Die Lust am Essen ist etwas völlig anderes als Völlerei.
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Wie wäre es mit einem Zuschlag in Sachen Todsünde? Ich denke bei Zuschlag an die Sünde der Völlerei. 1620 malt Peter Paul Rubens das berühmte Bild "Der Höllensturz der Verdammten". Heute hängt es in der Alten Pinakothek in München. Wenn man genau hinschaut, erkennt man: Nicht wenige der Leiber, die da in den dunklen Abgrund stürzen, sind übergewichtig. Damit zeigt Rubens durchaus Mut, denn sein Bild ist ein Auftragswerk des Hochadels. Die Übergewichtigen dürften sich zu seiner Zeit weniger in den Scharen der dienstbaren Geister am Hof oder der Bauern befunden haben als in den Reihen des Hofstaates. Völlerei als Sünde konnte sich nicht jeder leisten. Die meisten Menschen kannten eher Hungerzeiten.
Als Peter Paul Rubens sein Bild malt, herrscht an den Höfen barocke Pracht. Diese Epoche zeichnete sich durch einen Hang zu Opulenz und Prunk aus. Das Wissen um die Sterblichkeit war präsent, in der Kunst allemal. Doch das "memento mori", das "Gedenke, dass du sterblich bist" führte bei vielen Menschen, die es sich leisten konnten, nicht zu einem bewussteren Lebensstil, sondern zu einer Völlerei, die nichts mehr mit Genuss zu tun hatte.
Rubens erinnert seinen hochadligen Kunden an die Konsequenzen dieser Sünde, und zwar mit schockierenden Bildern. Heute werden Zigarettenpackungen mit ähnlich drastischen Warnungen dekoriert. Wahrscheinlich hatte Rubens Meisterwerk jedoch ähnlich geringe Auswirkungen auf die Konsumgewohnheiten am Hofe wie die Schockbilder auf Raucherinnen und Raucher.
Heute ist Übergewicht kein Zeichen von Wohlstand mehr, im Gegenteil. Reiche Menschen sind schlank und entsprechen dem geltenden Schönheitsideal. Nicht wenige Übergewichtige haben dagegen einen sozial prekären Hintergrund.
Ist es also so, dass die Reichen im 21. Jahrhundert es geschafft haben, der Sünde der Völlerei zu entkommen? Ich glaube nicht. Sie sind nach wie vor davon betroffen. Die Sünde hat heute nur andere Auswirkungen als im 17. Jahrhundert. Denn: Ob ich mich mit Fastfood mäste oder mit Diäten malträtiere und bei Abendeinladungen am Salatblatt herumkaue – ein gesundes Verhältnis zum Genuss des Essens ist beides nicht.
Tödliche Konsequenzen hat die Sünde immer noch: Diabetes ist eine Volkskrankheit. An Magersucht und Bulimie sterben Jugendliche aus allen Milieus. Schon Kinder bekommen das gesunde Gefühl für Sättigung abtrainiert, wenn man sie zwingt, den Teller leer zu essen, statt ihnen von vorneherein kleinere Portionen zu reichen. Ihre angeborene Lust am reichhaltigen Geschmack der Welt verderben wir ihnen mit Süßigkeiten.
Das ist nicht süß – das ist Sünde. Es verdirbt etwas, was ursprünglich gut ist: die Lust am Essen, am besten die Mahlzeit in der Gemeinschaft mit anderen, die gemeinsame Freude daran, dass wir unsere Grundbedürfnisse Hunger und Durst so wunderbar stillen können.
Wenn Jesus nach dem Himmelreich gefragt worden ist, dann hat er von einem himmlischen Gastmahl erzählt. Oft genug war Jesus bei wohlhabenden Menschen zu festlichem Essen eingeladen. Den Abend vor seinem Tod hat Jesus mit seinen Jüngern bei einem Festmahl verbracht. Wenn er vom himmlischen Gastmahl erzählt, dann hat er kein Gelage vor Augen, bei dem gefressen wird. Er denkt an ein gemeinsames Essen, bei dem alle genießen. Genuss wertschätzt das Essen. Völlerei missachtet es.
Jesus ist in eine Kultur der Wertschätzung des Essens hineingewachsen. Vor jeder Mahlzeit wurde das Essen gesegnet. Die Lust, die man spüren kann, wenn man gutes Essen genießt, hat Jesus in Verbindung mit Gott gebracht. Lust am Essen ist keine Sünde, sondern kann wie ein Gebet sein, ein Dank für die gute Gabe, ein Lob des Schöpfers, der uns solche Köstlichkeiten wie Feigen und Käse und Äpfel und frisch gebratene Fische schenkt.
Es gilt das gesprochene Wort.
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