Eine grellorange Wolke am Abendhimmel. Physikalisch lässt sich das erklären. Trotzdem löst es Staunen aus. Menschen früher sahen darin ein Zeichen für drohendes Unheil. Wie wirkt der Himmel auf uns?
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Spätsommer im vergangenen Jahr. Wir saßen draußen im Garten. Meine Frau und ich waren in Bücher vertieft. Die dichten Blätter der Buche im Nachbargarten rauschten beruhigend im Wind. In ihrer Krone saß eine Wildtaube und gurrte rhythmisch ihren Gesang. Ein Amselpaar traute sich bei seiner Futtersuche am Boden sogar bis nah an unsere Stühle heran, blieb jedoch verdeckt im Schatten des Rosenbeetes. Es war einer jener spätsommerlichen Nachmittage im Odenwald, die oft mit Ruhe und Unbeschwertheit einhergehen.
Wir haben lange nicht gemerkt, was sich plötzlich am bislang blauen Himmel tat. Eine mächtige Wolke war wie aus dem Nichts aufgetaucht und schwebte über unsere Köpfe. Erst als sie die Sonne verdunkelte, schauten wir auf und sahen den langen Schweif, den die Wolke hinter sich herzog. Er schien bis zum Horizont zu reichen. Besonders faszinierend war das Farbschauspiel, das die Wolke darbot. Eine grelle, orangene Färbung ließ sie wie eine weit lodernde Feuersäule aussehen.
Sie sah so still und erhaben und gleichzeitig gefährlich aus. Wir konnten einfach nur staunen. Gut zehn Minuten lang schauten wir auf die leuchtende Wolke über uns. Dann fing sie an, sich aufzulösen und die Sonne wieder freizugeben. Das Spektakel am Himmel war vorbei – ohne Gewitter, ohne Wolkenbruch. Am Boden zurück blieben wir mit unseren erstaunten und entzückten Gesichtern.
Der Himmel und seine Erscheinungen. Das war schon immer faszinierend. Über das Naturschauspiel hinaus haben sich Menschen beim Blick nach oben von jeher gefragt: Haben die Stimmungen am Himmel eine Bedeutung für das Geschehen auf der Erde? In der Bibel sind Wolken, Blitz und Donner, Regenbogen und Himmelsblau Beschreibungen dafür, wie Menschen an das Wirken Gottes glauben.
Mich packt es, wenn der Himmel all seine Farbmöglichkeiten spielen lässt. Und das tut er oft. Nachts lassen sich die Sterne als Lichter bestaunen und wo der Himmel klar ist, kann man heute Nacht das letzte Viertel des abnehmenden Mondes sehen. Sonnenuntergänge sind immer neu atemberaubend, auch wenn ich sie schon ungezählte Male erlebt habe. Sie begeistern mich genauso wie die Morgenröte – für die ich allerdings in dieser Jahreszeit früh auf sein muss. Bei uns im Odenwald ging die Sonne heute um 6:21 Uhr auf.
Der Regenbogen ist für Kinder wie für Erwachsene eine Schau. Und jedes Mal bin ich sprachlos, wenn der Himmel sich vor Sonnenaufgang tiefblau färbt. Es sind Momente, die nicht nur die Aufmerksamkeit von Künstlern auf sich ziehen. Naturliebhaber suchen sie sich, um die Magie der Natur nachzuempfinden. Sie baden sozusagen in den Farben.
Was ist das, das dabei so in seinen Bann zieht, wenn der Himmel so kunstvoll seine Farben offenbart? Es lässt sich wissenschaftlich-nüchtern erklären und löst doch Staunen und Hochstimmung aus. Furcht und Ehrfurcht sind auch mit dabei.
Mich beschäftigt nicht in erster Linie die Frage nach ihrer Entstehung. Mich beeindrucken die Farben und das, was sie in mir und bei anderen auslösen. Nicht ohne Grund habe ich sofort den Impuls, das Smartphone herauszuholen, Fotos zu machen und diese mit anderen zu teilen. Welche Wirkung haben die Himmelsfarben?
Farben sprechen den Menschen stark an. Die Kunst nutzt das. Sie lebt von der Ausdrucksstärke der Farben und deren Wirkung auf das Gemüt. Wenn die Farben am Himmel mich begeistern, dann könnte das also der gleiche Effekt wie bei einem Gemälde sein. Farben stellen grundsätzlich einen Reizmoment dar. Der russische Maler und Kunsttheoretiker Wassily Kandinsky hat die Farbe als "Macht" bezeichnet, "die die Seele direkt beeinflusst".
Der Sinneseindruck der verschiedenen Farben entsteht durch das Licht. Die gewaltige Wolke, die ich an dem Nachmittag im Spätsommer über mir sah, war grell orange, weil die untergehende Sonne sie sozusagen als Leinwand nutzte. Ohne den Einfall des Sonnenlichts hätte ich keine feuerähnliche Färbung wahrgenommen.
Ohne Licht wäre alles farblos. Aber das Licht wirkt erst durch sein Gegenüber, das Dunkel. Zum Leben braucht es den Wechsel von Licht und Dunkelheit. In der Schöpfungserzählung der Bibel steht: "Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. Da schied Gott das Licht von der Finsternis." (1. Mose 1,3-4) Beide sind Grundkomponenten, ohne die es das Leben auf der Erde nicht gäbe: Licht und Finsternis. Durch ihr Zusammenspiel kommt Farbe in die Welt. Und an den Himmel.
Mir geht es so: Auch wenn ich viele Himmelserscheinungen schon oft gesehen habe, haben sie für mich nach wie vor einen Überraschungseffekt. Es gibt Morgen, da bin ich noch damit beschäftigt, startklar zu werden. Auf einmal fällt mein Blick auf den Himmel draußen vor dem Fenster. Ich bin sofort hellwach und denke: Wow! Der Himmel wartet mit Unerwarteten auf.
Albert Einstein wird das folgende Zitat zugeschrieben:
"Das Schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle. Es ist das Grundgefühl, das an der Wiege von wahrer Kunst und Wissenschaft steht. Wer es nicht kennt und sich nicht mehr wundern, nicht mehr staunen kann, der ist so gut wie tot und seine Augen erloschen."
So gut wie tot ist drastisch ausgedrückt. Aber das Grundgefühl des Staunens kenne ich, wenn mich ein Blick zum Himmel überrascht: Sonnenauf- und untergang sind mir lange vertraut. Trotzdem bin ich neugierig: Wie sieht es heute aus? Es bleibt geheimnisvoll, wie es dem Himmel gelingt, überirdisch schöne Farben ans Firmament zu malen. Das Grundgefühl des Staunens steht nicht nur an der Wiege von Kunst und Wissenschaft, sondern auch an der Wiege von Religion und Glaube.
Die Physik erklärt die Himmelsfarben als komplexe Zusammenhänge. Hier erfahre ich, dass die Farben am Himmel nur durch das Licht der Sonne entstehen. Die Sonne steckt buchstäblich hinter dem Schein am Himmel. Sie strahlt weißes Licht aus. Ich lerne, dass dieses Licht, das weiß erscheint, aus vielen verschiedenen Farben besteht. Wenn es sich aufspaltet, dann entfalten sich vor unseren Augen die Farben. Eine solche Spaltung bewirkt zum Beispiel das Wasser. Trifft Sonnenlicht auf Regentropfen, entsteht ein Regenbogen.
Das weiße Licht der Sonne variiert aber auch in seinen Farben, sobald es die Erdatmosphäre erreicht. In der Mittagszeit ist uns die Sonne am nächsten. Sogar Farben mit kürzeren Wellen wie Blau sind sichtbar. Dann erscheint der Himmel bei sonnigem Wetter azurblau. Steht die Sonne tief am Horizont, muss ihr Licht mehr Luftschichten durch die Erdatmosphäre durchdringen. Die kürzeren Farbwellen bleiben für unsere Wahrnehmung auf der Strecke. Wir sehen dann vor allem die gelben, roten und orangen Farbtöne des Lichts und nennen sie Morgenrot und Abendrot.
Schon diese beiden Begriffe haben Poesie, obwohl sie einfach die Tageszeit und die Farbe bezeichnen. Der vergängliche Zauber von Morgen- und Abendrot hat zu Namen geführt wie "Blaue Stunde", "Goldene" oder "Magische Stunde". Das Geschehen erhält einen übernatürlichen Charakter.
"Goldene Stunde", denn das Sonnenlicht erscheint weich und warm. Es ist golden getönt, was vor allem Fotografen und Filmemacherinnen fasziniert. Hier reiht sich auch die sogenannte "Blaue Stunde" ein. Kurz vor Sonnenaufgang sind das etwa 20 bis 30 Minuten, in denen der Himmel eine tiefblaue Färbung annimmt.
Blau, golden, magisch. Die Namen zeigen: Die Farben des Himmels, von keiner Menschenhand hingepinselt, haben etwas Überirdisches. Schließlich handelt es sich ja um den Himmel. Jene Sphäre, in der Menschen traditionell Gott und göttliche Wesen ansiedeln.
Der Himmel und seine Farben faszinieren. Aber ist das reine Projektion von uns Menschen nach oben? Oder gibt es eine Verbindung zwischen Himmel und Erde? Was sich am Himmel abspielt, sagt das etwas über seine göttlichen Bewohner und hat es Auswirkung für uns auf der Erde?
Schon im dritten Jahrtausend vor Christus, so belegen es sumerische Schriften, glaubten Menschen: Himmelsphänomene sind als göttliche Zeichen zu verstehen. In der Bibel sind Sonne, Mond und Sterne von Gott gemacht. Aber sie sind keine Götter. Die Himmelskörper unterstehen dem Wirken Gottes.
So heißt es beispielsweise im Buch des Propheten Hesekiel drohend: Gott wird einst den Himmel bedecken und seine Sterne verdunkeln. Dann werden auch Sonne und Mond nicht mehr scheinen. Die Lichter und Farben am Himmel rücken damit sehr nahe an das unmittelbare Wirken Gottes. Gott lässt sie leuchten. Gott allein besitzt die Macht, sie zu verdunkeln.
Auch außerhalb der Vorstellungswelt der Bibel projizieren Menschen ihr eigenes Schicksal auf die Himmelserscheinungen. In der griechischen und römischen Mythologie galt der rote Himmel als Zeichen für den Zorn der Götter. Was ich heute als wunderschön erlebe, wurde mit drohender Gewalt von oben assoziiert. Und das löste Furcht und Bangen vor der Zukunft aus.
Solche Sorgen gehören zum Leben. Schon immer haben Menschen versucht, Schicksalsschläge voraussehen zu können. Und schon immer war klar: Wir können die Zukunft nicht beherrschen. Umso größer die Hoffnung beim Blick nach oben, der Himmel könnte etwas davon preisgeben, was vor uns liegt. Die Himmelsfarben fungieren dann als Botschaften, als Mitteilungen des Göttlichen.
Diese Denkweise kommt auch später in der europäischen Tradition vor. In Friedrich Schillers Drama "Wallenstein" wird der blutrote Himmel als Prophezeiung eines Kriegs gedeutet.
Aber bleibt es nicht eine Illusion? Kann die Zukunft planbar gemacht werden, nur weil Menschen die Himmelsfarben zu deuten versuchen?
Im Matthäusevangelium weist Jesus Leute zurück, die von ihm ein Zeichen vom Himmel verlangen. Jesus antwortet ihnen: Sie sollen nicht nur auf Zeichen achten, deren Deutung zu einer Gewohnheit geworden ist. Dieses Wissen ist oberflächlich und lenkt von dem ab, was in Gottes Wirken durch Jesus zur Sprache kommen soll. Jesus sagt:
"Wenn es Abend wird, sagt ihr: Es kommt schönes Wetter, denn der Himmel ist feuerrot. Und am Morgen sagt ihr: Heute kommt schlechtes Wetter, denn der Himmel ist feuerrot und trübt sich ein. Das Aussehen des Himmels wisst ihr zu beurteilen, die Zeichen der Zeit aber könnt ihr nicht beurteilen." (Matthäus 16,2-3)
Ich verstehe die Worte von Jesus so: Aus Erfahrung können viele beim Blick zum Himmel beurteilen, wie das Wetter wird. Sie können unterscheiden, dass dasselbe Phänomen – feuerroter Himmel – am Abend etwas anderes bedeutet als am Morgen.
Diese Fähigkeit, die Zeiten zu unterscheiden und die Zeichen zu deuten, die braucht man auch, um die Gegenwart zu verstehen. "Die Zeichen der Zeit", wie Jesus sie nennt. Er macht sie fest an dem, was er im Namen Gottes sagt und tut. Da braucht es kein weiteres Zeichen vom Himmel. Keine Wolke, die sich auf einmal herabsenkt, kein Gewitter, das Jesus herbeiruft – und schon glauben alle an ihn.
Wesentliche Zeichen der Zeit nicht verpassen. Die Aufgaben der Stunde erkennen. Wahrnehmen, wo und wie Gott wirkt. So verstehe ich den Rat Jesu.
Nebenbei zeigen die Worte von Jesus, dass die Himmelserscheinungen nicht immer bedrohlich verstanden wurden. Feuerroter Himmel am Abend verheißt nicht Krieg, sondern gutes Wetter am nächsten Tag. Dieses Wissen aus Erfahrung kann kein Schicksal wenden. Aber vielleicht hilft es, aufrechter, gelassen dem entgegenzusehen, was kommt. Man muss nicht immer nur mit dem Schlimmsten, sondern darf auch mit dem Schönsten rechnen.
Gott, der kommt. Diese Hoffnung begründet der Prophet Hosea mit der Gewissheit: Immer wieder geht die Sonne auf. Hosea schreibt:
"Lasst uns nach Erkenntnis streben, nach der Erkenntnis Gottes! Er kommt so sicher wie das Morgenrot, er kommt zu uns wie der Regen, der späte Regen, der die Erde tränkt." (Hosea 6,3)
Eine Formulierung, die mit ästhetischer Symbolik brilliert. Im Trachten nach der Erkenntnis Gottes erscheint dieser seinem Volk wie das Morgenrot. Das Volk wird ihn erfahren wie einen Regen, noch besser einen späten Herbstregen, der die Aussaat sprießen lässt.
Ich finde meine Erfahrung in den biblischen Beschreibungen wieder. Mir macht es Mut, die Farben des Himmels zu sehen. Wenn mich etwas belastet, dann lenkt es ab. Ich starre nicht nur auf mein Problem, sondern hebe den Kopf und schaue auf zum Himmel. Es stärkt das Vertrauen zu sehen: Es kommt ein neues Morgenrot.
In der Bibel hat der Regenbogen eine besondere Rolle. Er steht für die Verbindung zwischen Himmel und Erde, für das Bündnis zwischen Gott und seiner Welt. Mit ihm öffnen sich neue Horizonte.
Bündnisse nehmen im Alten Testament einen bedeutenden Platz ein. Oft geht es um Bündnisse zwischen Menschen. Zum Beispiel zwischen Isaak, dem Sohn Abrahams, und dem König der Philister Abimelech. Die beiden waren vorher Konkurrenten. Sie wollen ihre Konflikte hinter sich lassen und verpflichten sich, miteinander die Zukunft unter positiven Vorzeichen zu gestalten. (1. Mose 26)
Daneben erzählt die Bibel häufig von Bündnissen, bei denen Gott als Bündnispartner auftritt. Prominent ist der Bund, den Gott nach der Sintflut mit den Menschen und der ganzen Schöpfung schließt. Prominent ist auch das Zeichen für diesen Bund: der Regenbogen. Gott spricht:
"Meinen Bogen setze ich in die Wolken; er soll das Zeichen des Bundes werden zwischen mir und der Erde. Balle ich Wolken über der Erde zusammen und erscheint der Bogen in den Wolken, dann gedenke ich des Bundes, der besteht zwischen mir und euch und allen Lebewesen..." (1. Mose 9,13 ff)
Der Regenbogen steht mit seinen leuchtenden Farben als ästhetische Botschaft am Himmel. Er verheißt Versöhnung und Neubeginn. Gott verpflichtet sich einseitig, dem Inhalt des Bündnisses treu zu sein. Gott stellt keine Bedingungen, was seine Geschöpfe tun müssen. Gott verspricht: Was auch passiert, wie immer ihr euch verhaltet, meine Verbindung zu euch besteht so sicher, wie der Regenbogen sich zwischen Himmel und Erde ausspannt.
Ich halte mich an dieses Himmelszeichen. Wenn ich einen Regenbogen sehe, dann erinnert er mich daran: Es gibt Gottes Bund mit seiner Welt und damit auch mit mir. Meine Krisen mögen auf mich wirken wie ein Untergang, ähnlich der Sintflut. Aber die Farben des Regenbogens sind die Farben der Hoffnung. Farben, die mich aufrichten und mir ein neues Licht versprechen. Auf sie will ich schauen.
Es gilt das gesprochene Wort.
Musik dieser Sendung:
1. Murray Perahia - Bach - Goldberg Variationen: 9 - Variatio 8 a 2 Clav.
2. Murray Perahia - Bach - Goldberg Variationen: 10 – Variatio 9 a 1 Clav. Canone alla Terza
3. Murray Perahia - Bach - Goldberg Variationen: 11 – Variatio 10 a1 Clav. Fughetta
4. Murray Perahia - Bach - Goldberg Variationen: 15 – Variatio 14 a 2 Clav.
5. Murray Perahia - Bach - Goldberg Variationen: 27 – Variatio 26 a2 Clav.
Literatur dieser Sendung:
1. Aus "Concerning the spiritual in art", Wassily Kandinsky 1911
2. Albert Einstein in: Einstein sagt, Alice Calaprice, Hrsg., Piper, München/Zürich 1997, S. 216, ISBN: 3492047254
3. In Anlehnung an Hesekiel 32,7
4. Aus Wallensteins Tod (1799), dem dritten Teil von Friedrich Schillers Wallenstein-Trilogie.
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