Vielleicht nennen mich manche jetzt gleich „Warmduscher“ oder „Weichei“. Das ist okay.
Ich genieße es, wenigstens einmal im Jahr für ein paar Tage im Urlaub zu zelten. Nein, nicht mit einem dieser Luxus-Camper. Mit einem in die Jahre gekommenen Iglu-Zelt, mit Schlafsack und Klappstuhl. Ich genieße das. Macht auch nichts, wenn es mal einen Schauer gibt. Nur wenn es tagelang regnet, es richtig matschig wird und die Klamotten nur noch feucht sind, dann knicke ich ein. Und suche ich mir irgendwo in der Nähe eine Pension. „Weichei“ eben.
Manchmal muss ich an mein etwas romantisches Zelten denken, wenn ich auf der Autobahn unterwegs bin und auf den Parkplätzen und Rasthöfen die Lkw-Fahrer*innen sehe. Sie campen nicht. Sie „campieren“ auf den Parkplätzen, gerade an Wochenenden. Sie kochen an der Seite der Lastwagen auf einem Gaskocher ein einfaches Essen. Wäsche hängt zum Trocknen an Spiegeln und Scheibenwischern. Und an den vielen osteuropäischen Nummernschildern lässt sich erahnen, wie groß die Entfernung zu den eigenen Familien, zum Zuhause ist. Ein Einknicken wie bei meinem Camping, bei dem mich schon ein paar Tage Regen an meine Grenzen bringen, gibt es da nicht. Die Fahrer*innen müssen ausharren, in den kleinen und sicher nicht luxuriösen Kabinen ihrer Lkw. Wenn einige von ihnen derzeit an der A5 wieder streiken, weil ihr polnischer Spediteur nicht mal die ohnehin geringen Gehälter zahlt, gibt es etwas Aufmerksamkeit für diese Menschen. Dabei ist das ja nur ein kleiner Ausschnitt eines großen Skandals: Den Fahrern wird meist nicht mal der deutsche Mindestlohn gezahlt, obwohl sie doch hier arbeiten. Klar, dass das auch viele andere Spediteure ärgert, die ohnehin kaum Fahrer finden und viel höhere Löhne zahlen müssen.
Die Menschen, die an ihren Lastern auf den Raststätten der Autobahnen campieren, haben nichts gemein mit meinem romantischen Camping. Der Unterschied zwischen Campen und Campieren könnte größer wohl kaum sein. Diese Menschen sind sehr oft Opfer eines Systems, das Schwache und Schutzlose ausbeutet. Ein Unterschied zu den osteuropäischen Arbeitern im Baugewerbe oder bei den Subunternehmen in den Schlachthöfen ist bei den Lkw-Fahrern, dass man die Lkw-Fahrer sieht. Man kann sie, wenn man auf Autobahnen unterwegs ist, kaum übersehen und ihre Lage nicht so einfach ignorieren. Ändern tut das allerdings wenig.
Der Prophet Amos gehört in der Bibel zu den markanten Menschen, die nicht mehr bereit sind, Strukturen der Ausbeutung einfach achselzuckend hinzunehmen. Er beobachtet auch in seiner Zeit, dass die Wohlhabenden auf Kosten anderer leben. Es sieht ein skandalöses Gefälle zwischen denen, die meinen, ihren Wohlstand für selbstverständlich halten, und denen, die sich abstrampeln und doch nie auf einen grünen Zweig kommen. Die Parallele zu unserer westlichen, deutschen Gesellschaft heute schmerzt. Klar, so schnell und einfach lässt sich die Ausbeutung von Menschen nicht abstellen. Wer wollte schon mehr für die Waren zahlen, die so günstig durch ganz Europa transportiert werden?! Aber gerade in der Urlaubszeit, in der viele Menschen auch an den campierenden Lkw-Fahrern vorbeikommen, lassen sich das Schicksal der Menschen und häufig die Strukturen der Ausbeutung hinter ihnen, nicht ignorieren. An den scheinbar harmlosen Rastplätzen ergibt sich ein Blick in die Abgründe einer ungerechten Wohlstandsgesellschaft.
Norddeutscher Rundfunk (NDR)
Redaktion: Sabine Pinkenburg
Katholischer Senderbeauftragter für Das Wort zum Sonntag für den NDR
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