Im Auftrag des Herrn

Am Sonntagmorgen

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Im Auftrag des Herrn
Europa und die Vertretung der Kirche(n)
29.05.2022 - 08:35
14.01.2022
Katrin Hatzinger
Über die Sendung:

Die Europäische Union sieht sich nicht nur als Wirtschafts-, sondern auch als Wertegemeinschaft. Neben zahlreichen Wirtschaftslobbyisten sind daher in Brüssel auch kirchliche Vertretungen präsent, um die Politik auf europäischer Ebene zu begleiten und zu beeinflussen. Doch wer sind die Menschen dahinter? Was motiviert sie, welche Erfahrungen machen sie im Dialog mit den EU-Institutionen und was unterscheidet sie sich von anderen Interessenvertretern?  Ein kleiner Einblick in eine besondere Facette der EU-Politik.

 
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Brüssel: das ist Sitz von EU und NATO. Ein Tummelplatz für Lobbyisten und Interessenvertreter aller Art.

Hier werden Strippen gezogen und wird Politik für die 27 EU-Mitgliedsstaaten gemacht. Kein Wunder, dass hier Viele mitreden wollen. Auch die Kirchen haben sich mit Vertretungen in der belgischen Hauptstadt etabliert, darunter die Evangelische Kirche in Deutschland, die EKD, die seit 1990 mit einer eigenen Dienststelle vertreten ist.

 

Als junge Juristin konnte ich mir Anfang der 2000er Jahre beruflich so Einiges vorstellen. Die Stellenanzeige der EKD fiel aus dem Rahmen. Gesucht wurde eine Juristische Referentin für die Dienststelle Brüssel. Als Kirchendiplomatin in Brüssel die Interessen meiner Kirche zu vertreten, mich gemeinsam mit Gleichgesinnten für Menschen einzusetzen, die kaum eine Lobby haben – das reizte mich sofort. Dass sich meine Kirche – ja, „um Gottes willen“ - auch politisch einmischt und das Feld nicht nur den klassischen Lobbyisten aus Industrie und Wirtschaft überlässt, das imponierte mir. Denn - den Anspruch des Evangeliums verstehe ich als öffentlich. Ich bekam die Stelle und habe seitdem die Chance und das Privileg, meinen christlichen Glauben im Herzen Europas in ein gesellschaftspolitisches Engagement zu übersetzen.

 

Das Büro der EKD mit seinen 9 Mitarbeitenden informiert die Kolleg*innen in Berlin, in Hannover und in den Landeskirchen über aktuelle politische Entwicklungen in der EU. Umgekehrt machen wir aber auch aufmerksam für evangelische Positionen, etwa im europäischen Gesetzgebungsprozess. Ursprünglich ging es vor allem darum, das verfassungsrechtlich garantierte Recht der Kirchen, ihre eigenen Angelegenheiten selber regeln zu können, abzusichern. Doch mit der Entwicklung der EU von einer Wirtschafts- hin zu einer Wertegemeinschaft ist es heute noch wichtiger, die kirchliche Erfahrung und Expertise einzubringen: in Politikfeldern wie Nachhaltigkeit, Asyl und Migration, Jugendpolitik, Klimaschutz, bei der ethischen Regulierung von künstlicher Intelligenz und in die Diskussion um eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Daneben kümmern wir uns im EKD-Büro Brüssel um europäische Fördergelder für kirchlich-diakonische Projekte. Und wir organisieren Begegnungen zwischen „Kirche“ und „EU-Politik“.

 

In den inzwischen 18 Jahren hier in Brüssel habe ich viel über Politik, Ökumene und Europa gelernt. Vor allem habe ich viele interessante und engagierte Menschen kennengelernt, die auf unterschiedlichen Wegen dazu gekommen sind, an der Schnittstelle von Kirche und EU-Politik zu arbeiten.  

 

 

Torsten Moritz:

In meinem Werdegang hatte Politik einfach immer eine wichtige Rolle gespielt. Mein Vater hat fürs Informationsbüro des Europäischen Parlaments gearbeitet, und ich habe dann auch Politikwissenschaften studiert. Und andererseits war ich eigentlich, ja eigentlich seit meiner Konfirmation zunächst in der kirchlichen Jugend und dann in der Studierendenarbeit engagiert, auch auf europäischer Ebene.

 

…sagt Dr. Torsten Moritz. Er ist heute Generalsekretär der Kommission der Kirchen für Migranten in Europa (CCME). Die Kommission ist aktiv in den Bereichen Asyl, Migration, Integration und Antidiskriminierung. Sie vertritt protestantische, anglikanische und orthodoxe Kirchen, aber auch Wohlfahrtsverbände wie die Diakonie.

 

Der Heilige Stuhl ist diplomatisch durch den päpstlichen Nuntius bei der EU akkreditiert, in der politischen Arbeit wird die katholische Kirche von der Kommission der 27 Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft (COMECE) vertreten.

 

Dort ist die deutsche Juristin Friederike Ladenburger seit 2018 als Referentin für Ethik, Wissenschaft und Gesundheit tätig. Sie lebt seit 23 Jahren in Brüssel.

 

Friederike Ladenburger:

Ich bin fasziniert davon, was der Glaube persönlich mit Menschen machen kann. Und ich bin auch überzeugt davon, dass der christliche Glaube die Aufgabe hat, Realität zu gestalten, also das Miteinander der Menschen. Und das passt zu mir auch mir persönlich als ein auch persönlich gläubiger Mensch einmal zu versuchen, wie mein eigener, ganz kleiner Beitrag aussehen kann zu diesem Gestalten der Realität aus christlicher Perspektive.

 

Ihr österreichischer Kollege Michael Kuhn ist ein echtes Brüsseler Urgestein. Er lebt seit 30 Jahren in Brüssel, ist Theologe und Kommunikationswissenschaftler und hat als Diakon und Religionslehrer gearbeitet.

Heute ist er Senior Advisor bei der Kommission der Bischofskonferenzen bei der EG für den Bereich Nachhaltigkeit. Außerdem berät er die österreichische Bischofskonferenz in EU-Fragen.

 

Michael Kuhn:

Für mich war dann die Idee, ich habe durch meine pastorale Arbeit Einiges über Europa und über die Europäische Union gelernt. Ich dachte, es wäre interessant zu schauen, inwieweit ich mithelfen kann, dass die Kirche hier sich stärker auch auf europäischer Ebene und in der europäischen Politik engagiert.

 

Auch orthodoxe Kirchen sind mit ihren Verbindungsbüros in Brüssel präsent. Der griechisch-orthodoxe Mönch Aimilianos Bogiannu lebt und arbeitet seit 2004 in der belg. Hauptstadt. Er ist Leiter des Büros des Ökumenischen Patriachats und vertritt den Dachverband der orthodoxen Kirchen bei der EU (CROCEU). Seiner Arbeit voraus ging ein Gespräch mit dem Ökumenische Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomäus I.:

 

Aimilianos Bogiannu:

Ich hatte so mit ihm gesprochen und habe gesagt, wie ich das wirklich lieben würde, für das Ökumenische Patriarchat arbeiten zu können. Und wenn ich etwas tun kann, wenn ich so helfen kann, mit doch was immer das ist, ich würde gerne mein Leben und alles, was ich bin, zu der Kirche geben.

 

Kooperation wird in Brüssel großgeschrieben, mit anderen Kirchen und Religionsgemeinschaften, mit Nichtregierungsorganisationen, politischen Stiftungen oder den Gewerkschaftsbüros. Die Akteure auf dem Brüsseler Parkett sind aufgelistet im europäischen Transparenzregister. Im April 2022 sind das 11.935 Organisationen, darunter Unternehmen, Verbände, Beratungsfirmen, Think Tanks und Bildungseinrichtungen. Auch die kirchlichen Vertretungen haben sich eingetragen. Doch worin liegt der Unterschied zur klassischen Lobbyarbeit? Friederike Ladenburger meint:

 

Friederike Ladenburger:

Ja, ich glaube, in der Methodik unterscheiden wir uns gar nicht grundlegend. Aber ich denke schon, dass wir uns in zwei Punkten unterscheiden und auch unterscheiden sollten. Das eine ist die Grundlage unseres Handelns, das ist eben die Grundlage der Glaube ist, die christliche Botschaft. Und der zweite Punkt ist schon glaube ich, der Umfang unseres Handelns. Wir agieren ja nicht nur für christlich überzeugte Menschen, insgesamt bei Fragen der Migration oder der Umweltpolitik ist ja nun die Aufgabe, aus christlicher Perspektive für alle Menschen zu agieren.

 

Torsten Moritz:

Also ich würde erstmal den Unterschied machen, zwischen was ich Profit und Non-Profit-Bereich nennen würde. Im Nicht-Profit-Bereich ist manches ähnlich. Aber was mir dann immer wieder noch auffällt, wenn ich es mit NGOs zum Beispiel im Bereich Asyl, Flucht, Migration, vergleiche ist, wir sind einerseits parteilich für diejenigen, deren Interessen wir vertreten, für die wir stehen: Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten. Und in vielen Punkten denken wir eben nicht nur das eine Thema Migration, sondern auch: was hat das mit sozialen Realitäten zu tun, mit Interkulturalität also etwas größere und breitere Ansätze als verschiedene andere Organisationen, würde ich sagen.

 

…meint Torsten Moritz, Generalsekretär der Kommission der Kirchen für Migranten in Europa. Der orthodoxe Vater Aimilanos hat einen anderen Blick auf das Thema:

 

Aimilianos Bogiannu:

Für uns ist eine Frage der Spiritualität. Wir sind nicht nur ein Körper, wir sind wir haben noch eine Seele, und das ist im Interesse der menschlichen Seele und der Menschlichkeit, dass wir uns darüber auch widmen.

 

In gewisser Weise stehen die Religionen, die Kirchen für die „Seele Europas“. Der Katholik
Michael Kuhn schaut zurück in die Geschichte:

 

 

 

Michael Kuhn:

Vielleicht ein Schlüsselereignis war, als Jacques Delors die Kirchen eingeladen hat, um an einem Runden Tisch zur Sozialpolitik teilzunehmen, über Armut zu reden und dann gesagt hat: ich lade deshalb die Kirchen und Religionen ein, weil sie in gewisser Weise Experten sind für die Bekämpfung von Armut.

 

In dem Zusammenhang ist natürlich auch an die Rede von Delors im Jahr 92 zu erinnern, dieses oft gebrauchte, oft missverstandene Wort von der Seele Europas. Letztendlich ging es Delors darum, dass möglichst viele Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen sich an der Debatte über die Gestaltung Europas engagieren und daran teilnehmen.

Das, was man im wahrsten Sinne des Wortes einen Dialog nennt, nämlich wo man einander zuhört und miteinander spricht.

 

Dieser Dialog ist seit 2009 in den EU-Verträgen (Vertrag von Lissabon) festgeschrieben. Danach führt die EU mit Kirchen und Religionsgemeinschaften einen (Zitat) „regelmäßigen, offenen und transparenten Dialog in Anerkennung ihrer Identität und ihres besonderen Beitrags“.

Diese Anerkennung der Kirchen als Dialogpartner hat sich auf das Miteinander mit den Vertretern der EU-Institutionen positiv ausgewirkt, meint Friederike Ladenburger:

 

Friederike Ladenburger:

Ich habe eigentlich positive Erfahrungen, in denen ich erlebe: kompetente, offene Mitarbeiter in den Institutionen, im Austausch mit uns. Ich erlebe ein Verständnis dafür, dass die Institution einen institutionalisierten Dialog mit den Kirchen zu führen haben.

 

Die Kirchen im politischen Geschäft, das führt auch in Brüssel immer wieder zu Nachfragen. Aber auch Menschen, die sich selbst keiner Kirche oder Religionsgemeinschaft zugehörig fühlen, reagieren auf die kirchliche Präsenz neugierig und interessiert. Meist gelingt es über gemeinsame Anliegen ins Gespräch zu kommen. Darüber hinaus prägt die Arbeit in dem internationalen Umfeld aber auch die eigene Einstellung zur EU. Torsten Moritz:

 

Torsten Moritz:

Wir haben öfters Gruppen da, die sagen dann, die EU zu kompliziert… Dann sage ich Ihnen immer, hören Sie mal, setzen Sie sich zusammen mit 27 Leuten. Sie wollen heute Abend ein Bier trinken gehen, 27 Leute aus ganz unterschiedlichen Ecken, die sich in 23 Sprachen verständigen wollen, wo sie heute Abend ein Bier trinken gehen. Und dann kriegen sie meistens mit, dass das doch ein bisschen komplexer ist und das ist für mich eine zentrale Lernerfahrung, dass es vielleicht oft das Beste ist, was möglich ist und besser als all die Alternativen.

 

Friederike Ladenburger sieht es so:

 

Friederike Ladenburger:

Aber was mir nicht klar war ist, dass das Leitmotto der EU in Vielfalt geeint in der Theorie sehr schön klingt, in der Praxis aber im Miteinander eine unglaublich große Herausforderung. Und was es dann bedeutet, hier für europäische Kompromisse zu streiten und zu ringen und sich aber auch selber in seinem nationalen Hintergrund, in seiner eigenen Prägung durch diese Vielfalt immer wieder hinterfragen zu lassen. Das, glaube ich, habe ich hier wirklich wesentlich mehr gelernt und habe größten Respekt davor, dass dieses in Vielfalt geeint, ja doch auch glücklicherweise immer wieder gelingt.

 

Für Vater Aimilianos sind es letztlich die Menschen, die die EU ausmachen:

 

Aimilianos Bogiannu:

Und es ist auch sehr ich würde es romantisch nennen. Man glaubt, dass, wenn man hierher kommt und viele Bücher über die EU gelesen hat, dann weiß man alles: Nein, das ist nicht der Fall. Man muss nicht vergessen, dass die EU von Menschen ausgewählt ist, und das ist die Wahrheit.

 

Wer einmal tief eingetaucht ist in das Arbeiten über Sprach-, Konfessions- und Kulturgrenzen hinaus, den lässt diese Erfahrung nicht unberührt. Torsten Moritz wünscht sich, die Kirchen zu Hause würden sich noch ein bisschen mehr auf die komplexe Europapolitik einlassen:  

 

Torsten Moritz:

Ein bisschen besser zu verstehen und ein bisschen mehr zu fragen, wie funktioniert es denn? …wäre glaube ich hilfreich, weil wir ganz, ganz oft entweder eine sehr naive Europa-Euphorie haben oder eine sehr, sehr wenig reflektierte Europa-Frustration.

 

Der gemeinsame europäische Weg lohnt sich auch für die Kirchen, findet Friederike Ladenburger.

 

Friederike Ladenburger:

Ich würde mir wünschen, noch mehr Offenheit für diesen manchmal sehr kleinteiligen Weg, den wir mit Europa gehen müssen. Ich persönlich bin zutiefst überzeugt, dass das ein absolut notwendiger Weg ist. Die Krisen der letzten Jahre haben deutlich gemacht, dass dieser Weg sich lohnt. Da würde ich mir schon noch mehr Bereitschaft zu mühsamen, kleinteiligen, aber natürlich hoffnungsfrohen, und auch auf gewisse Weise visionärem Arbeiten wünschen.

 

Dieses visionäre europäische Denken, das ist aktuell eine große Herausforderung. Der Ausgang des erbarmungslosen russischen Angriffskriegs in der Ukraine ist ungewiss. In der Stunde größter Not hat die Ukraine einen Beitrittsantrag gestellt. Dort steht das Leitmotiv der EU von Einheit in versöhnter Verschiedenheit eben auch für Demokratie, für Frieden, für Freiheit und für Menschenrechte. Und wird verstanden als eine Absage an jede Form von Autoritarismus, Extremismus, Imperialismus und Revanchismus.

Den weiten europäischen Horizont betrachten wir oft als selbstverständlich. Er ist heute mehr denn je ein Symbol für Hoffnung und er ist eine Errungenschaft, die es zu bewahren gilt.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

Musik dieser Sendung:
 

  1. The Swingle Singers, Ben Parry, Jonathan Lambert Rathbone John Fiddy (Ludwig van Beethoven), Ode to Joy A, CD-Titel: Spotlight on Bach – The Swingle Singers
14.01.2022
Katrin Hatzinger