Woher weiß ich, was ich glaube?

St. Ulrichkirche in Neckargemünd

Fotograf: Claus Herboth

Woher weiß ich, was ich glaube?
aus der St. Ulrichskirche in Neckargemünd
30.06.2024 - 10:05
Über die Sendung:

Die Antwort auf die Frage "Woher weiß ich, was ich glaube?" ist vielschichtig. Der Suche nach dieser Antwort gehen in diesem Gottesdienst Pfarrer Manfred Kuhn sowie Theologe und Künstler Arnim Töpel nach.

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Predigt zum Nachlesen:
I
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

Liebe Gemeinde, liebe Hörerinnen und Hörer, die heutige Predigt unterscheidet sich ein wenig von der üblichen Sonntagspredigt: Wir sind zwei Prediger, wir predigen nicht über einen Predigttext, sondern über einen Fall aus der kurpfälzischen Kirchengeschichte.

Mein Part ist der historische Strang, Arnim Töpel obliegt der gegenwartsorientierte Strang, in den er auch kurpfälzische Mundartpassagen integrieren wird; er wird nun auch beginnen. Er hat aus dem Fall einen Krimi gemacht:

Kommissar Günda schlendert gerne in Heidelberg über den Marktplatz, besieht sich das bunte Treiben, lauscht dem Sprachengewirr der vielen Touristen, um schlussendlich dort zu verweilen, wo er sich am wohlsten fühlt: in Bratwurstnähe.

Er hat sich schon ein stilles Plätzchen für den späteren Genuss ausgeguckt, da fällt sein Blick auf eine Gedenktafel:

Hier wurde am 23. Dezember 1572 der evangelische Pfarrer Johannes Sylvanus wegen Ketzerei und Gotteslästerung hingerichtet. Auf seiner Suche nach dem rechten Glauben war er mit seinen kritischen Gedanken unbequem geworden. Er wurde mit dem Schwert des Scharfrichters zum Schweigen gebracht.

Wie bidde? Kommissar Günda hat davon noch nie gehört. Ein evangelischer Pfarrer geköpft? In unsam schääne, romandische Heidelberg?

Johannes Sylvanus, geboren um 1525 in Südtirol, Studium in Wien, erwarb sich früh einen reichsweiten Ruf als versierter Theologe. Die Frage nach dem richtigen Glauben bewegte ihn sein Leben lang. Als Suchender zeigte er sich immer wieder bereit, aus neuen Erkenntnissen Konsequenzen zu ziehen. So verließ er die katholische Kirche in Würzburg, wo er immerhin Mitarbeiter des Bischofs war, und wurde evangelischer Pfarrer im lutherischen Herzogtum Württemberg, in Calw. Dort gewann er bald die Überzeugung, dass die Reformation Luthers nicht weit genug gegangen war.

Er fühlte sich zunehmend den Schweizer Reformatoren Calvin und Zwingli verbunden, deren Lehren auch in der benachbarten Kurpfalz Anklang fanden, vor allem bei Kurfürst Friedrich, dem Frommen.

Der brauchte kompetente Theologen, um diese Richtung des reformatorischen Glaubens nach innen und außen zu vertreten.

Er bot Sylvanus an, Superintendent in Kaiserslautern zu werden. Sylvanus zögerte nicht und zog erneut um.

 

II
Kommissar Günda ist evangelisch und hat das auch nie in Frage gestellt. Wie es dazu kam? Nun, gonz äfach: Wie isch värzeh war, do hots gheeße: Auf, du gehsch jetz zum Konfirmande-Unnarischt! Alla guud, hot ma des halt gemacht, weil ma des eewe gmacht hot. Un nadialisch weje de Gschengge, do wäa ma jo schää dabbisch gwest, wenn ma des net gemacht heed. Un donn hot de Parra gsacht:  So, hier habt ihr einen Katechismus, da wird gleich mal das Glaubensbekenntnis auswendig gelernt. Beim nächsten Mal frage ich Euch ab. Do hot ma net lang dischbudiat.  Un zack: evangelisch!

Die neue Religionspolitik von Kurfürst Friedrich bedeutete eine erhebliche Umorientierung für die Kurpfalz. Besonders umstritten war die Frage des richtigen Verständnisses des Abendmahls. Wie ist Christus im Abendmahl anwesend? In der Bibel steht: Jesus nahm das Brot und sagte: „Das ist mein Leib.“ Und danach den Wein und sagte: „Das ist mein Blut.“ Was bedeutet das? Ist Jesus Christus beim Abendmahl in Brot und Wein leibhaftig anwesend? So versteht das Martin Luther. Oder ist Christus beim Abendmahl gegenwärtig durch das gemeinsame Gedächtnis an die Erlösung durch ihn? So verstehen das Zwingli und Calvin.

Deren Auffassung vertrat Johannes Sylvanus. Er konnte in seinen Schriften durchaus scharfzüngig werden. Das war ganz im Sinne seines Kurfürsten. Und so etablierte sich Sylvanus schnell und gewann immer mehr Einfluss am Hof, nicht zuletzt, weil der Kurfürst ihn in seine Nähe beorderte, nach Ladenburg, und auch in Heidelberg selbst durfte er wirken. Was nicht allen gefiel, der aufstrebende Theologe wurde durchaus auch als Konkurrent wahrgenommen.

 

III
Kommissar Günda ist ganz in Gedanken an der Heidelberger Heiliggeistkirche angelangt, die sich am Rande des Marktplatzes erhebt, als ihn eine Frau anspricht: „Entschuldigen Sie, wissen Sie, ob das hier eine evangelische Kirche ist oder eine katholische?“

„Äh, evangelisch.“

„Seht ihr, ich hab‘s doch gesagt“, wendet sie sich daraufhin triumphierend an ihre drei Begleiterinnen.

„Ist doch egal, Sonja. Evangelisch, katholisch, wo ist da der Unterschied? Beides aussterbende Weltreligionen.“

„Also, Beate, jetzt sei du mal still! Du hast ja gar keine Ahnung. Du, du hast ja einen Buddha als Springbrunnen bei dir im Garten. Wissen Sie“, wendet sie sich wieder Kommissar Günda zu. „Unsere Beate kommt aus dem Osten, Jugendweihe und so ein Käse.“

„Was wisst ihr denn von der Jugendweihe?“

„Nichts, weil’s besser ist. Aber was will man machen, es gibt eben immer mehr, die nichts glauben.“

„Moment“, gibt die als ungläubig Geschmähte zurück. „Was heißt hier, ich glaube an nichts. Natürlich glaube ich, dass es da etwas gibt zwischen Himmel und Erde.“

„Ich weiß auch was“, frohlockt die erste. „Der Roy Black. Hihihi. Unsere Beate ist nämlich ein riesiger Fan vom Roy Black. Wenn‘s den Roy Black als Springbrunnen geben würde, die würde ihren Buddha glatt rausschmeißen.“

Kaum waren die Lutheraner aus den wichtigen Positionen verdrängt, brach neuer heftiger Streit unter Kurfürst Friedrichs Theologen aus. Jetzt standen sich verschiedene Lager innerhalb der Reformierten gegenüber. Der Streit ging um die Ordnung der Kirche und die Kirchendisziplin. Wer sollte das Sagen haben, wenn es darum ging, innerhalb der Kirche Strafen auszusprechen? War dafür die weltliche Obrigkeit zuständig oder gewählte Kirchenälteste? Was sollte mit Trunkenbolden, Ehebrechern und Spielsüchtigen geschehen?

Ein Fall für die Polizei oder für ein innerkirchliches Strafsystem z.B. durch Ausschluss von der Abendmahl-Teilnahme? Der Streit zwischen den Parteien nahm an Heftigkeit zu und artete in eine regelrechte Feindschaft aus. Mittendrin Johannes Sylvanus. Und obwohl der stets biblisch argumentierte, zog er sich den Hass der andersdenkenden Theologen zu.

 

IV
Kommissar Günda ist es auf dem Heidelberger Marktplatz zu laut. Er beschließt, sich ein paar Minuten in die Heiliggeistkirche zu setzen. Auch wenn er gerne Kirchen aufsucht, am sonntäglichen Gottesdienst nimmt er eher selten teil. Und wenn, dann ist seine Verfasstheit nicht immer gleich. Mal ist er noch müde und hört eher oberflächlich hin. Manchmal denkt er, wie gut es ihm geht, manchmal nicht. Ab und an ertappt er sich, wie er darüber sinniert: Warum denke ich das jetzt gerade? Müsste ich nicht etwas ganz anders denken?

Und manches Mal denkt er: Heit gehts awwa aiig lang!

Und das darf man doch alles als Evangelischer. Odda etwa net?

Mehr noch als die Frage nach der richtigen Kirchenordnung bewegte Sylvanus in jener Zeit das theologische Problem der Trinität, der Dreieinigkeit. Drei sind eins: Der eine Gott zeigt sich in drei Personen als Vater, Sohn und Heiliger Geist. Diese Lehre wurde im 16. Jahrhundert von vielen in ganz Europa hinterfragt. Sylvanus fand in der Bibel keine wirklich hieb- und stichfesten Beweise für die kirchliche Trinitätslehre.

Auch die Professoren der Heidelberger Universität, die er zu Rate zog, konnten seine Bedenken nicht zerstreuen. Damit war für ihn das reformatorische Prinzip „Allein die Schrift/sola scriptura“ in eine massive Krise geraten. Sylvanus war sich seiner Sache nicht mehr sicher. Er erwog deshalb, nach Siebenbürgen auszuwandern. Denn dort wurden auch anti-trinitarische Vorstellungen toleriert.

Kurfürst Friedrich wurde das ganze „Theologengezänk“, wie er es nannte, zu viel. Einem Vertrauten sagte er über den streitbaren Sylvanus: „Ich wäre froh, wenn ich diesen welschen Bastard los wäre.“

Als Sylvanus dann tatsächlich Kontakt zu den Siebenbürgern aufnahm, wurde er im Juli 1570 verhaftet. Erst nach über zwei Jahren im Kerker fand ein Pseudo-Prozess statt, bei dem er keine Chance hatte, das Urteil stand von vorneherein schon fest: Der Kurfürst hatte es im Vorfeld unterschrieben, der Platz für die Hinrichtung war bereits vorbereitet. Noch am selben Tag, einen Tag vor Heiligabend, wurde er in Anwesenheit seiner minderjährigen Kinder auf dem Heidelberger Marktplatz enthauptet.

Der Wahrheitssucher war beseitigt. Sämtliche Unterlagen, auch die ihn angeblich belastenden, wurden vernichtet.

 

V
Woher weiß ich, was ich glaube? Heute? Morgen? Übermorgen?

Froog misch mol was Leischdares!

Woher weiß ich, was ich glaube? Wir haben Ihnen in diesem Gottesdienst Johannes Sylvanus auch deshalb vorgestellt, weil sein religiöser Werdegang ein Beispiel für diese Suche nach dem rechten Glauben sein kann:

  • Das Suchen in der Heiligen Schrift
  • Das Gespräch mit den Glaubensgeschwistern, auch das Streitgespräch und
  • Das große Vertrauen in Gottes guten Geist, den Weg durch Krisen und Zweifel zu finden.

Übrigens, wenn Sie sich heute in Heidelberg auf die Suche nach einer Gedenktafel für Johannes Sylvanus machen, suchen Sie – anders als in Arnim Töpels Erzählung - vergebens. Sein Schicksal ist noch immer weitgehend unbekannt. Das wollen wir mit unserem Gottesdienst ändern.

Und was wurde aus den theologischen Kontroversen von damals? Die Kirchen der Reformation haben vor 50 Jahren in Leuenberg ihren Frieden untereinander geschlossen und erklärt: Lehrunterschiede bestehen zwar weiter, aber sie sollen nicht mehr kirchentrennend sein. Seither sind wir auf dem Weg zu einer „versöhnten Verschiedenheit“.

Amen

 

Es gilt das gesprochene Wort.