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Zwischen Trauma und Hoffnung
Live-Übertragung aus der Erlöserkirche, Augsburg
29.01.2023 09:05
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Predigt zum Nachlesen:

I

Menschen sind wie wunderschöne Perlen.
Und: Menschen sind wie grässliche Felsbrocken.
Menschen sind das schönste und das furchtbarste im Leben.

„Wie sind Menschen?“ Diese Frage beschäftigt mich, seit ich mich erinnern kann. Und ich bin darauf gekommen: Menschen sind wie Perlen und Felsbrocken. Ich glaube Menschen sind das schönste und furchtbarste im Leben. Und das berührt und erschüttert mich. Ich habe das auch in der Bibel so entdeckt: Menschen sind Gottes Ebenbild: schön, würdevoll, wertvoll. Glänzende Perlen.
Doch dann auch das furchtbare. Menschen sind wie Felsbrocken. Wir haben vorhin von Kain und Abel gehört.

Ein Bruder erschlägt seinen Bruder mit einem Felsbrocken. Ein Mensch, der für den anderen da sein soll, tut ihm das schlimmste an. Geschichten wie sie schon immer passieren. Und doch ist jede dieser Geschichten einzigartig schlimm.

Warum macht Kain das – den Bruder erschlagen? Die Bibel gibt keine Antwort. Sie erzählt einfach: Kain fühlt sich ungerecht behandelt. Aber ich denke es geht   um mehr als nur um Neid.
Warum tut ein Mensch einem Anderen schlimmes an? In meiner wissenschaftlichen Arbeit zum Thema Gewalt habe ich verschiedene Erklärungen dazu gelernt: Aggression gehört zum Menschen dazu; Gewalttäter haben selbst Gewalt erlebt oder wissen nicht, was sie anrichten. Aber ich muss sagen: Ich bin nicht zufrieden mit diesen Erklärversuchen. Wenn ich über sie nachdenke, habe ich eher mehr als weniger Fragen. 

Ich lese weiter in der Bibel. Was geschieht eigentlich mit Kain, dem Täter?
Die Bibel erzählt: Gott lässt ihn nicht davonkommen. Vor Gott muss Kain Verantwortung  übernehmen. Er hat einen Menschen ermordet. Und dadurch verliert er etwas von sich selbst. Die Erde, die von Blut des toten Abel getränkt ist, kann nicht mehr seine Heimat sein. An einem Satz in der Geschichte bleibe ich hängen, nämlich: Gott spricht ….. Gott spricht: „Das Blut Abels schreit zu mir vom Ackerboden.“ Der Schrei von Abels Blut hallt durch die Zeit: Der Schrei der Gequälten. Der Schrei von Selma Meerbaum. Wir haben ihn gehört. Der Schrei des Jungen, der im Kinderheim von der Erzieherin verprügelt wird. Der Schrei vergewaltigter Männer und Frauen in den Kriegen dieser Welt. Der Schrei von Abels Blut hallt durch die Zeit.

II

Gewalt hat verschiedene Gesichter und verschiedene Waffen. Worte. Emotionaler Druck. Zwang. Schläge. Sexualisierte Gewalt.

In der Lesung, die wir gehört haben, spricht Jesus aus, wozu Menschen fähig sind: Er spricht über verschiedene Formen von Gewalt, unter denen die Seinen leiden werden. Bis hin zum Mord.

Die Worte Jesu sind Teil einer längeren Rede im Matthäusevangelium. Aussendungsrede heißt sie. Die Jüngerinnen und Jünger werden ausgesandt in ein Leben, in dem es Gewalt gibt und Verletzungen; ausgesandt in eine Welt, in der Menschen einander beschädigen und Gewalt antun.
Wenn ich die Rede im Ganzen lese, wirkt sie auf mich brüchig, bruchstückhaft. So als hätte jemand verschiedene Zitate von Jesus als Fragmente nebeneinandergestellt.
Für mich passt das.: Die Rede erklärt nicht das Leid. Sie ist keine Geschichte, die alles einordnet. Sie ist kein Ratschlag, der schlägt, keine Deutung, die alles abschließt. Sondern verschiedene Fragmente und Bruchstücke nebeneinander. *
Und auch das Evangelium, die frohe Botschaft, die durch die Risse scheint und mich trösten will, begegnet mir als Fragment, als Bruchstück. Fürchtet euch nicht. Das Verborgene wird offenbar werden. Was verschwiegen wurde oder nur hinter vorgehaltener Hand geflüstert wird, das soll bekannt werden. Vielleicht ein Bruchstück von Hoffnung für Menschen, die Gewalt erfahren haben. Was du gelitten und ertragen hast, darf nicht verschwiegen werden. Deine Geschichte soll gehört und gesehen werden, mindestens von Gott und, wenn du es willst und kannst, auch von anderen Menschen, die für dich da sind.

Ich weiß, das ist viel leichter gesagt als getan. Und trotzdem sagt das Evangelium:
„Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können; fürchtet viel mehr den, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle.“

Das letzte Wort bleibt bei mir hängen: „Hölle“. Dieses Wort mit dem so viel Schlimmes angerichtet wurde. Das selbst so schlimmes beschreibt. Denn „Die Hölle, das sind die anderen“, wie Sartre einmal gesagt hat. Hölle – das sind Häuser im Krieg, in die Soldaten eindringen und Menschen vergewaltigen oder erschießen. Hölle – das sind Kinderzimmer, in denen der besoffene Vater mit dem Gürtel prügelt. Hölle – das sind dunkle Ecken in Gemeindehäusern, in denen Geistliche sich an Kindern vergehen.
Menschen machen andere kaputt an Leib und Seele. Das ist Hölle. Und davon spricht mit Jesus ein Mensch, dem selbst die Hölle bereitet wurde. Mit Schmerzen an Leib und Seele ans Kreuz geschlagen. Und dieses Kreuz steht in der Mitte. Es hängt an so vielen Orten. Und es stellt die Opfer in den Mittelpunkt. Die Opfer von Gewalt und Hölle: Menschen als gebrochene Perlen. Die stehen für Jesus im Mittelpunkt.

III

Menschen sind wunderschöne Perlen. Doch manche Erfahrungen treffen sie wie Felsbrocken.
Sexueller Missbrauch, Gewalt, Ereignisse, die sich schwer in Sprache fassen lassen.

In der Perle ist ein Bruch, vielleicht sind es ganz viele Brüche. Die Perle ist beschmutzt, ihr Glanz genommen. Und nun?
Der Schrecken kehrt immer wieder zurück, als wäre er heute. In der Traumaforschung nennt man das Intrusion. 

Das Leben wie ein Kinofilm: Und die furchtbare Szene überraschend immer wieder hineingeschnitten. In der Perle ist ein Bruch. Verwundet liegt sie da. Beschmutzt, ihr Glanz vergraben in Schrecken, Schweiß und Tränen.
Manchmal gehen die Wunden so tief. Seelenmord wurde das genannt. Ein Wort das beschreibt, wofür es keine Worte gibt. 

Doch ich höre im Evangelium die Stimme von Jesus. Wie als Protest spricht Jesus davon, dass Menschen die Seele nicht töten können. Den Körper ja, aber nicht die Seele. Nochmal: Menschen können die Seele nicht töten. Im Menschen ist etwas, das unzerstörbar ist: ein Seelenfunken, ein heiler Kern. Die Seele ist nicht zerstörbar, daher: Habt keine Furcht. Habt Mut!

Schreit von den Dächern, was sonst verborgen bleibt. Stellt ins Licht,was gerne in der Dunkelheit geschieht. Und vor allem denk dran: Kein Mensch kann deine Seele töten.

IV

„Fürchtet euch nicht“.

Wie kann Jesus „Fürchtet euch nicht“ sagen, wo er doch all das Schreckliche anspricht, das Menschen tun:
Ich glaube: Es gibt Hoffnung. Auf ein Licht nach der Finsternis.
Auf einen Moment, an dem Gottes Gegenwart alles ausfüllt. So sehr, dass in ihrem strahlenden Licht alle Felsen schmelzen und vergehen.
Eine Gegenwart so strahlend und voller Liebe. Perlen können wieder zum Leuchten kommen, entdeckt werden und gefunden unter Schmutz und Blut und Tränen.  Sie können heil werden. Wo eine schwarze Bruchlinie war ist dann eine goldene Spur.  Eine Auferstehung nach dem Tod. Sicher im Jenseits. Und in Spuren auch schon heute. Das Trauma hat nicht das letzte Wort.

„Fürchtet euch nicht“ kann Jesus sprechen. Voll Hoffnung. Und voll Gewissheit dieser Gegenwart, auf die wir alle zugehen.
Wenn ich daran zweifle, hilft mir das Gebet einer Frau. Als Kind wurde sie von ihrem Vater, einem Pastor missbraucht. Und sie betet:

 „Halte mich Gott
durch meine Dunkelheit hindurch
halte du mich mit deiner Verheißung der Auferstehung
durch meine Angst hindurch
halte du mich der du für Hoffnung stehst
durch mein Schweigen hindurch
halte mich in deiner Wahrheit
wenn mein Mut nicht ausreicht wahrhaftig zu sein
wenn ich mich weg ducke aus Furcht vor den Menschen
dann hilf mir mich aufzurichten hin zu deiner Gegenwart“

Amen

 

Es gilt das gesprochene Wort.

Dlf Gottesdienst