„Das alles wartet auf Sie!“

Morgenandacht
„Das alles wartet auf Sie!“
24.07.2019 - 06:35
13.06.2019
Marita Rödszus-Hecker
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„Was wollen Sie? Wohlstand und Reichtum? Gesellschaftliche Anerkennung? Zwischenmenschliche Erfüllung? Das alles wartet auf Sie! Lassen Sie sich von mir zeigen, wie Sie all Ihre Lebensziele souverän erreichen können“. Geld, Macht, Erfolg – kein Problem mehr, wenn man sich durch die 688 Seiten ackert, die ein pausbäckiger Herr im Internet anpreist. Aber lohnt sich das wirklich?

 

Auf keinen Fall, meinte der Philosoph und Schriftsteller Theodor Lessing. „Ich habe nichts so verachten gelernt wie den Erfolg, das Geld und die Macht.“ (1) Er schrieb diesen Satz gegen Ende seines Lebens in einer Autobiographie. Sie trägt den Titel: „Einmal und nie wieder“ – ein Titel, der die „frohe Gewissheit“ zum Ausdruck bringen sollte, „dass der schwere Weg bald beendet ist und nicht wiederholt werden braucht.“

 

Bei „schwerem Weg“ denkt man ja eher an Krankheit und Armut. Aber Theodor Lessing wuchs gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf in einem Haus, „in dem viel Geld verdient und viel Geld ausgegeben wurde.“ „Der Vater immer in Geschäften, die Mutter immer in Vergnügungen“ – wenn sie sich nicht gerade gegenseitig das Leben zur Hölle machten. Lessings Jugend „verlief in Verwöhnung, Verweichlichung, Verzärtelung. Sie war äußerlich glänzend, sie war scheinbar wohlbehütet, aber in Wahrheit war sie schrecklicher als Armut, Frost und Sorge sein können“.

 

Erfolg, Geld und Macht – wie kann man stolz auf solche Dinge sein, wenn man, wie Theodor Lessing, schon als Kind in einer Welt leben musste, die er trotz allem als eine „Leidensstätte“ empfand, in der die Menschen für ihn nur „Quäler oder Gequälte“ waren. In seiner Kindheit wurde er, wie er berichtet, von seinem Kindermädchen missbraucht. „Ich hätte gewünscht eine proletarische Jugend wäre mein Teil gewesen“, schreibt Lessing. Er war trotz Privatunterricht und Nachhilfe ein schlechter Schüler. Er wechselte die Schulen, „erregte die Verzweiflung aller Lehrer“, und galt für jede geistige Arbeit als völlig unbrauchbar. Und doch gab es später, als er Medizin und Philosophie studierte, keine Wissenschaft, die ihn „nicht lockte. Ich hätte am liebsten alle Bücher gelesen, alle Professoren gehört“, schreibt er.

 

Lessing lernte die berühmten Dichter und Denker seiner Zeit kennen. Er arbeitete als Journalist und Privatdozent für Philosophie. Und wie kaum ein anderer seiner Zeit wagte er in Zweifel zu ziehen, „ob ein Mensch je über sich selber klar und wahr, ja, ob er überhaupt nur wahrhaftig zu denken vermag.“ Die Weisheit verachtete er nicht, wohl aber die „wohlsituierten Kulturfamilien, die ganze Ketten Dichter und Denker zeugen.“ Er litt darunter, dass sich all die, die „mit reinem Willen zur Wahrheit streben, einander nicht verstehen.“ Einmal und nie wieder – Lessing schrieb seine Erinnerungen auf am „Ende eines Lebens, das viel Menschliches durchdacht und viele Nöte, innere wie äußere, bestanden hat.“ Sein Leitmotiv: „Mindere den Schmerz. Dies ist der einzig mögliche Imperativ sittlichen Handelns.“

 

Im August 1933 wurde der jüdische Philosoph und Literat Theodor Lessing in seinem Arbeitszimmer in Marienbad ermordet. Er war eines der ersten bekannten Opfer des Nationalsozialismus. Acht Jahre vor seinem Tod schrieb er: „Ich bin in Gottes Arm. Aber gerade darum will ich noch eine Zeitlang kämpfen, dass auf der Erde das Leiden der Menschen ende und Gerechtigkeit und Wahrheit werde.“ Wozu also soll man es im Leben bringen? „Zu Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit; denn solches gefällt mir, spricht der Herr.“ Das steht in der Bibel, im Alten Testament – ein Buch, auch nicht ganz dünn. Auf ein Foto haben die Autoren der Bibel allerdings verzichtet.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

(1) Theodor Lessing, Einmal und nie wieder, Gütersloh 1969

13.06.2019
Marita Rödszus-Hecker