Sendung zum Nachlesen
Ich darf mit hinunterfahren. Ich darf mit hinunterfahren, mit den beiden Krankenschwestern, die meine Frau jetzt endlich nach vielen Stunden abholen. Sie holen sie ab von ganz unten, aus dem Operationsbereich des Krankenhauses.
Ich darf mit hinunterfahren, mit dem Aufzug zu dem Aufwachraum, in dem meine Frau jetzt noch liegt. Sie ist die letzte von denen, die heute zum Operieren nach unten kamen: 3 Stunden dauerte die schwere Operation und dann noch einmal 1 1/2 halbe Stunden Aufwachzeit nach der langen Narkose.
Eine simple Fahrstuhlfahrt nur, eine kleine Geste – die mir ganz viel bedeutet. Untätig konnte ich nur abwarten, jede Minute wurde mir zur Ewigkeit, mit den Sorgen um meine Frau, um den Ausgang der OP. Natürlich habe ich gelesen, und auf meinem IPad gespielt: Sudoku, dieses japanische Logikrätsel aus neun Quadraten, in dem die Zahlen eins bis neun jeweils nur einmal vorkommen dürfen.
Und irgendwann ging auch das nicht mehr. Irgendwann konnte ich nur noch auf- und abgehen. Untätig, in dem kleinen Aufenthaltsraum der Station oben im 8. Stock: 12 Schritte vor, 3 zur Seite; 12 Schritte wieder zurück, dann wieder die 3 zur Seite. Und wieder die 12... Kaffee habe ich getrunken und ganz viel Wasser. Natürlich musste ich auch oft zur Toilette.
Da wird die Zeit zur Ewigkeit. Und ganz schlimm ist, dass ich in all die Stunden nichts erfahre. Dass ich nichts höre vom Verlauf der Operation. Und wie es meiner Frau danach geht.
Natürlich ist mir auch irgendwie klar, dass nicht alle 10 Minuten jemand über den Fortgang der Operation Bericht erstatten kann. Schwestern und Ärztinnen haben alle genug zu tun und anderes, Wichtigeres.
Es ist ganz ruhig im Raum und auf dem Gang. Manchmal läutet leise das Telefon. Und auch die Stimme der Schwester am Apparat ist verhalten. Nach und nach kommen Betten mit Frischoperierten nach oben.
Dann endlich, nach endlosen Stunden: "Als Nächste kommt Ihre Frau", lächelt die Schwester mir zu. Und dann - dieses: "Wenn Sie wollen, können Sie mitfahren..." In der Situation: Was für eine Einladung!
Ich darf mit hinunterfahren, obwohl ich Straßenkleidung trage, in diesen Bereich, der ja eigentlich steril gehalten werden muss.
Es sind genau solche kleinen aufmunternden Momente. Es muss gar nichts Großes sein. – Und ich habe das jetzt gebraucht. Das "Auf und Abgehen", meine Ablenkungsversuche – mit dieser kleinen Geste relativiert sich das alles.... es hat gar keine so große Bedeutung mehr. Für mich ist die lange Wartezeit schnell vergessen.
Das hat diese kleine Geste getan, diese vier, fünf Worte, verbunden mit einem Lächeln: "Wenn Sie wollen, können Sie mitfahren..."
Von Jesus wird erzählt, dass er - umgeben von einer großen Menschenmenge - nach Jericho ging. Und ganz plötzlich sei er unter einem Baum stehengeblieben und habe dort hinaufgeschaut: Da saß ein Mann in den Ästen. Ein Zöllner. Die Bibel gibt ihm den Namen Zachäus.
Der stieg auf diesen Baum, denn er wollte den Wanderprediger beobachten, ohne selbst gesehen zu werden. Und er stieg auf den Baum, weil er, wie die Bibel erklärt, "klein von Gestalt war". Jesus erblickt Zachäus, schaut ihn an, nimmt ihn wahr und ruft ihn herunter – und geht mit ihm in sein Haus.
Keine große Sache, eigentlich. Aber Jesus durchbricht damit die Isolation: Hat doch der Zöllner mit der römischen Besatzungsmacht zusammengearbeitet und Steuern in deren Namen eingetrieben und war verhasst unter der einheimischen, jüdischen Bevölkerung. Und dass er "klein von Gestalt" war, hat sein Selbstwertgefühl bestimmt auch nicht großartig gesteigert.
Klein fühle ich mich öfters. In dem Krankenhaus zum Beispiel. Ganz klein und isoliert, machtlos.
Wenn es dann jemanden gibt, der mich wahrnimmt, wenn es zu solchen "kleinen Gesten" kommt, wie ich sie von der Krankenschwester erfahren habe, dann ist meine Isolation durchbrochen. Ich fühle mich aufgenommen. Und merke wieder einmal – kleine Gesten sind oft das Entscheidende. Viel mehr als die großen und vielen Worte. Vielen Dank, liebe Krankenschwester!
Es gilt das gesprochene Wort.