"Es könnte alles so idyllisch, so harmonisch sein: Das Kaffeetrinken mit der Familie im Esszimmer. Ein Familienvater spielt mit den Kindern. Das Leben in einer Villa mit Garten. Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, der aktuelle Kinofilm "The Zone of Interest" zeigt ein bürgerliches Familienidyll. Nur, dass da diese Mauer neben dem Haus steht, hinter der sich das Vernichtungslager Auschwitz befindet – nur, dass da auf einmal graue Asche im Fluss fließt, an dem die Kinder spielen –nur, dass da der Geruch der Krematorien ist und die immer wieder zu hörenden Schüsse. Diese Dinge zeigen, dass der bürgerliche Schein trügt. Sie durchbrechen das bürgerliche Idyll. Sie erinnern an den totalen Wahnsinn des Massenmords, den Holocaust, die Shoa gleich nebenan – säuberlich getrennt vom Familienleben der Mörder. Dieses Nebeneinander von zwei Welten, das der Kinofilm abbildet, ist schwer erträglich. Da wechseln Massenmörder von einer Welt in die andere als wäre es völlig harmlos.
Der Kinofilm, der aktuell für mehrere Oskars in Los Angeles nominiert ist, fasziniert und stößt zugleich ab. Er spielt in der von Banalität und Gewissenlosigkeit geprägten Welt der Nazi-Verbrecher. Hätte dabei nicht jeder einzelne Mensch, der hinter der Mauer und hinter dem Stacheldraht zu Tode gequält wurde, als jüdischer Mensch, als Angehöriger der Sinti und Roma, als Homosexueller, als Verfolgter und Kriegsgefangener – hätten nicht all diese Menschen es eher verdient, mit einem Film gewürdigt zu werden? Ja. Ohne Wenn und Aber: ja!
Die Berechtigung für solch einen Film kann nicht in der Faszination für das Böse liegen, sie kann nur darin bestehen, die richtigen Fragen für uns heute im Umgang mit Rechtsextremen und mit menschenverachtenden Nazis zu stellen. Denn die kommen bevorzugt auch mit einer bürgerlichen, scheinbar harmlosen Fassade daher: Sie engagieren sich so nett im Fußballverein und beim Dorffest. Es ist eine vorgetäuschte Inszenierung, die das menschenverachtende Denken und Handeln verdeckt. Der Kinofilm "The Zone of Interest" fragt angesichts dieser bürgerlichen und braven Fassade: Woran können sich Menschen gewöhnen? Daran, dass am Tisch Witze über Menschen mit Behinderungen gemacht werden? Daran, dass in der Dorfdisko am Wochenende Nazi-Gesänge gegrölt werden? Daran dass Rechtsradikale gegen Menschen hetzen? Daran, dass rechtsextreme Politiker auf Tiktok offen darüber sprechen, bei nächster Gelegenheit die Institutionen der Demokratie abzuschaffen?
Schon die große Denkerin Hannah Arendt hat in ihren Arbeiten auf die "Banalität des Bösen" verwiesen: Die Naziverbrecher waren meist erbärmliche Kleingeister und charakterlose Karrieristen. Doch das genügt, jedes menschliche Empfinden bei Bedarf auszuschalten. Ich danke den Bischöfen meiner Kirche, dass sie im Blick auf Rechtsextreme mit bürgerlicher Fassade deutlich Position bezogen haben. Sie haben damit auch klargemacht, dass christlicher Glaube nie unpolitisch sein kann. Sie haben damit auch auf die Gefahr hingewiesen, sich womöglich an die falschen Dinge zu gewöhnen: das hasserfüllte Denken hinter bürgerlicher Fassade. Die gespielte Sorge, das inszenierte Idyll. Es gilt, sich als Christ:in deutlich zu positionieren und sich nicht an die falschen Dinge zu gewöhnen, nicht an Hass, nicht an Verlogenheit."
Norddeutscher Rundfunk (NDR)
Redaktion: Sabine Pinkenburg
Katholischer Senderbeauftragter für Das Wort zum Sonntag für den NDR
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