Foto: WDR/Ben Knabe
Kannste vergessen?
mit Pfarrerin Anke Prumbaum
01.01.2024 22:35

Guten Abend!

Der erste Abend im neuen Jahr.  Ein ganzes neues Jahr liegt da. Einerseits voller Möglichkeiten, aber irgendwie auch nicht, ich hab noch so ein dickes altes Jahr im Gepäck, 2023. Ich hatte letzte Woche ein Gespräch mit einer Mitarbeiterin, und als wir zusammensaßen, meinte sie: “So, ich muss einfach mal reden, da waren so viele Sachen in 2023, die will ich nicht mit rüber nehmen. Ich will diese Dinge wegerzählen, rauslassen und dann lass ich das  hier. Dann bleibt das in 23 und ich nehme es nicht mit nach 24.“ Wenn das doch so einfach wäre!

Klar, so ein Jahreswechsel ist nicht nur ein Kalenderding. Wir haben lange gesprochen. Ich hab gemerkt , es ist gut, den Übergang wahrzunehmen. Was war und was lasse ich zurück? Sie hat gesprochen, andere schreiben und verbrennen es und wieder andere legen ihre Themen ins Gebet oder ins Schweigen.

Mir ist in unserem Gespräch nochmal klageworden: es geht ganz viel ums Zurücklassen. Aber mir geht es doch mindestens genauso auch ums Mitnehmen. Ich nehme ganz vieles aus dem alten Jahr mit: meine Erfahrungen. Das, was mir passiert ist, was ich geschafft und was ich nicht geschafft hab. Da ist viel, und ja, es ist nicht immer gut. Bilder, die ich gesehen habe, Szenen, die ich erlebt habe, die kann ich nicht brauchen in meinem neuen Jahr, am liebsten weg damit, aber ist das so einfach? Psychologisch könnte man sagen:  lass los, und erst wenn Altes weggegeben ist, ist Platz für Neues. Ja, versteh ich. Aber was ist mit dem, was in mir ist und bleibt?  

Ich war im letzten Jahr in Meißen auf einer Tagung. Und als ich zum Bahnhof ging, hab ich in einer Bäckerei eine typische Meissner Tradition entdeckt. Da gibt es ein Gebäck, das ist ungefähr so groß (…) und das ist aus ganz dünnem Teig, die Meißner nennen es die „Fummel“, komplizierte historische Genese, und dieses Ding ist total zerbrechlich, weil es eben so hauchdünn ist und innen drin nur Luft ist. Die Idee ist, dass man dieses Gebäck in Meißen kauft und man es mit nach Hause nimmt, und versucht,  es nicht zu zerbrechen.

So nennt die Bibel uns Menschen:  zerbrechlich. Sie bezeichnet uns als „irdene Gefäße“. Aber sie sagt: in dieser Zerbrechlichkeit tragt ihr auch eine Kraft. Ihr habt das Leuchten Gottes in euch. Hoffnung. Perspektive. Da ist etwas. Das kann ich mitnehmen. Und ich kann versuchen, es nicht zu zerbrechen.

So ist das mit dem Jahreswechsel.  Alles das, was mich in diesem schwierigen Jahr 2023 dennoch in der Hoffnung gehalten hat und mir Mut gegeben hat, das will ich mitnehmen. Momente der Menschlichkeit. Der Solidarität. Des Mitgefühls. Des Glaubens. Das hat es ja alles gegeben. Vieles davon ist sehr filigran und sehr zerbrechlich. Und womöglich ist es kaum hinzubekommen, das heile rüber zu transportieren ins neue Jahr. Aber ich will das mitnehmen, das will ich versuchen.

An diesem ersten Abend des neuen Jahres weiß ich um die Zerbrechlichkeit. Ich weiß, dass ich nicht nur zurücklasse, sondern auch mitnehme. Da möchte ich aufpassen, dass  ich die schönen Momente, das Stärkende aus 2023 mit hinübertrage. Es ist fragil, zerbrechlich, aber das hat es gegeben und es ist wertvoll. So schwer das Gewicht dieses letzten Jahres ist und den Blick in ein neues eintrübt, ich bringe auch noch anderes. Etwas, das leuchtet und tröstet.

Und in diesem Sinne wünsche ich Ihnen Segen für den Start ins neue Jahr.

 

Sendeort und Mitwirkende

Westdeutscher Rundfunk (WDR)

Redaktion: Christiane Mausbach