird deutlich, dass es für Gott kein „normal“ gibt. Keine Mehrheitsmeinung, keine Konvention, kein Herdendruck. Sondern einzig und allein Gottes Gesetz, und das heißt: Liebe. Liebe zu Gott. Liebe zum Nächsten. Liebe zu dir selbst.

 

Jesu Leben buchstabiert diese Liebe durch alle Lebensbereiche. Schon die Geburtsgeschichte zeigt es: Jemand stellt aus Nächstenliebe wenigstens seinen Stall zur Verfügung für die hochschwangere Frau mit ihrem Verlobten. Nur so geht es – und jedes Jahr zu Heiligabend lassen sich Millionen Menschen davon anrühren. Später zieht der erwachsene Jesus aus Nazareth durchs Land. Er lehrt, predigt und heilt. Die vielen Wundergeschichten haben immer etwas damit zu tun, dass Menschen die Liebe entdecken oder durch die Liebe anderer Hilfe erfahren. Der Gelähmte wird von seinen Freunden mit seinem Bett durch ein Dach getragen. Der liebevolle Vater des epilepsiekranken Jungen fühlt sich zerrissen zwischen Glauben und Unglauben. Und erfährt, angenommen zu sein. Er lernt sich selbst ein Stück lieben. Er fasst Vertrauen. Und als Maria ihren Freund Jesus mit den kostbarsten Ölen salbt, ist das in jener Situation über alle Kritik erhaben. Weil sie aus Liebe handelt. Nicht berechnend. Nicht strategisch. Nicht analysierend. Einfach aus Liebe.

Und selbst am Kreuz, dem Tod verfallen, durchdringt die Liebe alles, was Jesus noch sagen kann. Wenn er bei Gott um Vergebung für seine Widersacher bittet. Wenn er seinem Kreuznachbarn das Paradies verheißt. Wenn er gerade noch zu Gott schreit „Warum hast du mich verlassen“ und am Ende doch das Vertrauen siegt: „In deine Hände befehle ich meinen Geist“.

 

Es gibt sie, die schöpferischen Momente, die Zeiten, in denen Neues entsteht. Vielleicht nicht immer so kraftvoll wie in diesen biblischen Geschichten von dem Menschen Jesus und wie er anderen begegnet. Aber jeden Tag kann in meinem Umfeld etwas davon erleben. Überall dort nämlich, wo es menschlich wird zwischen uns:

 

Ich erkenne Jesus dort, wo sich Nachbarinnen und Nachbarn treffen, um in ihrem Viertel den Müll einzusammeln, weil sie sich nicht damit abfinden wollen, dass die Umwelt geschädigt oder zerstört wird, bloß weil andere wieder so unachtsam waren.

Ich erkenne Jesus dort, wo Männer, Frauen und Kinder vor Krieg und Gewalt fliehen. Wenn sie nicht den Fluten des Mittelmeeres überlassen werden, sondern von tapferen Menschen gerettet werden, weil man doch eben keine Menschen ertrinken lässt.

Ich erkenne Jesus auf den Intensivstationen der Krankenhäuser. Überall dort, wo Menschen am Limit arbeiten im medizinischen und pflegerischen Bereich und nicht einfach kapitulieren, sondern unermüdlich weiterkämpfen.

Ich erkenne Jesus dort, wo Menschen unterschiedlicher Religionen im Dialog einander wahrnehmen, respektieren und schätzen lernen, gerade auch in ihrer Unterschiedlichkeit.

 

Ich erkenne Jesus vor allem dort, wo alles aussichtlos scheint. In den überfüllten Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln, in den Dauerkriegsgebieten Syriens, in den Elendsvierteln Afrikas, in den sozialen Brennpunkten in unseren Stadtvierteln. Wo Menschen an Gott zweifeln. Hilflos zu ihm schreien: „Warum hast du mich verlassen?“ Wo ihr Schicksal mich berührt, wohl wissend, dass meine eigene Kraft zu helfen nicht weit genug geht – ja dort erkenne ich Jesus.

 

Ich finde Jesus überall dort, wo nicht alles so bleiben muss wie es ist. Wo kleine und große Aufbrüche stattfinden. Wo den Notleidenden Gehör verschafft wird. Im Gemeinsamen ungeahnte Kräfte freigesetzt werden. Wo im Lauf des Lebens das „Fürchte dich nicht“ wirklich zu spüren ist.

Jesus Christus, Gottes menschliche Seite

 

Teil 3: Heiliger Geist, der Antrieb Gottes

„Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt.“ In seinem Nachtgespräch mit Nikodemus kommt Jesus auf den Geist Gottes zu sprechen. Wundere dich nicht, fügt er noch hinzu, er weiß sehr wohl, wie wundersam dieser Geist für den denkenden Menschen daherkommt.

 

Den Geist hat man nicht einfach. Man lernt ihn auch nicht. Und man kann ihn auch nicht verlieren. Unverfügbar wie Gott, unverfügbar wie Jesus – so unverfügbar präsentiert sich der Heilige Geist. Als etwas, das mich erfüllen, mich begeistern kann. Und das mir so eine Ahnung von diesem Gott vermittelt, mich seinem Geheimnis gefühlt ein Stückchen näher bringt.

 

Gott spricht in meine Wirklichkeit. In Jesus hat er sich zu erkennen gegeben. Ich nehme Notiz davon. Lerne. Begreife. Verstehe. Kognitiv. Der Heilige Geist, er könnte so etwas wie die Übersetzunghilfe für mein Herz sein. Dass es nicht nur beim Verstehen bleibt. Sondern mich anrührt. Mich packt. Mein Leben verändert. Erneuert. Dass es für mich Wert hat. Wertvoll wird.

 

Der Pharisäer Nikodemus wollte ein Lehrgespräch mit dem Rabbi Jesus führen. Um Jesu Autorität ging es ihm. Um die Einordnung seiner Botschaft in das, was der Verstand begreift: „Wie kann denn jemand noch einmal geboren werden?“ Jesus geht da nicht groß drauf ein, sondern weitet gleich zu Beginn den Horizont. Über Gesetz und Verstand hinaus. Da geht es nicht mehr ums Lehren und Lernen. Von einer Neugeburt spricht er, aus Wasser und Geist. Von einer ganz und gar neuen Existenz sozusagen: Der Geist schafft ein neues Denken, eine neue Sichtweise, ein neues Fühlen, ein neues Herz.

 

Ich bewege mich als Mensch immer weiter. In meinen ganz irdischen Zusammenhängen. Durch den Geist aber bekomme ich ein Gespür für das Himmlische, das über allem und in allem steckt. Deute das, was ich sehe und was mir begegnet vor dem Horizont der Weite Gottes.

 

Der Geist weht, wo er will. Und ich? Begebe mich auf die Suche nach Zeiten, die mich empfänglich machen für diesen Geist. Geist-volle Momente. Die mich den Atem, den Windhauch spüren lassen, die mich in ihrer Schönheit im Innersten mitreißen, die mit ihrer Tiefe mein Herz berühren. Ein kulinarischer Gaumenkitzel kann das sein wie ein genial geschriebenes Buch. Eine vollkommene Harmonie in einem Musikstück wie die nächtliche Stille, die nur vom Zirpen der Grillen und vom Knistern des Lagerfeuers angereichert wird. Ich suche Gelegenheiten, dem Heiligen Geist Raum zu geben. Und diese intensiven Erfahrungen helfen mir, mich seinem Wirken zu öffnen. Vertrauen zu fassen. Furchtlos zu sein. Beseelt zu werden.

 

In der Pfingstgeschichte erfahren wir, wie der Geist die Jünger Jesu gleichsam verwandelt. Wie sie Kraft des Heiligen Geistes raus sind aus ihren Hütten. Wie Barrieren zwischen den Völkern mit ihren unterschiedlichen Sprachen abgebaut werden: Sie verstehen einander. Der Geist, der uns Menschen verwandelt – er passt zu dem Gott, der Neues entstehen lässt, er passt zu Jesus, der neue Perspektiven eröffnet, neue Denkweisen erlaubt und die Liebe lebt.

 

Der Heilige Geist, Gottes Brücke in mein Innerstes hinein.

 

Resumee: Gott, der „3 in 1“:

In den Frühzeiten der Kirche schon gab es erbitterte Streitigkeiten um die Trinität – um Gott als Vater, Sohn und Heiligem Geist:

Kann es neben Gott noch zwei weitere, ihm gleich gestellte Wesenszüge, Offenbarungsformen, Wirkweisen oder gar Personen geben? Gibt es innerhalb dieser Trias eine Hierarchie? Hat der Heilige Geist neben Gott-Vater und Jesus-Sohn überhaupt einen Platz?

 

Ich selbst kann mir Gott gar nicht anders vorstellen als in genau dieser Vielfältigkeit, dieser Dreifaltigkeit. Gott als schöpferische Kraft allein würde mir wohl viel zu abstrakt bleiben und vermutlich kaum in meinen menschlichen Alltag hinein sprechen. Und wäre Jesus bloß ein menschliches Idol, Superstar, Wundertäter oder Wanderprediger, er wäre den Menschen 2000 Jahren später kaum noch einen Gedanken wert. Und der Heilige Geist erweist seine Heiligkeit ja gerade darin, diesen Mensch gewordenen Schöpfergott am eigenen Leib, im eigenen Denken, Sprechen und Handeln wirksam werden zu lassen.

 

Zum Kirchenjahr gehören die großen Feste. Wir danken Gott als Schöpfer, wenn wir das Erntedankfest feiern, wir denken an Jesus, den Sohn Gottes, an Weihnachten, Karfreitag und Ostern, und an Pfingsten erinnern wir uns an Gottes Geist, der die Menschen bewegt. Gottes Heilsgeschichte mit uns Menschen, mit seiner Schöpfung geht ohne eines dieser Feste nicht auf. Gerade diese Dreiheit macht das Ganze erst ganz. Macht Gott eben so universell wie er ist. Nicht ein Teil meines Lebens, sondern mein Leben ein Teil von Gott. Und lässt so Gott in aller Unnahbarkeit und Unverfügbarkeit doch punktgenau in mein Leben hineinsprechen.

 

Das Trinitatisfest heute steht am Anfang der sogenannten festlosen Zeit. Die hohen Feiertage liegen hinter uns. Der Weg in den Alltag liegt vor uns. Sonntage, an denen es immer wieder darum gehen wird, wie Gott dem Menschen die Grundlage zum Leben schenkt. Wie er mir im Alltag begegnet. Und welches Ziel er mir über sein Leben hinaus eröffnet. Als Vater, Sohn und Heiliger Geist. Und es wird darum gehen, wie wir als Christenmenschen diesen Glauben in unserem Leben Tag für Tag umsetzen.

 

Amen.

Es gilt das gesprochene Wort.
 

21.05.2021
Thomas Fresia