Sommermärchen 2.0?
mit Pfarrerin Annette Behnken aus Loccum
16.06.2024 00:30

"Im Fußball geht es nicht um Leben und Tod – die Sache ist viel ernster." Legendäres Zitat von Bill Shankley, ebenso legendärer Trainer des FC-Liverpool in den 60-er-70-er Jahren. Wenn das so ist – frag ich mich - wie steht‘s mit dem Sommermärchen 2.0?

Mit Märchen ist das ja so ne Sache. Am Ende ist immer alles gut. Die Bösen sind besiegt, die Guten werden König oder heiraten ihn und sind glücklich bis ans Lebensende. Wer Märchen hört oder liest, bekommt was geschenkt. `Ne kleine Flucht vor der Wirklichkeit. Aber auch Hoffnung, dass irgendwann alles gut sein kann. Glaube, Liebe Hoffnung, das ist der Stoff, aus dem Märchen sind. Das ist aber auch das, was echte Fußballfans ausmacht: Glaube an Deinen Verein, liebe ihn und gib die Hoffnung nie auf. Glaube, Liebe, Hoffnung - nicht zuletzt einer der Kernsätze der Bibel.

Sommermärchen 2.0. Machts noch einmal, wie vor 18 Jahren – die Hoffnung dieser Tage. Damals ein Wirklichkeit gewordenes Märchen. Das ganze Land euphorisch. Einen Sommer lang ein nie gekanntes Wir-Gefühl. Und Meere von Deutschlandfähnchen, die für Gastfreundschaft standen, für Zusammenhalt und Vielfalt. Und damit wäre das Sommermärchen 2.0 da – mit oder ohne EM-Sieg.

Die Stimmung  war berauschend. Auch für Menschen wie mich, die ein Leben ohne Fußball für denkbar halten. Wobei – nein, eigentlich nicht. Natürlich packt‘s mich irgendwann auch, spätestens im Halbfinale. Das Grandiose am Fußball ist ja, dass da das ganz Leben drinsteckt: Sieg und Niederlage. Kampf und Spiel. Glaube, Hoffnung, echte Liebe. Und hohe Ideale: Fairness. Toleranz. Völkerverständigung. Solche Ereignisse brauchen wir. Denen wir uns kaum entziehen können. Weils um alles geht und um mehr als das.

Aber: Kein Märchen ohne Hexen, Wölfe oder böse Stiefmütter. Im Fußballmärchen heißen sie Korruption. Homophobie. Rassismus. "United by football", der Slogan der EM steht für Gemeinsamkeit, Völkerverständigung und Transparenz. Und wird unglaubwürdig, wenn die schwierigen Seiten des Fußballs nicht benannt werden sollen, wie zurzeit das Thema Rassismus. Denn Märchen sind nur dann gut, wenn auch die dunkle Seite erzählt wird. Und dann überwunden wird. Von Helden oder Fußballgöttern. Aber Gewinner, Gewinnerinnen – das können alle sein. Alle profitieren davon, wenn Ideale wie Fairness und Toleranz ernst gemeint sind, wenn Völkerverständigung gelebt wird. Hier liegt die Kraft, aber auch die positive Botschaft von Fußball, von Glaube, Liebe Hoffnung.

Also: Sommermärchen 2.0?  Naja, unsere Welt ist nicht mehr die, die sie 2006 war: (Damals noch) Ohne Krieg in Europa. Ohne Corona. Ohne Rechtsruck. Und jetzt soll ein neues Sommermärchen den Umschwung bringen, einen Stimmungswechsel – raus aus dem Gefühl der Krise - rein in Optimismus und Gemeinschaftseuphorie?

So hofft es die Bundesregierung, so hoffen es die Fußballverbände. Aber Euphorie lässt sich nicht anordnen.

Wie auch immer diese EM ausgeht – sie wird nicht zum Sommermärchen, wenn sie vor irgendwelche Karren gespannt wird. Aber sie kann es werden, wenn wir sie einfach feiern. Mit oder ohne Siege. Gastfreundlich, fair und tolerant. Im Fußball, im Märchen und im echten Leben - geht´s ums Ganze und mehr als das. Um Glaube, Liebe, Hoffnung, diese drei. Um das, was den Ball am Laufen - und die Welt zusammen hält.

Sendeort und Mitwirkende

Norddeutscher Rundfunk (NDR)

Redaktion: Sabine Pinkenburg