Leise Worte helfen mehr

Wort zum Tage
Leise Worte helfen mehr
01.09.2015 - 06:23
25.06.2015
Pfarrer Michael Becker

Heute fand man es; heute vor dreißig Jahren: das Wrack der Titanic. Still ruht es auf dem Meeresgrund im Atlantik. Als die Titanic ausläuft im April 1912, ist ein Jahrhunderttag. Ein Tag, den niemand je vergisst. Alles ist bereit. Der Himmel strahlt, die Menschen sind fein angezogen. Musikkapellen spielen, Tausende winken einander zu. Das größte, schönste und teuerste Schiff der Welt verlässt Europa Richtung Amerika. Ein Jahrhunderttag in ausgelassener Stimmung. Er wird zu einer Jahrhundertkatastrophe.

 

Vier Tage später, um Mitternacht (14./15. April 1912), rammt das Schiff mit dem Namen Titanic einen Eisberg. Das Undenkbare tritt ein: Das angeblich unsinkbare Schiff sinkt innerhalb von 100 Minuten. Es wird zu einem Symbol für die ganze Welt: Aus grenzenlosem Hochmut wird beispiellose Vernichtung. Über 1.500 Menschen sterben, die meisten wegen Leichtsinn. Das Schiff fährt viel zu schnell im gefährlichen Gewässer, dazu fehlen Rettungsboote. Warnungen werden überhört und übersehen. Wir können, was wir wollen, heißt es; uns stellt sich nichts in den Weg. Wir schaffen alles, was wir uns vornehmen.

 

Titanic ist ein anderes Wort für menschlichen Hochmut geworden; und für einen  Leichtsinn, der meist dem Hochmut folgt. Wer oder was soll uns aufhalten? Wer könnte verhindern, dass wir die Welt neu erfinden? Wer sollte uns in den Arm fallen? Und plötzlich sinkt das schöne Schiff, gehen glitzernde Banken bankrott, explodieren die sichersten Atomkraftwerke.

Vorsicht also, denke ich bei mir, Vorsicht vor einem zu vollen Mund. Vorsicht mit zu dicken Muskeln und starken Worten. Es kann sein, dass an ganz anderer Stelle einer leise spricht: Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Vor allem du selbst sollst niemals Gott spielen; in der Familie nicht, im Beruf nicht und in der Regierung auch nicht.

 

Hochmut ist ein gefährliches Spiel, das man nicht gewinnen kann. Besser ist es, leiser zu sein, eigene Grenzen zu sehen und anzunehmen. Hochmut bekommt uns nicht. Menschen verderben daran; verderben erst sich selbst und dann andere. Leise Worte helfen mehr. Selbstzweifel auch. Es kann immer sein, dass einer leise zu mir sagt: Ich bin der Herr, dein Gott.

25.06.2015
Pfarrer Michael Becker