„Sich vom alten Jahr zu verabschieden, geht blitzschnell. Aber sich auf das Neue einzustellen, dafür brauche ich den ganzen Januar.“ Das sagte mir jemand vor wenigen Tagen. Dabei geht es um einiges: Neue Vorsätze werden dem Alltag angepasst. Liegengebliebenes soll endlich zu Ende geführt werden. Antworten auf alte Fragen sind neu zu finden. Ich selbst zum Beispiel bin an Silvester auf eine Situation aus dem Frühsommer 2021 gestoßen. Sie beschäftigt mich bis heute. Eine alltägliche, fast banale Erkenntnis über den Platz des Humors im Alltag ist mir dabei plausibel geworden. Die will ich weitergeben. Worum es aber genauer geht, das will ich erzählen:
Alle zwei Jahre finden wir uns in freundschaftlicher und verwandtschaftlicher Verbundenheit zu einer etwa 30-köpfigen digitalen Tipp-Gemeinschaft zusammen. Dann, wenn ein internationales Fußball-Turnier bevorsteht. Außer beträchtlichem Spaß gibt es dort nichts zu gewinnen. Die Verbundenheit ist alles, was die Dynamik und die heitere, erfrischende Atmosphäre dieser Gemeinschaft nährt. Dabei spielt der Humor eine entscheidende Rolle. Er ist es, der das spannende Geschehen über sechs Wochen zuverlässig trägt. Dann haben Punktgewinne und -verluste kaum noch eine Bedeutung. Sie werden bestenfalls in geistreichen, humorvollen Kommentaren erwähnt.
Lachen unter Tränen?
Als die Frauen und Männer, Jugendlichen und Kinder 2021 in die Europameisterschaft starteten, befanden wir uns in Trauer. Wir hatten wenige Tage zuvor von einer besonders sympathischen und prägenden Zentralfigur der Gruppe Abschied nehmen müssen. Es hatte eine enorme Überwindung gekostet, die Tradition in dieser Gefühlslage überhaupt fortzusetzen. Aber wir trafen uns letztendlich wie gewohnt. Wahrscheinlich, weil wir einander auch in der Trauer brauchten. Es mag auch sein, dass wir den Freund und Verwandten mit dieser besonderen Runde würdigen wollten. Oder begingen wir damit eine wichtige Etappe unseres gemeinsamen Trauerprozesses? Auf jeden Fall schafften wir es, uns zu treffen. Und stellten auch bald fest, dass es uns allen guttat. Für jede und jeden gab es ein Lachen oder doch ein „Lächeln“ unter Tränen.
Im Rückblick auf 2021 ist mir noch einmal klar geworden, wie hilfreich - und lehrreich - diese Tage für alle waren. Eine wichtige Erkenntnis ist für mich, wie schmerzhaftes Trauern und humorvolles digitales Miteinander in der Tipprunde unmittelbar zusammengehörten. Und dafür bin ich dankbar. Im Nachhinein bin ich überzeugt: Diese Erfahrung hätte uns ohne Zweifel gefehlt. Dass Trauer und Humor so eng Hand in Hand gehen können.
Den Humor bewusst ins Leben zu integrieren, das führte in der Geschichte zu zahlreichen kontroversen Auseinandersetzungen. In der Aufklärung zum Beispiel wurde der Humor als Feind der Ernsthaftigkeit und der logischen Argumentation gesehen und verpönt. Aber schon Aristoteles hat eine enge Verbindung zwischen Menschsein und Humor gesehen. Wo der Mensch das Leben gestaltet, können Räume für den Humor entwickelt werden. Durch humorvolles Lächeln oder Lachen kann ich mich aus einer als bedrückend empfundenen Situation befreien. Ich gehe auf Abstand zu einer solchen Situation und schaffe dadurch die Möglichkeit, mit der Lage anders umzugehen.
Alternative Medizin
Durch Humor entsteht der Anschluss zu anderen Menschen und somit zu neuen Impulsen. Mit seiner Hilfe teilen wir uns mit, er wird Teil unserer Kommunikation und belebt sie. Humor setzt positive Energien frei. Wir laden andere zum Lachen ein und lassen uns zum Lachen einladen. Gerade, wenn wir innerlich angeschlagen sind, kann das besonders helfen, sogar heilsam sein. Die Medizin nutzt diese Erkenntnis. Das erklärt beispielsweise den schönen Einsatz von Clowns auf Krankenstationen.
Trauern wird das Leben des Menschen wohl immer begleiten. Auch Krankheiten, die sich wie Corona zu Pandemien entwickeln und den ganzen Globus in Unruhe versetzen, können unser Leben immer wieder bedrängen. Aber der Humor bietet sich als guter Begleiter in die Zukunft an. Sowohl individuell als auch gruppenbezogen.
Standard, trotzdem stark
Der Schriftsteller Otto Julius Bierbaum gilt als Autor der Redensart „Humor ist, wenn man trotzdem lacht.“ Ich habe den Satz einst als Standardaussage über den deutschen Humor kennen gelernt. Damals als Student fand ich ihn aber missverständlich. Auf das, was den Humor konkret ausmacht, wies er meines Erachtens nicht hin. Unklar ist auch, was hinter dem „trotzdem“ im Zitat von Bierbaum steckt. Von einem Sportler, der sich gerade ein Bein gebrochen hat, wird man kaum erwarten, dass er das lustig findet.
Dennoch klingt hier etwas Souveränes durch. Das Zitat lädt mich dazu ein, nicht die Schwere einer Situation auf weitere zu übertragen, die potenziell kommen können. Es geht darum, jedes Geschehen singulär zu betrachten. Und den Blick darauf zu richten, dass danach etwas anderes kommen wird. Die Zukunft kann bereithalten, was ein Lachen wieder zu einem vertrauten Bestandteil des Lebens werden lässt. So gesehen, ist es eine Aufforderung, eher eine Einladung, den Wert jedes neuen Augenblickes zu sehen und zu schätzen. Eine Erinnerung an die Zukunft sozusagen.