Um das wichtigste Gebot und um die Liebe geht es im evangelischen Gottesdienst am Sonntag, 24. August 2025 von 10.05 bis 11.00 Uhr aus der Simultankirche in Bechtolsheim/Rheinhessen. Der Deutschlandfunk überträgt live.
Pfarrerin Manuela Rimbach-Sator predigt zum Doppelgebot der Liebe. Und sie stellt die Frage, was uns daran hindert, unsere Mitmenschen ohne Bedingungen zu lieben. Die Zuhörerinnen und Zuhörer sind eingeladen, miteinander der Liebe auf die Spur zu kommen.
Gastgeber des Gottesdienstes ist die evangelische Kirchengemeinde Bechtolsheim, vertreten durch den Ortspfarrer, Markus Krieger.
Die musikalische Gesamtleitung des Gottesdienstes liegt in den Händen von Dekanatskirchenmusiker Peter Meyer, der an der Orgel zu hören ist. Außerdem musiziert das Streicherensemble Samatoso.
Lieder des Gottesdienstes:
1. EG+34, 1-3 Komm, Heilger Geist
2. EG +82, Von allen Seiten umgibst du mich
3. EG 178.11, Kyrie
4. EG 321,3, Lob, Ehr und Preis sei Gott
5. EG 181,3, Halleluja
6. EG 295, 1-4 Wohl denen, die da wandeln
7. EG 632,1+2+4 Wenn das Brot, das wir teilen
8. EG+ 128, Ubi caritas
9. EG 590, 1-3 Herr, wir bitten: Komm und segne uns
Predigt nachlesen:
Liebe Gemeinde,
Ranglisten oder Ranking-Listen sind beliebt. Was sich am besten verkauft, was am meisten Beachtung findet. Wer hat die meisten Klicks bei YouTube oder Instagram? Der Buchladen präsentiert mir schon gleich beim Hereinkommen die Bücher auf der Spiegel-Bestsellerliste. Offenbar gilt für vieles im Leben:
Wer unter die ersten Zehn gekommen ist, – in die TOP Ten, – der hat’s geschafft.
In den Köpfen haben sich da zwei Irrtümer ziemlich breit gemacht: Der Irrtum, dass etwas, was sich gut verkauft, deswegen erwiesenermaßen brauchbar ist, und dass es – zweitens – unbedingt für uns interessant sein müsste. Ich kann mich der Wirkung solcher Listen nur schwer entziehen. Unwillkürlich lasse ich mir sagen, was man liest, welchen Film man anschaut und was man anzieht und was man einkauft. Also sollte ich das wohl auch tun. So funktioniert die Marktwirtschaft von heute. Und ich bin ein Teil von ihr.
Ranglisten dienen der Orientierung. Ich weiß durch sie nicht bloß, was vorne ist, sondern werde von der Rangliste gewissermaßen geistig an die Hand genommen und dahin geführt, wo ich hinsoll.
Vermutlich hat die Menschheit vor allem deshalb eine Jahrtausende lange Entwicklung geschafft und ist nicht vorher ausgestorben, weil sie die Fähigkeit hat, sich an Erfolgsverhalten auszurichten: Das, was bei allen anderen funktioniert, ist auch für mich in Ordnung. So wie es der Stärkste, der Gesündeste, der Beliebteste macht, so mache ich es besser mal auch.
"Welches ist das höchste Gebot von allen?", fragt ein Mann Jesus. 613 Gebote zählen die jüdischen Lehrer. Da kann es hilfreich sein, wenigstens das höchste von ihnen zu kennen. Das wichtigste. Das man unbedingt einhalten muss. Das über allen anderen rangiert. Das einem zuerst einfallen muss, wenn man nach den Geboten gefragt wird. Das vielleicht alle anderen sogar überbietet. Das sie übertrumpft. Das sticht, wenn zwei Gebote miteinander in Konkurrenz geraten. So wie z.B. das Gebot "Du sollst den Sabbat, den Feiertag heiligen" außer Kraft gesetzt ist, wenn ein jüdischer Mensch trauert. Das Gebot zu trauern rangiert sogar über den Pflichten des Sabbats. Die Regeln der Trauer haben Vorrang vor den Regeln des Feiertags.
"Welches ist das höchste Gebot von allen?" Wer diese Frage beantworten kann, der hat nicht nur diese eine Frage beantwortet. Der hat das Prinzip der Gebote beantwortet. Die Grundhaltung, die dahinter steht. Die Grundregel. Das Wesen. Die Essenz. Der weiß, worum es geht.
Von dieser Antwort her lassen sich alle anderen (Gesetzes-)Fragen beantworten.
Wer das höchste Gebot kennt, kennt die Stoßrichtung aller anderen Gebote. Der muss die 613 einzelnen Regelungen gar nicht mehr so genau aufsagen können, wenn er nur weiß, wo es lang geht.
"Welches ist das höchste Gebot von allen?"
"Welches ist das höchste Gebot von allen?" Diese Frage bekommt Jesus von einem Gelehrten gestellt. Sie sind miteinander im Gespräch. Es ist eine Disputation, ein Gedankenaustausch. Und es geht nicht darum, den Gesprächspartner vorzuführen oder zu überbieten. Jeder ist interessiert, was der andere zu sagen hat. Ausdrücklich erfahren wir, dass der Mensch, der Jesus anspricht, ihm schon eine Weile zugehört hat; und er findet, dass Jesus auf die Thesen, die besprochen wurden, gut geantwortet hat.
Für mich deutet sich schon an dieser Stelle an, worum es gleich gehen wird: um Begegnung. Gerade nicht um das, was Ranglisten sonst anrichten, indem sie ein Oben und Unten herstellen, ein "So und nicht anders". Der Gelehrte, der Jesus hier anspricht, ist wirklich interessiert an dem, was Jesus zu sagen hat, und er schätzt ihn.
Jesus und dieser andere Gelehrte verständigen sich darüber: Das wichtigste Gebot ist eine Haltung. Und diese Haltung umfasst drei Dimensionen. Es geht zum einen um die Liebe zu Gott, zum andern um die Liebe zu meinem Nächsten und drittens um die Liebe zu mir selbst.
Diese Haltung des dreifachen Liebesgebotes beginnt in den hebräischen Heiligen Schriften mit den Worten des Schema Jisrael: Höre Israel.
Jeder jüdische Mensch kennt diese Worte, die Jesus hier spricht. Es sind vertraute Worte, die man schon seit der Kindheit spricht als Morgen-, Abend- und Nachtgebet. Zur Geburt eines Kindes werden diese Worte gesprochen und genauso beim Sterben und in allen Lebensbereichen, weil Gott überall darin vorkommt. Der eine und einzigartige Gott. "Höre Israel! Der Ewige, unser Gott ist eins." Und dann folgt: "Du sollst Gott von ganzem Herzen lieben." Jesus verbindet das Gebot der Liebe zu Gott mit dem der Liebe zum Menschen.
Wieder zitiert Jesus das jüdische Gesetz: "Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst."
Jesus nennt diese Aspekte der Liebe in einem Atemzug: Die ungeteilte Liebe zu Gott und die uneingeschränkte Liebe zum Nächsten, zu der unbedingt die Liebe zu sich selbst gehört– das ist dieselbe Bewegung, ein- und dieselbe Haltung, das Grundprinzip aller Gebote: ungeteilte Liebe.
Im ersten Moment mag das plausibel klingen. Das ist das Prinzip des Lebens: die Liebe. So klar. So eindeutig.
Unser ganzes Leben lang sind wir darauf angewiesen. Es ist die Triebkraft, mit der wir über uns hinauswachsen und nach der wir streben: geliebt zu werden und zu lieben. Uns dem einen Gott in die Arme werfen zu dürfen und bei den Menschen vorbehaltlose Liebe zu leben.
Die sucht ein Kind bei seinem Vater und seiner Mutter; die sucht die Geliebte beim Geliebten; und die suchen wir in dem, womit wir uns identifizieren, dem wir uns widmen und überlassen wollen, womit wir in Resonanz sind, im Einklang. Worin wir über uns selbst hinauswachsen und uns verbunden wissen über Zeit und Raum hinaus.
Was Jesus als das höchste Gebot beschreibt, bestätigt sein Gesprächspartner noch einmal mit seinen eigenen Worten.
Er ist einer, und ist kein anderer außer GOTT;
und ihn lieben von ganzem Herzen, von ganzem Gemüt und mit aller Kraft,
und seinen Nächsten lieben wie sich selbst,
das ist mehr als alle Brandopfer und Schlachtopfer. (V32b.f)
Die Brandopfer und Schlachtopfer, von denen hier die Rede ist, damit sind religiöse Zeremonien gemeint. Es sind in biblischen Zeiten jahrhundertealte, regelmäßige und leidenschaftliche Feste der Verbindung von Himmel und Erde; Feste der Vergewisserung und Begeisterung. So sehr es dem gläubigen Menschen zur Zeit Jesu Sicherheit und Kraft gibt, solche religiösen Zeremonien zu gestalten und zu erleben: Der Schriftgelehrte ist sich mit Jesus einig: Es gibt noch mehr, noch Tieferes zu erleben und noch Konkreteres zu erfahren als das, was man schon immer zelebriert hat. Und dieses Mehr, Tiefer
Konkreter ist: die Liebe. Sie geht über bloße Begeisterung und Freude und rituelle Tradition hinaus.
Jesus antwortet seinem Gesprächspartner daraufhin: Du bist nicht fern vom Reich Gottes.
Die Liebe – das ist das Prinzip des Reiches Gottes. Und den Himmel auf Erden, den erleben wir, wo ein Funke von dort zu uns überspringt und wo wir mitschwingen in dieser großartigen Kraft.
Da, wo die Liebe gelebt wird, wird ein Stück vom Reich Gottes schon verwirklicht und erfahrbar.
Jesus und der Gelehrte sind sich einig.
Und doch: Jesu Antwort mag uns ernüchtern.
Wer wird dem Anspruch, der hier formuliert ist, überhaupt je gerecht?
Wer kann schon von sich behaupten, so ganz und gar zu lieben? Uneingeschränkt? Ohne Vorbehalt?
Gott – ja, als gläubiger Mensch kann ich mir nichts Anderes vorstellen, als Gott allein zu lieben und mir zusagen zu lassen, dass ich von Gott geliebt werde.
Wie ist das aber mit den beiden anderen Dimensionen der Liebe: die Liebe zum Nächsten und zu mir selbst? Gibt es da nicht ganz schnell eine lange Liste von "Abers"? Mein Versagen, mein Zögern, meine Inkonsequenz; die Liste der Dinge, die ich an mir selbst nicht lieben kann, ist im Laufe meines Lebens nicht kleiner geworden.
Und wie ist das mit meinem Nächsten: der mich nervt und einschränkt, der mir buchstäblich stinkt, der mich Kraft kostet und womöglich demütigt. Der es mir oft nicht recht macht oder gar bedrohlich ist für mich; wenn er Schlimmes anrichtet und nicht mal am Verhandlungstisch sitzen will mit mir.
Liebe durchzuhalten – auch, wenn’s kompliziert wird, – das ist nicht immer leicht.
Die Liebe, das ist das Prinzip des Reiches Gottes. Darin ist sich Jesus einig mit dem Gelehrten, der ihn nach dem höchsten Gebot gefragt hat. Am Ende der Szene in der Bibel heißt es: Niemand wagte mehr, ihn zu fragen. (V 34 b)
Die Liebe hat Rang eins. Was immer uns begegnet, soll in Liebe aufgenommen sein.
Damit ist alles gesagt. Keine Fragen mehr.
Wäre ich dabei gewesen damals, als Jesus sich mit Gelehrten unterhält, ich hätte Jesus noch ein paar Fragen stellen wollen. Ich hätte ihn gerne gefragt, wie das gehen kann: die unbedingte Liebe zu Gott und den Menschen. Keine Einschränkung. Für das Himmelreich mag das ja gelten. Aber auf der Erde? Müssen wir da nicht zwangsläufig immer wieder scheitern? Ist meine Liebe jemals groß genug? Mein Glaube, meine Fürsorge für andere und meine Freundschaft mit mir selbst?
Vielleicht hätte Jesus mich an die Geschichte von den beiden Brüdern erinnert. Sie wird oft "das Gleichnis vom verlorenen Sohn" genannt. Aber in dem Gleichnis kommt nicht nur ein Sohn vor, sondern zwei. Der eine lässt sich von seinem Vater sein Erbe vorab auszahlen, verprasst alles und kommt abgebrannt und reumütig zurück, um wenigstens als Knecht beim Vater zu arbeiten. Und der andere Sohn bleibt zu Hause, tut immer, was von ihm erwartet wird, und hat das Gefühl, zu kurz zu kommen.
Der Vater will mit beiden ein fröhliches Fest feiern. Sie gehören beide an seinen Tisch und in seine Arme. Auch wenn der eine kaum sich selbst lieben kann, weil er gefühlt alles in den Sand gesetzt hat, und der andere bis eben noch alles richtigmachen wollte und sich für seine Pflichterfüllung zu wenig gelobt sieht. Mir fällt auf, dass es in dieser Liebesgeschichte vom Vater und den zwei Söhnen auch eine Rangliste gibt. Eine Rangliste allerdings, die durch die unbedingte Liebe des Vaters überwunden wird.
Weil Liebe nicht weniger wird dadurch, dass sie großzügig ist.
Und weil sie nicht schwach wird, dadurch, dass sie sich für einen anderen stark macht.
Und weil sie nicht sinnlos wird, nur, weil ich sie nicht immer konsequent und fehlerfrei hinbekomme.
Was ist das höchste Gebot?
Und habe ich überhaupt eine Chance, es zu erfüllen?
Wenn wir an den Verhandlungstischen sitzen und in den Entscheidungsgremien, auf den Marktplätzen und am Kaffeetisch in der Familie?
Es könnte sein, dass genau dies die Liebe ausmacht: dass sie keine Rangliste aufstellt und dass sie sich mit dem Unvollkommenen abgibt und zufriedengibt. Dass sie sich ein trotziges "Und doch" oder "Und jetzt erst recht" vornimmt.
Weil sie weiß, dass sie vollständig ist nur bei Gott.
Bis dahin müssen wir mit unseren kleinen Lieben und unseren kurzatmigen Lieben und mit unseren egoistischen Lieben sehen, wie weit wir kommen.
Aber: Das kann im richtigen Leben schon ziemlich weit sein.
Amen.
Es gilt das gesprochene Wort.
Feedback zur Sendung? Hier geht's zur Umfrage!