Um Neuanfänge geht es im evangelischen Gottesdienst am Sonntag, 19. Oktober 2025, von 10.05 bis 11.00 Uhr aus der St. Wenzeslauskirche.
Viele sehnen sich nach einem Neuanfang im eigenen Leben, in Beziehungen und für die Welt. Wenn etwas gründlich schiefläuft, kann es doch nicht einfach so weitergehen. Oder auch, wenn das Leben dem immer gleichen Trott folgt.
Die Bibel erzählt viele Geschichten vom Neuanfang. Zum Beispiel, wie Jesus eine Handvoll Fischer anspricht und sie zu Menschenfischern macht. Darüber wird Pfarrerin Renate Schauer predigen.
Die Musik im Gottesdienst greift das Thema Neuanfang auf mit dem Lied "Ermutigung" von Wolf Biermann. Es spielt das MAJ-Jazz-Trio unter der Leitung von Markus Wollin. Martina Wollin spielt die auch die Orgel. Es singt Lisa Albert.
Predigt nachlesen:
Liebe Gemeinde, liebe Hörerinnen und Hörer!
Wenn ich daran denke, dass Neues entsteht, denke ich an Anna.
Sie ist auch zu neuem Leben gekommen.
Bei einem Oasentag fing das an. Ein Tag zum Durchatmen und Krafttanken.
Dazu hat die Diakonie eingeladen.
Da arbeitet sie.
Anna sitzt mit anderen in einem Stuhlkreis. In der Mitte liegt ein orangefarbenes Tuch und steht eine Kerze. Aber sie schaut nur auf den Stein in ihrer Hand.
Er ist groß, mit scharfen Kanten. Er ist kalt und schwer.
Dann sieht sie die Steine der anderen. Die sind alle viel kleiner.
Kein Wunder – sie hat sich den größten Stein genommen. Sie trägt gerade viel mit sich herum.
Dann legen sie alle ihre Steine nacheinander ab.
Anna hört zu, von welchen Lasten die anderen erzählen.
Jetzt ist sie dran:
Mein Stein ist kalt und hart. So kalt und so hart wie meine Eltern, bei denen ich wohne. Sie haben sich verhärtet. Ich kenne sie kaum mehr wieder. Sie hetzen und schimpfen. Ich kann kein normales Wort mehr mit ihnen reden. Ich werde dann wütend, und wir streiten. Ich merke, wie meine Worte dann ganz hart werden. Aber unser Streiten führt zu nichts. Es zerstört nur. Das will ich loswerden.
Dann legt sie den Stein in die Mitte.
Jede Menge Steine liegen jetzt da.
Die Frauen nehmen dann bewusst ihre Hände wahr: Die offenen Handflächen zeigen nach oben.
Die Leiterin der Gruppe sagt: Eure Hände müssen keine Lasten mehr tragen. Sie sind jetzt frei für etwas Neues. Eure Hände dürfen jetzt Gutes tun.
Tut euch mal zu zweit zusammen, stellt euch einander gegenüber, malt einander ein Kreuz auf die Stirn.
Anna geht mutig zu Lotte. Lotte ist schon älter und freut sich, dass Anna auf sie zukommt.
Sie stellen sich einander gegenüber. Und Anna beginnt.
Sie hebt ihre Hand und berührt mit dem Daumen Lottes Stirn.
Langsam zieht sie eine Linie von ihrem Haaransatz bis zu ihrer Nasenwurzel.
Dann setzt sie den Daumen neu an und zeichnet eine kurze waagrechte Linie. Ein Kreuz ist unsichtbar auf Lottes Stirn entstanden. Ein Segenszeichen.
Dann bekommt Anna ein Kreuz von Lotte.
Anna spürt die zarte Berührung. Und wie ungewohnt nah ihr diese Frau kommt. Tränen treten in ihre Augen. Sie weiß gar nicht so recht, warum.
Das war doch nur eine kleine Geste.
Aber irgendetwas Geheimnisvolles ist ihr geschehen:
In diesem Zeichen ist eine Nähe entstanden mit enormer Kraft.
Es ist wie eine Befreiung. Ihre Tränen fließen.
Es ist ihr nicht mal unangenehm.
Eher heilsam.
Vielleicht fühlt es sich so an, wenn Gott ins Leben kommt…
II
Wenn Gott ins Leben kommt, kann es sein, dass man es fühlt – wie Anna.
Oder man geht einfach los – wie die Fischer damals….
Als Jesus aber am Galiläischen Meer entlangging, sah er Simon und Andreas, Simons Bruder, wie sie ihre Netze ins Meer warfen; denn sie waren Fischer. Und Jesus sprach zu ihnen: Kommt, folgt mir nach; ich will euch zu Menschenfischern machen! Und sogleich verließen sie ihre Netze und folgten ihm nach.
Und als er ein wenig weiterging, sah er Jakobus, den Sohn des Zebedäus, und Johannes, seinen Bruder, wie sie im Boot die Netze flickten. Und sogleich rief er sie, und sie ließen ihren Vater Zebedäus im Boot mit den Tagelöhnern und gingen fort, ihm nach.
Ich bin jedes Mal platt, wenn ich das höre. Die kannten Jesus doch gar nicht. Was muss da Irres passiert sein, dass diese vier Fischer alles stehen und liegen lassen und ihr Leben radikal ändern – alles nur wegen diesem fremden Jesus.
Diese Begegnung mit Jesus hat enorme Wucht,
eine lebensverwandelnde Kraft.
In Jesus muss so viel Wärme, Ausstrahlung, Menschlichkeit spürbar gewesen sein, dass ganz klar war: In diesem Augenblick entscheidet sich alles.
Die vier Fischer entdecken, wozu sie auf der Welt sind. Sie finden ihre Berufung.
Und dann riskieren sie alles. Sie lassen ihr altes Leben zurück und beginnen mit Jesus neu.
Sie werden Menschenfischer.
Ich kenne solche lebensverändernde Kraft aus Liebesgeschichten.
Wenn der Liebesfunke fliegt und einer fasziniert und hingerissen ist von dem geliebten Menschen, bereit, das alte Leben aufzugeben und die Liebe zu wagen, mit Lust und Mut und Hingabe.
Bereit, sich einzulassen auf einen anderen Menschen. Bereit, auch sich zu riskieren und sich im andern zu verlieren… und so viel zu gewinnen.
Ich glaube, wir haben es bei beidem mit einem Geheimnis zu tun: in der Liebe und bei der Entscheidung, aus Vertrauen zu Jesus alles stehen und liegen zu lassen. Das kann man nicht so leicht begreifen, es lässt sich nie völlig ergründen.
Und doch geschieht genau so etwas: Ein Mensch ist tief in sich drin berührt, ergriffen, fasziniert, dass er sich auf das Neue einlässt und ein Neues wagt. Im Leben, im Glauben, in der Liebe.
Bei den Fischern war es so.
Vier gestandene Männer gehen in ein neues Leben.
Jesus ruft – und sie gehen los. Sie geben ihren Beruf auf, ihre Sicherheit. Sie gehen ins Risiko. Sie lassen sogar ihre Eltern zurück und lösen sich aus dieser Bindung.
Du bist kein Kind mehr!
Du bist nicht nur das Kind deiner Eltern.
Du bist bestimmt, ein Kind Gottes zu sein.
Ich merke, wir sehr mich das lockt.
Ich hab Lust, mit loszugehen. Da kommt was Neues. Da lebe ich auf.
Gleichzeitig macht es mir Angst. Es ist ein Risiko.
Ich gebe Sicherheit auf. Ich lasse meine Eltern zurück.
Das geht nicht einfach so.
Nein, einfach so geht es nicht.
Vielleicht geht es nur mit Gottvertrauen. Da ist einer, der ruft mir zu: Glaub an dich! Ich tu das auch.
Das lasse ich mir sagen.
Das tut mir gut.
Wenn der da oben an mich glaubt, treffe ich die Entscheidung für mein Leben.
Ich bin erwachsen. Meine Eltern frage ich nicht mehr.
Wichtig bleiben sie mir dennoch.
Ich bin erwachsen, und ich gehe meinen Weg mit Gott.
Und bleibe bei ihm Kind. Für immer.
So habe ich die Entscheidung getroffen, hier Dorfpfarrerin zu werden. Vertrauensselig.
So kamen die Jünger in die Nachfolge.
Und unser Jazz-Trio hat sich auch so gefunden.
Und Anna?
Als Pause war bei dem Oasentag zum Krafttanken, haben die Frauen einander noch mehr von sich erzählt.
Lotte merkt: Annas Bindung an die Eltern hat eine enorme Kraft.
Du musst nicht das Leben deiner Eltern leben, sagt sie. Lebe dein Leben. Sei weich, wenn du es willst. Sei du!
Denk an das Kreuz auf deiner Stirn. Einer ist bei dir.
III
Lass dich nicht verhärten in dieser harten Zeit. Lass dich nicht erschrecken…
‚Ermutigung‘ heißt dieses Lied von Wolf Biermann. Es ist fast 60 Jahre alt. Er singt es zu DDR-Zeiten. Als Künstler darf er nicht mehr auftreten. Seine engsten Freunde werden von der Stasi überwacht und isoliert.
Wolf Biermann singt anderen Mut zu. Sich selbst auch. Und mir.
Er singt an gegen die sich breit machende Resignation.
Er singt und hofft.
Ich merke: Seine Worte gehen mir immer noch unter die Haut, auch wenn es die DDR nicht mehr gibt. Verhärtung gibt es nach wie vor. Und Angst. Und Gewalt. Und hilfloses Schweigen.
Lass dich nicht verhärten in dieser harten Zeit, du brauchst uns und wir brauchen grad deine Heiterkeit.
Biermanns Ruf trifft mich, wie der Ruf Jesu die Fischer trifft.
Ich geb meine Heiterkeit nicht preis.
Auch nicht meine Hoffnung.
Das Grün bricht aus den Zweigen,
ich will das allen zeigen. Dann wissen sie Bescheid.
Ein Menschenleben will aufblühen und aufleben.
Es nährt sich von der Hoffnung, von der Grünkraft, vom Segen.
Mir wurde auch schon ein Kreuz auf die Stirn gemalt.
Einer ist mit mir.
Ein Menschenfreund.
Und ich bin mit ihm. Ich bin Freundin des Menschfreunds.
Mir geht es wie Simon, Andreas, Jakobus und Johannes, die mit Jesus Menschenfischer geworden sind: Sie sind so vielen Menschen begegnet. Und dabei brauchten sie genau das, was sie als Fischer gelernt haben:
Geduld. Sie können warten.
Sie sind behutsam in jeder Regung.
Sie haben einen langen Atem, können einfach stille sein, und im entscheidenden Moment sind sie da.
Jesus hat diese Fischerfertigkeiten gekannt.
Sie brauchen ihn und er braucht gerade sie. Als Menschenfischer.
So werden sie weitere Frauen und Männer für Jesus begeistern und gewinnen, und das heißt: für die Liebe – zu Gott, zu andern und zu sich selbst.
Es ist ein befreiender Weg.
Neues beginnt.
Auch für Anna ist etwas neu geworden.
Als sie nach Hause kommt, trifft sie ihre Eltern in der Küche an.
Anna sagt: Ich habe entschieden: Ich ziehe aus. Das viele Streiten halte ich nicht mehr aus. Und ich bin 32. Es ist höchste Zeit. Aber ihr müsst wissen: Ich hab euch lieb.
Dann geht sie.
Du, lass dich nicht verhärten…
Liebe Gemeinde, liebe Hörerinnen und Hörer,
Anna ist neu geworden.
Wenn ich in die Welt schaue, denke ich, die ganze Welt müsste neu werden.
Und ich will glauben, dass das geht.
Gott schenkt die neuen Anfänge.
Es gibt Menschen, die zugreifen und Neues wagen.
Es können immer mehr werden.
Wo jetzt alles zerstört ist, blüht Leben wieder auf.
Verhärtungen lösen sich.
Ich glaube daran.
Amen
Es gilt das gesprochene Wort.
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