Schrecklich oder schön?

Schrecklich oder schön?
mit Pfarrerin Annette Behnken aus Loccum
16.12.2023 - 23:35
05.05.2023
Annette Behnken

Die schrecklichsten Tage im Jahr. Sind? Die Weihnachtstage. Richtig. Oder nicht!? Wenn Sie jetzt protestieren, weil sie das anders sehen – wunderbar – genießen sie das Fest, feiern Sie, mit Freunden, Familie, alleine, wie auch immer. Kosten Sie es aus! Großartig.

Wenn Sie aber zustimmen, dann gehören Sie entweder zu denen, die Weihnachten einfach blöd finden, Kitsch, Konsum und Krempel - okay – oder – Sie gehören zu den ungefähr 42 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen, die einsam sind.

An Weihnachten boomt nicht nur das Geschäft, sondern auch die Sehnsucht. Nach Wärme und Nähe und Verbundenheit – und mit ihr – die Einsamkeit. Die dann eben besonders schmerzt. Weil ja alles voll ist von Bildern seliger Familien und strahlender Paare eingetaucht in goldene Glückseligkeit. Jedes Plakat, jede Werbung, die diese Bilder bedient ist für einsame Menschen wie Salz in der Wunde.

Einsamkeit hat viele Gesichter. Alte Menschen erzählen mir, dass einfach keiner mehr da ist, weil Partner, Freunde, alle, die einem nahe waren, nicht mehr leben.

Aber Corona hat auch viel mehr als vorher junge Menschen einsam gemacht. Einsamkeit ist ein unglaublich schmerzhaftes Gefühl, als wär man abgetrennt vom ganzen Leben. Manche Menschen werden krank vor Einsamkeit.

Und dann kommt noch was dazu: Die Scham. Wenn mir Menschen in meiner Gemeinde erzählen, dass sie sich einsam fühlen, dann tun das sie oft so ein bisschen verstohlen, fast so, als würden sie mir was Verbotenes erzählen. Denn: Einsamkeit ist ein Tabu in unserer Gesellschaft. Ist vielen peinlich. Ich schäme mich, weil ich mich einsam fühle. Und das macht dann noch viel einsamer.

So. Jetzt sagt sogar die Bundesregierung: Einsamkeit muss raus aus dem Tabu. Und hat 111 Maßnahmen gegen Einsamkeit beschlossen. Gute Sache. Gut auch, sehr gut dass viele Kirchen an den Weihnachtstagen ihre Türen öffnen.

In meiner Heimatstadt in Hannover gibt es eine Tradition seit den 60-er Jahren: Die Weihnachtsstuben. Die sind an Heiligabend über die ganze Stadt verteilt geöffnet. Und viele, viele Menschen gehen da hin und sind für ein paar Stunden nicht allein und vielleicht fließt etwas weihnachtlicher Goldglanz und Hoffnung in ihr Herzen.

Einsamkeit ist weder peinlich noch eine ansteckende Krankheit. Wir werden sie nicht abschaffen können. Sie ist eine Grunderfahrung des Menschseins. Aber gerade deshalb müssen wir sie aus der Tabuzone holen. Mit meinetwegen 111 Maßnahmen. Mit Verständnis und mit offenen Herzen. Dann ist schon richtig viel gewonnen.

Weihnachten. Die furchtbarsten Tage des Jahres? Vielleicht etwas weniger, wenn ich überlege, dass Weihnachten mehr ist, als ein Datum. Weihnachten ist ein Geschehen.

Und seit 2000 Jahren buchstabieren wir die biblische Geschichte durch, die davon erzählt. Jahr für Jahr für Jahr. Und sind nie fertig damit. Weil es ein so großes Geheimnis ist, das da erzählt wird. Gott kommt zur Welt.

Aber nicht in einem phantastischen modernen Kreissaal, sondern in einem stinkenden Stall, in von Vieh angesabbertem Stroh. Gott kommt zur Welt. Nicht unter besten, lange und gut geplanten Bedingungen.

Sondern im chaotischen Provisorium des Lebens. Da passieren heilige Momente. Mitten in der Nacht. In der unsere Traurigkeiten, Sehnsüchte und Einsamkeiten uns am heftigsten überfallen. Das ist der Ort, an dem es Weihnachten wird. Heilige Nacht.

Selig sind die Einsamen.

05.05.2023
Annette Behnken