Gemeinfrei via Unsplash/ Jon Tyson
"Nicht geschimpft ist gelobt genug." Das ist für manche die höchste Form des Lobes. Aber es darf auch ein bisschen mehr sein.
Würdigen
Ein Mischwort aus Wahrnehmen, Anerkennen, Wertschätzen
23.10.2025 06:35

"Nicht geschimpft ist gelobt genug." Das ist für manche die höchste Form des Lobes. Aber es darf auch ein bisschen mehr sein.

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"Nicht gemeckert ist gelobt genug." Das hat mein Tischlermeister mal zu mir gesagt. Ich habe bei ihm ein Praktikum gemacht. Alte Möbel restaurieren, designen. Auf eine Kommode, die ich abgeschliffen und aufbereitet habe, bin ich sehr stolz gewesen. Und dann dieser Spruch. "Nicht gemeckert ist gelobt genug."

Mir hat das zu denken gegeben bis heute. Weshalb ich das Wort "Würdigen" auf meine persönliche Liste der schützenswerten Wörter gesetzt habe. Würdigen hat für mich einen besonderen Beigeschmack für die Seele. Vielleicht auch einen Mehrwert für einen beglückenden Tag.

Würdigen ist ein wunderbares Mischwort von jemanden anerkennen, wahrnehmen, wertschätzen. Das kann sich auf die Leistung einer Person beziehen. Aber auch auf die Person selbst. Der Tischler und ich haben uns gerngehabt. Daran lag es nicht. Und er war auch wirklich zufrieden mit meiner Arbeit, wie ich später von anderen erfahren habe. Aber so deutlich sagen, das konnte oder wollte er nicht. Sein "Nicht gemeckert ist gelobt genug" war seine Art der Würdigung.

Wenn man wirklich würdigt, dann öffnet man sein Herz. Darum gibt es solche satte Anerkennung in Liebesliedern. Die Band "Sportfreunde Stiller" würdigt in ihrem Song "Kompliment" so richtig drauflos:

"Wenn man so will
Bist du (…) Meine Feiertage in jedem Jahr
So wertvoll, dass man es sich gerne aufspart,
Und so schön, dass man nie darauf verzichten mag"

Ich würdige gern. Meistens bin ich etwas aufgeregt dabei. Aber es macht mir gute Laune, wenn ich ausspreche, was mir gefällt. Dabei habe ich gemerkt: Würdigen ist doppelt herausfordernd. Für den Absender und für den Empfänger. Eine Kollegin von mir hat mal fast verschreckt reagiert, als ich ihr gesagt habe, wie wunderbar ich ihre Arbeit finde. "Das ist doch nicht der Rede wert. Lass mal."

Seitdem weiß ich: Beim Würdigen muss man sich vorsichtig antasten. Direktes Herzensfutter annehmen und verdauen braucht Übung. Und Vertrauen. Wer weiß, was die andere Person mit ihren scheinbar so guten Worten im Schilde führt? Würdigung annehmen, das kann man, wenn man sich sicher fühlt im Kontakt.

Es gibt Menschen, die Würdigung scheinbar nicht brauchen. Sie wollen unabhängig sein von der Anerkennung anderer. Aber ich freue mich über gute Resonanz von außen. Der Wert beim Wertschätzen oder Würdigen liegt wohl darin, dass wir uns wahrgenommen fühlen. Weil uns jemand sieht.

In der Bibel spricht der Prophet Jesaja wunderbare würdigende Worte für das Volk Israel: "Weil du teuer bist in meinen Augen und herrlich und weil ich dich liebhabe." (Jesaja 43,4) Das sagt Gott in einem Moment, als Israel völlig am Boden ist und an den eigenen Wert, die eigene Würde gar nicht mehr glaubt. Würdigen kann Wunder bewirken. Es kann ein ganzes Volk oder einen einzelnen Menschen aufrichten.

Würdigen findet nicht im luftleeren Raum statt. Es ist ein Beziehungsgeschehen. Das fängt ganz klein an, wenn ein Säugling spürt, wie die Menschen um ihn herum mit einem Strahlen auf seine bloße Existenz reagieren. So ein Strahlen liegt in Segensworten aus der Bibel: "Gott lasse leuchten sein Angesicht über dir." Die große Würdigung von Gott, die pure Freude, dass du da bist und wie du da bist. Das lässt die eigene Würde spüren.

Mit meinen kleinen alltäglichen Würdigungen docke ich daran an. Wenn wir einander würdigen, dann sehen wir den anderen ein bisschen so, wie Gott ihn oder sie ansieht. Wer so angesehen wird, kann sich entwickeln und wachsen.

"Das war gar nicht mal so schlecht, Susanne", hat der Tischler dann am Ende meines Praktikums zur Verabschiedung gesagt. Und er hat gelächelt. Das war viel in seiner Sprache. Ich musste sie nur erst verstehen.

Es gilt das gesprochene Wort.

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