Musikpavillon im Pfarrgarten Saxdorf
Musikpavillon im Pfarrgarten Saxdorf
Sammle, soviel du brauchst
Rundfunkgottesdienst aus dem Musikpavillon im Pfarrgarten Saxdorf
26.07.2020 10:05
Predigt zum Nachlesen

Gern gehe ich mit Pfarrer Zahn in den Garten. Der Ablauf ist immer der gleiche. Die Wege sind schmal. Wir gehen hintereinander. Und immer wieder bleibt er stehen und zeigt auf eine Pflanze: Das ist hm-hm-hm. Die kommt aus China. Da haben wir uns, als wir in Peking waren, einen kleinen Zweig abgemacht und dann zuhause bewurzeln lassen. Ich besehe die grazile Blüte ehrfürchtig. China. Dann Stille. Und es geht weiter. Das hier ist … Die duftet ganz besonders. Der Ablauf bleibt immer derselbe. Der Name wird genannt und vielleicht noch die Geschichte, wie die Pflanze in den Garten kam, oder welche besondere Sorte das ist. Am Anfang denke ich noch, dass ich mir das alles merken kann. Aber bald gehe ich einfach nur hinterher. Ich höre Namen, staune und dann geht es weiter. Ich merke, wie ich mich langsam einschwinge. Mehr braucht es eigentlich nicht, denke ich irgendwann, einfach da sein und beim Namen genannt werden. In Beziehung sein. Das reicht.

Es ist ein wunderbarer Ort. Irgendwie eine Art Paradies. In mehrfacher Hinsicht. Ein Paradies ist eben auch unverfügbar. Es steht immer in Gefahr, verloren zu gehen. Täglich muss gegossen werden, gepflanzt, gehackt, geschnitten und angebunden. Und wir werden auch daraus vertrieben, so wie Adam und Eva. Egal, wieviel Zeit Du hast, irgendwann stehst du am Gartentor, gehst hindurch und stehst draußen vor der Tür auf der staubigen Straße. Eigentlich, das lehrt ja die Bibel, gibt es das Paradies nur als Hoffnung im Herzen. Es ist eine Vorstellung, die uns antreibt, eine Vision, in deren Schatten wir einige Momente ausruhen dürfen, ehe es weiter geht unter der Glut der Sonne.

 

Israel ist dieser Schattenplatz für die Seele, die große Vision, unterwegs verloren gegangen. Blühende Landschaften, dunkle Gärten und quirlige Bäche – das waren so Zukunftsbilder. Manch einer hat sich schon im eigenen Weinberg von Pflanze zu Pflanze gehen sehen. Jetzt ist Israel erschöpft vom langen Weg. Zerschlagen von der Wucht der Ereignisse beim Auszug, ausgezehrt und leer. Es ist äußere aber auch innere Wüste. War alles vergeblich? In der Wüste ist nichts, was man tun könnte. Die großen Visionen von Freiheit und Eigenständigkeit sind saft- und kraftlos geworden, verdorrt in der unbarmherzigen Mittagshitze.

Viele haben in ihrer Biographie solche Phasen durchlebt. Manch versprochene, blühende Landschaft erschien am Ende ziemlich öde. Zukunftsvisionen sind vertrocknet, wie die großen Kiefernwälder hier bei uns im Süden Brandenburgs. Viele hier im Osten Deutschlands sehen mehr Wüste als Garten. Kein Wunder, wenn sich auch Frust und Enttäuschung unter den Menschen regt. Aber jetzt einfach aufgeben, zurück in die Vergangenheit á la „es war doch nicht alles schlecht?“ Mose und Aaron wollen das Volk in die Freiheit führen. Aber wenn statt Freiheit Wüste wartet, schlägt die Stimmung um. Was nützt mir Freiheit, wenn ich tot bin? „Ihr habt uns doch nur in diese Wüste geführt, dass ihr diese ganze Gemeinde an Hunger sterben lasst.“ Das Ganze von langer Hand eingefädelt? Von der Regierung da oben, die sich unbequeme Untertanen vom Leibe schaffen will? Mithilfe von Mose, einem Fremden? Aber irgendeinen Grund muss das Ganze ja haben. - Ich kann solche Gedanken schon verstehen. Aber auch nur teilweise. Denn das Murren bringt unglaubliche Verwirrung und es blühen die erstaunlichsten alternativen Fakten. Mose ist plötzlich nicht mehr der mutige Leiter, sondern der, der einen Ägypter getötet hat. Die Sklaverei erscheint auf einmal als Zeit der übervollen Fleischtöpfe und Brotteller. Und die, die murren und intrigieren, alle aufwiegeln, sind nicht Täter sondern plötzlich die eigentlichen Opfer. Besonders beunruhigend ist das Vergessen: Die ganze Plackerei der Fronarbeit – die spielt einfach keine Rolle mehr. Dass Gott ganz Ägypten geschlagen hat mit den Plagen, damit Israel ziehen kann – keiner erinnert sich. Die wunderbare Rettung am Roten Meer - vollständig vergessen! Dabei, und das wird ausdrücklich zitiert, ist das gerade mal sechs Wochen her!

Gott hört das Murren. Durchaus mit Enttäuschung und auch ungehalten. Aber er hört weiter zu. Er steigt nicht aus aus der Beziehung. Er hinterfragt er sich im Grund selbst: Habe ich doch etwas zu viel von den Leuten verlangt? Ist die Vision vom Gottesvolk, von Freiheit und eigenem Land zu groß, zu abstrakt, zu anstrengend?

Wir brauchen Visionen! Ohne Frage.

Was wäre das für ein Zeichen für Europa gewesen, wenn wir uns nicht auf ein Hilfspaket hätten einigen können? 750 Milliarden Euro - ein starkes Zeichen für ein gemeinsames und hilfsbereites Europa. Aber natürlich müssen die Menschen da auch mitkommen können. Sie müssen erkennen, dass am Ende alle gewinnen.

In der Krise zusammenstehen, teilen, und schauen, dass alle kriegen, was sie brauchen. Dass niemand auf der Strecke bleibt.

Murrende und maulende Völker gibt es bis heute. Was passierte mit Israel in der Wüste?

Gott schickt Wachteln und Manna. Was genau Manna ist, das wissen wir bis heute nicht. Es hat aber anscheinend auch nicht sonderlich interessiert. Das Entscheidende beim Manna ist, dass es täglich da ist. Es liegt einfach in der Wüste. Jeden Tag. Es ist nicht besonders groß, einigermaßen geheimnisvoll, und nahrhaft. Es reicht für den Tag. Siehe, ich bin bei euch jeden Tag, soll das heißen. Gott sagt, lasst uns täglich im Kontakt sein. Wir verzichten stärker auf die feurigen Sonntagsreden von Mose und Aaron und backen stattdessen kleinere Brötchen. Das ist Gottes neues Angebot.

 

Natürlich muss es aufgelesen und gesammelt werden. Eine Beziehung muss gewollt werden – und zwar von beiden Seiten! Wachteln sind keine gebratenen Tauben, die mir ungefragt in den Mund fliegen. Eigentlich ist es ein Dilemma: Die großen Visionen sind zwar unerreichbar, aber sie haben Strahlkraft. Die kleinen alltäglichen Schritte sind leichter, aber weniger aufregend und auf lange Sicht auch mühsam. Aber dann, wenn eine kleine Quelle täglich sprudelt, kann am Ende auch in der Wüste ein Garten entstehen. Natürlich haben und hatten die Gründer des Saxdorfer Gartens eine große Vision im Herzen. Und vorwärts ging es Schritt für Schritt, Pflanze für Pflanze, Jahr für Jahr. Die Ehrenamtlichen, die jetzt viel, viel Zeit hier investieren, sind nicht deshalb engagiert, weil es einmal im Jahr eine große Dankeschön-Veranstaltung gibt oder eine Ehrennadel, sondern weil sie selbst etwas tun können, mitentscheiden, verantwortlich sind für einen kleinen Teil, aber damit teilhaben - ganz praktisch - an einer großen und faszinierenden Vision. Und natürlich: es tut einfach gut, aufzutanken, die Seele baumeln zu lassen und - im Schatten der großen Vision - zuzuschauen, wie sich der Garten entwickeln will.

Ich bin mir sicher, dass Jesus die Wüstenerfahrung Israels sehr genau im Blick hatte. Er kennt die Gefahren der Wüste und er kennt das Angebot Gottes. Täglich in Kontakt mit Gott sein. Für ihn ist das selbstverständlich. Keiner steht Gott näher als er. Aber er möchte den Beziehungslosen, den Zurückgewiesenen, den Verletzten, den Unsicheren, denen, die an den Rändern der staubigen Straßen sitzen, einen Zugang verschaffen. Auch in der Wüste kann Gott nahe sein und Wachtel und Manna schenken. Betet, lehrt Jesus seine Zuhörer. Betet sehr einfach und zwar mit den Worten „unser tägliches Brot gib uns heute“. Das ist die Brücke. Das Gebet ist das Gartentor zum Paradies.

 

Ich muss dazu sagen: Viele Ehrenamtliche hier in Saxdorf sind nicht christlich. Das ist für uns hier normal. 80 % der Bevölkerung gehören keiner Religion an. Schon seit mehreren Generationen. Trotzdem ist es vielen wichtig, dass das hier nicht nur ein normaler botanischer Garten, sondern eben ein Pfarrgarten ist. Auch den Gästen, die hierherkommen, geht das so. Das Manna, das viele hier sammeln, scheint doch ziemlich ähnlich zu schmecken.

Am liebsten würde ich täglich hier in den Garten gehen. So als eine Art Morgengebet. Und einfach da sein. Beim Namen genannt werden. Im unverfügbaren Paradies für einige Momente tägliches Manna sammeln. Und das Gesammelte im Krug wird reichen für den Tag, mit seinen Wüsten und Durststrecken, aber auch den grünen Wiesen und Schattenplätzen.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Dlf Gottesdienst