Edith Willmann"
Erntedank
Radiogottesdienst aus der Jubilate-Kirche in Reutlingen
05.10.2025 10:05
Zum Erntedankfest am Sonntag, 5. Oktober 2025, überträgt der Deutschlandfunk ab 10:05 einen evangelischen Gottesdienst aus der Jubilatekirche in Reutlingen-Orschel-Hagen am Fuße der Schwäbischen Alb. Die Predigt hält Pfarrerin Silke Bartel. 

Erntedank ist das Fest für alle Sinne, findet Pfarrerin Silke Bartel, die die Predigt hält: "Man kann schmecken, riechen, tasten und sehen, wie freundlich Gott ist." In vielen Kirchen ist der Altartisch an diesem Sonntag geschmückt mit vielem, was eine reiche Ernte ausmacht. 

Nach wie vor herrscht in Deutschland kein Mangel. Aber in Zeiten des Klimawandels wachsen die Herausforderungen für die Landwirtschaft. Vieles ist nicht mehr selbstverständlich. Ein Grund mehr, dankbar zu sein und Erntedank zu feiern.

Konkret geht es im Gottesdienst um ein besonderes Produkt der Region: die Alb-Linse. Biolandwirt Thomas Fuhr baut sie an und erzählt, wie diese alte Linsensorte wiederentdeckt wurde. Ein leckeres Rezept dazu liefert der gelernte Koch Michael Dratz.

Die musikalische Leitung liegt in den Händen von Chorleiterin Michaela Frind und Tanja Luthner an der Orgel.
 

Predigt nachlesen:

I
Nun lasst uns Gott, dem Herren, Dank sagen und ihn ehren, 
für alle seine Gaben, dir wir empfangen haben. 
 
Den Leib, die Seel, das Leben hat er allein uns geben; 
dieselben zu bewahren tut er nie etwas sparen. 
 
So dichtete Ludwig Helmbold, Dichter und Philosoph in Mühlhausen und Erfurt 1575. 

Ob der Dichter es auch kannte, das Sprichwort: Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen?

Ich weiß es nicht. Aber was der Dichter sicher mehr kannte als wir hier, sind Ernteausfälle und das Bewusstsein, abhängig zu sein von dem, was auf den Feldern vor der eigenen Haustür wächst. Bei uns sind die Supermarktregale immer voll mit allem Möglichen. Und es gibt für die meisten Menschen ausreichend zu essen. Immer. 

Deswegen scheint das alles manchmal so selbstverständlich, dass uns die Dankbarkeit dafür aus dem Blick gerät. 

Und doch war nicht nur in diesem Jahr so manches ein wenig anders. Der Klimawandel zwingt Landwirte, ihre Arbeit auf den Feldern und mit den Tieren zu überdenken. Es wird trockener, es wird nasser, das Wetter ändert sich. 
Wenn ich Berichte über die Landwirtschaft lese, sehe oder höre, bleibt bei mir manchmal die Einsicht: Es ist nicht alles so selbstverständlich. 

Das merken auch alle, die einen Garten haben. Mir fällt auf, dass ich immer öfter Pflanzen entdecke, die hier am Fuß der Alb früher nicht gewachsen sind: Oleander, Feigen usw. Früher hätten die im Winter keine Chance gehabt. 
Dafür ist es mit dem Salat oder den Radieschen aus dem eigenen Garten schwieriger geworden. Ohne Gießen geht es meistens nicht mehr.

Dankbar sein für das, was wächst und was wir vielleicht sogar im eigenen Garten ernten dürfen.

II
Auch wenn es schwieriger geworden ist und die Landwirtschaft sich verändert hat: 

Wir haben nach wie vor mehr als genug zu essen. So viel, dass wir es allzu oft gedankenlos wegwerfen. So viel, dass die Kirschen im Sommer an den Bäumen hängenblieben und nicht gepflückt wurden. So viel, dass auch jetzt wieder unter den Bäumen Äpfel und Birnen verfaulen, weil es sich offenbar nicht lohnt, sie zu pflücken und zu verwerten. 

Ich möchte umdenken. Und meine Sinne einsetzen. 
Erntedank ist für mich das sinnhafteste Fest im ganzen Jahr. 

Die Kirchen sind geschmückt mit den Früchten des Feldes und der Bäume. 
Und ich kann Augen und Ohren aufsperren, um all das wahrzunehmen, was es zu sehen und zu hören gibt. Das Geschenk der Nahrung für den Körper und seine Sinne kommt zusammen mit dem Geschenk der Nahrung für die Seele. 
Ich kann an Erntedank begreifen: Gott meint es gut mit mir. 

-    Eine Kartoffel in der Hand, die raue Schale, die auf der Haut kratzt, hilft mir auf die Sprünge.
 
-    Der Duft von Äpfeln steigt mir in die Nase und macht Lust, hineinzubeißen. 

-    Das Rot der Tomaten, die Orangetöne der Kürbisse, das Grün und Violettrot der Trauben fallen in mein Auge und erfüllen mich mit Freude. All die Farben sind ein Geschenk. 

-    Das Klackern der Nüsse, wenn sie vom Baum fallen, klingt wie eine eigene Erntemusik in den Ohren.

Wenn ich koche und esse und genieße, erwartet mich die volle Geschmacksvielfalt: von süß bis sauer, bitter bis umami und scharf. Das regt das Leben in mir an. 

All diese Gaben machen mich hungrig mit allen Sinnen, laden ein zum Essen und Genießen.

III
Gottes Gaben essen – genießen! Ob Jesus das auch so gesehen hat? Einen Fresser und Weinsäufer haben ihn seine Gegner genannt. So steht es in der Bibel: "Als aber der Menschensohn gekommen ist, aß und trank er. Und sie sagen: ‚Seht nur: Dieser Mensch ist ein Vielfraß und Säufer.‘" (Matthäus 11,19)
Und sein erstes Wunder? Jesu erstes Wunder im Johannesevangelium war bei einer Hochzeit, als er aus Wasser Wein gemacht hat. Später dann hat er 4.000 Menschen mit fünf Broten und zwei Fischen satt gemacht. Und als er als Auferstandener seinen Jüngerinnen und Jüngern begegnete, erkannten ihn die zwei Jünger in Emmaus, als er das Brot mit ihnen teilte, und die Jünger am See Genezareth daran, dass er ein Kohlenfeuer mit Fisch für sie vorbereitet hat. 

All diese Geschichten erzählen davon, wie Gott im Essen und Trinken bei uns ist. Für Gott gehört das zusammen: Körper und Seele. 

"Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen."
Auf jeden Fall: Im Essen und Trinken wird Gott erfahrbar. 
Das ist nicht automatisch so. Aber das kann so sein.

Mir hilft ein Tischgebet, damit ich mir vor dem Essen bewusst mache: "Alle guten Gaben, alles, was wir haben, kommt, o Gott, von dir, wir danken dir dafür." Das lädt Gott mit an den Tisch. 

Essen und Trinken erzählt von Gott: Das erleben wir auch, wenn wir zusammen Abendmahl feiern. 

Unser Glauben – vor allen Dingen der evangelische Glaube, der sonst so vergeistigt ist und so wenig Greifbares bietet – wird plötzlich handfest greifbar, schmeckbar. In einem Stück Brot, in einem Schluck Wein oder Traubensaft erfahre ich ganz konkret und leibhaft die Nähe Gottes. 

Und morgens in meinem Frühstückbrot und in den Äpfeln hier? Ja, auch darin. 
Auch wenn es mir manchmal schwerfällt, mir das vorzustellen: Jeder Apfel ist eine Einladung Gottes zum Leben. Gott schaut mich an mit liebendem Blick auch aus einer Birne, auch aus einer Kartoffel.

Viele Künstlerinnen und Künstler haben Früchten und Gemüse Gesichter gegeben.

Eine Künstlerin hat mir mit ihren Bildern die Augen dafür geöffnet. Sie gibt Früchten Augen. Sie verwendet gerne, Früchte, die besonders krumm sind. Und plötzlich sehen sie mich an, und ich begegne ihnen anders. 

Seltsam, was so kleine Augen machen aus einem Apfel, einer Birne, einer Orange. 

Mir gefällt diese Vorstellung. Und ich kann mir hinter jedem Obst und Gemüse, das mich anguckt, Gott vorstellen, der mich anschaut, bereichert und liebend berührt mit dem Geschenk einer Frucht. 

Es gibt einen Satz aus einem Psalm, den sprechen viele Pfarrerinnen und Pfarrer, bevor die Gemeinde Abendmahl feiert: "Schmecket und sehet, wie freundlich der HERR ist." Ich mag diesen Psalmvers.

Er beschreibt: 
Gott ist bei uns im Schmecken und Sehen. Wir können die Freundlichkeit Gottes schmecken und sehen. 

Gott wirkt in den Früchten, im Gemüse, in den Feldfrüchten. Das erlebt ganz konkret Landwirt Thomas Fuhr. Was das heißt, das frage ich ihn nach der Musik.

Amen

Es gilt das gesprochene Wort.

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