Ein bisschen spielen wir alle

Wort zum Tage
Ein bisschen spielen wir alle
08.09.2020 - 06:20
05.09.2020
Michael Becker
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Er kann alles spielen: Gauner oder Papst, Bösewicht oder Engel: der Schauspieler Mario Adorf. Heute wird er 90 Jahre alt. Ein Kind der Eifel; deutsche Mama, italienischer Papa. Manchmal musste ihn die alleinerziehende Mutter ins Heim geben, weil ihr das Geld fürs Essen nicht reichte. Aber der Junge kämpfte sich durch: Abitur, Philosophiestudium, dann Schauspieler. Seit über sechzig Jahren steht er vor der Kamera oder auf der Bühne, mal heiter, mal böse; sogar Karl Marx hat er gespielt, auf eigenen Wunsch. Und was er auch spielte – ich glaubte es ihm.

        Das ist die Kunst - zugleich spielen und man selbst bleiben. Ein wenig spielen alle, müssen es oft auch. Dann will niemand so genau wissen, wie es uns geht. Also sagen wir: Danke, es geht gut. Geht es aber vielleicht gar nicht. Oder wir machen uns vor, etwas zu können, was wir nicht schaffen. Ein bisschen spielen wir alle. Nicht immer gut, aber oft mit Herz. Dann soll etwas so sein, wie es nicht ist. Dann zieht man sich fein an, um nicht zu traurig zu wirken. Oder verbirgt sein „wahres Gesicht“, wie man so sagt. Ohne Spiel geht es nicht. Hauptsache, wir wissen noch, wer wir wirklich sind.

        Selbst das weiß ich oft nicht, wenn ich ehrlich bin. Das ist aber nicht schlimm. Man kann sich nie vollständig kennen. Weiß ich denn, wie ich heute sein werde? Ob ich offen bin oder verschlossen, ob ich die Wahrheit sage oder sie lieber verheimliche? Weiß ich denn, wie ich handeln werde, wenn ich heute unter Druck gerate? Ich weiß es oft nicht. Ich habe nur Wünsche, wie ich gerne wäre. Offen, mit Rückgrat, möglichst ohne Verstellungen. Und wenn ich etwas vorspielen will oder muss, dann mit Herz und Haltung. Ich will mir selber glauben, wenn ich spiele. Jeder Tag ist auch ein bisschen wie Bühne, auf der ich mich bewege. In der Familie, an der Arbeit, beim Einkaufen. Überall schaut man uns an und fragt: Was denkt er sich? Wie geht es ihr? Dann zeigt man sich und verstellt sich auch. Ein bisschen Spiel ist immer. Das macht aber nichts. Solange ich es mir glaube und es weiß; mir selber noch ins Herz schaue. Und schauen lassen: Erkenne mein Herz, Gott, und prüfe mich, wie ich’s meine. Hauptsache ehrlich.

05.09.2020
Michael Becker