gemeinfrei via pixabay / Yogendrah Singh
Zorn
Gefährlicher Kontrollverlust
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21.06.2025 06:35
Es gibt ihn, den gerechten Zorn. Aber die Gefahr ist groß, dass Zorn hemmungslos und zerstörerisch wird.
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Zorn ist eine der sieben Todsünden. Das erstaunt, da es ja sogar den sogenannten "Heiligen Zorn" gibt. Sogar Gott selbst wird, in der Bibel vielfältig belegt, von Zorn ergriffen. Wie kann etwas, das Gott selbst zugeschrieben wird, eine Todsünde sein? Nun, Gottes Zorn hat eine eigene Qualität. Sein Zorn ist die dunkle, manchmal unheimliche Seite Gottes. Doch Gott behält noch im Zorn den Überblick, bleibt selbst zornig gerecht.

Schon im Normalzustand wissen wir Menschen nie exakt, welche Auswirkungen unser Handeln haben kann. Im Zorn verlieren wir völlig die Kontrolle. Die Blutrache ist ein zwar extremes, aber doch gutes Beispiel für einen Zorn, der außer Rand und Band geraten ist. Sicher ist es schwer, den eigenen Zorn zu zügeln, wenn das Ego gekränkt worden ist und die Welt wieder mal nicht so funktioniert, wie ich mir das vorgestellt habe. Doch ein hemmungsloser Zorn wird mir später häufig bitter leidtun.

Außerdem wirke ich mit einer solchen Wut selten erwachsen, sondern wie ein trotziges Kind. Wer dem Zorn verfällt, hat etwas Kindisches an sich. Der wütende Autofahrer, der gestikulierend zeigt, wie doof die anderen sind. Die empörte Anruferin, die die Callcenter-Mitarbeiter beschimpft. Der aufgebrachte Nachbar. Alles halb so schlimm? Nun, unser Rechtssystem ächzt unter Überlastung, weil es zu viele Leute gibt, die ihren Zorn nicht in den Griff bekommen.

Dennoch gibt es einen Zorn, den ich für angemessen halte. Es ist der Zorn, der sich meldet, wenn ein anderer Mensch meine Grenzen verletzt. Entweder verbal oder auch körperlich. Dann gibt mir der Zorn die Kraft, diese Aggression zurückzuweisen, so dass der übergriffige Mensch merkt: Ich meine es ernst. Mein Zorn schafft mir dann eine Schutzzone.

Das kann auch stellvertretend geschehen. Wenn ich sehe, dass andere Menschen angegriffen und ihre Grenzen verletzt werden und sie zu Opfern gemacht werden sollen. Dann kann ich für sie zornig werden und für sie eintreten. Ich bin zornig über Ungerechtigkeit und wütend über Aggressoren und erlaube anderen nicht, dass sie mich und andere zu Opfern degradieren.

Mit Rache hat das dann nichts zu tun. Vielmehr mit Selbstverteidigung. Allerdings muss ich auch im sinnvollen Zorn versuchen, Maß zu halten, damit der Zorn nicht ein unheilvolles Eigenleben entwickelt. Ich finde, ein Zorn, der maßvoll eingesetzt wird, ist ein guter Zorn. Ich wünsche mir viele, die solch einen Zorn entwickeln, wenn hilflose Menschen attackiert werden. Und nicht stattdessen betreten oder träge wegschauen.

Gerechter Zorn ist von dem Zorn zu unterscheiden, der wie ein Schwelfeuer in einem Menschen glimmt und dann wie ein Großbrand als Rache ausbricht.

Einer der klügsten Denker der Bibel, der Apostel Paulus, hat gemahnt: "Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes, denn es steht geschrieben: Die Rache ist mein, ich will vergelten, spricht der Herr." Weil der Apostel weise war und wusste, dass sich manche Rachegedanken auch durch kluge Ratschläge nicht verhindern lassen, hat er seinem Ratschlag noch einen Zusatz verpasst: "Vielmehr, wenn deinen Feind hungert, so gib ihm zu essen; dürstet ihn, so gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln."

Was für ein genialer Ratschlag! Freundlich zum eigenen Feind sein, statt ihm das Messer zwischen die Rippen zu rammen. Die Erfahrung zeigt: Allein die Verblüffung des Gegners über die unerwartete hilfreiche Geste, das freundliche Wort, sein Dank, all das ist genug Lohn der Mühe, das Verlangen nach Rache zu überwinden.

Bei aller Freude über eine gelungene Aktion solcher Art ist Vorsicht geboten, damit man anschließend nicht vom Regen Zorn in die Traufe der Todsünde Hochmut gerät und sich für etwas Besseres hält. Oder wie es der Apostel Paulus auf den Punkt bringt: "Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem." 

Es gilt das gesprochene Wort.

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