Das Kreative an der Krise

Das Kreative an der Krise
von Pastoralreferentin Lissy Eichert
09.05.2020 - 23:35
15.04.2020
Lissy Eichert

Das Wort zum Sonntag: 09.05.2020

Sprecher: Lizzy Eichert, Berlin

 

Das Kreative an der Krise

 

Es ist ja echt zum Heulen. Millionen in Kurzarbeit. Betriebe stehen vor dem Aus. Auch der Verein, mit dem ich zusammenarbeite, steht auf der Kippe. Unter dem Motto "Bedürftige helfen Bedürftigen" unterstützen wir Menschen mit wenig Geld beim Renovieren der Wohnung oder beim Umzug. Ob und wie es weitergeht? Keine Ahnung.

Ein Virus zeigt, wie zerbrechlich unser Wohlstandsmodell ist. Wie schnell der Alltag zerstört werden kann. Und wir weiterhin mit der Angst um gefährdete Menschen und dem Leben auf Distanz klarkommen müssen. Und immer wieder kreisen die Gedanken um die Frage: Wie lange halten wir das noch durch? Wie geht es weiter?

Mir hilft bei dieser Frage – wie so oft – der Blick in ein sowohl frommes als auch politisches Buch: die Heilige Schrift. Ich lese von Kriegen, Hungersnöten oder Seuchen. Damals wandten sich die Menschen in ihrer Not an Gott. Denn Gott ist krisenerprobt. Das wussten sie aus eigener Erfahrung.  

Bei meiner Suche nach Hilfsangeboten habe ich eine der wohl interessantesten Weisheiten der Bibel entdeckt: die Sabbatzeit. Verschiedene Arten der Auszeit – um aufzuatmen. Wer sich im Beruf schon mal eine Sabbat-Zeit nehmen konnte, weiß: Es tut gut, runterzufahren. Luft holen. Abstand zu gewinnen, etwa zu den eigenen Ängsten. Die Bibel kennt sogar – was erst einmal verrückt klingt – alle sieben Jahre ein Sabbat-Jahr; eine per Gesetz geregelte Auszeit für das ganze Land. Ein Jahr Zeit, um sich von der Arbeit und allen Pflichten zu erholen. Kriege durften nicht geführt werden. Versklavte wurden frei gelassen. Auch die Felder und das Vieh bekamen eine Pause. Als Ausgleich für die fehlende Ernte gab es Steuerbefreiungen. Und: Schulden wurden erlassen. So entlastet konnten die Menschen sich aufrichten. Konnten ihr Gesicht Gott zuwenden.

Neue Achtsamkeit. Die Krise fördert ja durchaus auch eine kreative Seite in uns zu Tage. Das Leben sortieren. Dinge tun, für die sonst kaum Zeit ist. Die Küche renovieren. Den Keller entrümpeln. Der Haken daran: Es passiert nicht ganz freiwillig. 

Und wenn wir das Nach-Corona- Leben freiwillig neu sortieren würden? Uns überlegen, welche positiven Erfahrungen wir bewahren wollen: die großartigen Initiativen der Nachbarschaftshilfe. Oder den freiwilligen Verzicht. Zum Beispiel auf Reisegewohnheiten, die der Erde nicht gut tun. Und, ja, natürlich müssen wir die erkannte Wertschätzung der Verkäuferinnen, Pflegekräfte oder Kulturschaffenden in faire Löhnen umwandeln. Und für den sozialen Ausgleich wird ein globaler Schuldenschnitt dringend gebraucht.

Mehr noch: Jetzt wäre die Gelegenheit, einen Weg in die Tiefe zu wagen: Was trägt, was heil unser Leben in einer Welt, die sich vor unseren Augen radikal verändert. Solches Umdenken verlangt Mut. Ist aber zukunftsfähig. Jedenfalls sah es der Prophet Jesaja so; er sagte: "Nur in Umkehr und Ruhe liegt eure Rettung, Stille und Gottvertrauen verleihen euch Kraft."

15.04.2020
Lissy Eichert