Evangelische Kirchengemeinde Hürth
Herzgefühl
Evangelischer Radiogottesdienst aus der Friedenskirche in Köln-Hürth
21.09.2025 10:05

Evangelischer Radiogottesdienst am Sonntag, 21. September 2025, aus der Friedenskirche in Köln-Hürth, live im Deutschlandfunk, 10.05 bis 11.00 Uhr

"Hätzjeföhl". Das ist Kölsch und bedeutet Herzgefühl. So heißt das Kölner evangelische Segensbüro. Das "Hätzjeföhl"-Team gestaltet den Gottesdienst aus der Friedenskirche in Köln-Hürth. Der Deutschlandfunk überträgt den Gottesdienst live am Sonntag, 21. September 2025, live von 10.05 bis 11.00 Uhr.

Im Mittelpunkt stehen die biblische Geschichte von der Salbung Jesu in Bethanien sowie Glaubenserfahrungen von Menschen heute, die sich segnen lassen. Es geht um alltägliche und außergewöhnliche Situationen, die unerwartet zum Segen werden.

Neben dem Team von "Hätzjeföhl" wirken Menschen im Gottesdienst mit, die Segensrituale erlebt haben. Simon Rummel spielt an der Orgel und macht die Musik mit seinem Jazz-Ensemble.

Das Segensbüro in Köln ist eine Werkstatt für Rituale. Es begleitet Menschen dort, wo es im Leben Umbrüche, Aufbrüche, Verwirbelungen gibt. Eine Pfarrerin und ein Pfarrer gestalten Rituale für Umzug und Neuanfang, für Krankheit und Gesundwerden, Schulwechsel und – natürlich – für Hochzeiten, Taufen und Bestattungen. Die Form bestimmen die Menschen mit ihren Lebensgeschichten, ihren Einstellungen und ihrem Geschmack. So entsteht oft Unerwartetes: Die Hochzeit am Meer, der Segen auf dem Campinglatz und viele Beispiele mehr.

Predigt nachlesen:

I

Liebe Gemeinde, liebe Hörerinnen und Hörer,

es ist ein Fest. Die Stimmung ist ausgelassen, die Gäste unterhalten sich angeregt, im Hintergrund spielt Musik. Lazarus und Jesus sind gerade ins Gespräch vertieft, als Maria dazukommt und niederkniet, direkt zu Jesu Füßen. Sie holt eine Flasche hervor und öffnet sie vorsichtig. Ein Öl. Es duftet. Sie nimmt von dem Öl und reibt damit Jesus die Füße ein. Um sie herum wird es still. Alle schauen zu ihr. Am Ende nimmt sie ihre Haare und trocknet Jesu Füße damit ab. Jetzt duftet der ganze Raum nach diesem Öl.

Die Salbung von Betanien, so heißt die Geschichte, die wir eben in der Lesung gehört haben.

Jesus und Maria kennen sich schon eine Weile. Jesus ist befreundet mit Maria, ihrer Schwester Marta und ihrem Bruder Lazarus. Er hat sie sehr lieb, steht in der Bibel. 

Das Öl, so notiert es die Geschichte, ist kostbares Nardenöl. Die Narde ist eine Pflanze, die heute nur im Himalaya wächst. Damals wie heute ist Nardenöl sehr teuer. 

Ich stelle mir diese Situation impulsiv und gleichzeitig intim vor. Maria nimmt wohl nicht nur ein paar Tropfen, sondern leert wahrscheinlich die ganze Flasche nach und nach über Jesu Füße und reibt das Öl ein. Das muss eine ausgiebige Fußmassage gewesen sein. Wahrscheinlich war da so viel Öl im Spiel, dass sie die Füße dann irgendwie abtrocknen musste. Dafür hat sie ihre Haare genommen. 

Dass Maria Jesus die Füße salbt und trocknet, muss spontan gewesen sein. In der Bibel steht nichts davon, dass sie das geplant hatte. Keine Verabredung vorher. Keine Hemmung, einfach das gesamte teure Öl zu verwenden. Nicht mal ein Handtuch liegt bereit. Woher auch immer Maria das teure Öl hatte, es scheint eine spontane Dankesgeste zu sein. Ein Akt der Hingabe für den, der so viel für sie und ihre Familie getan hat. 

Am meisten gefällt mir, dass es Jesus gefällt. Er selbst lebt ja eher spartanisch und gibt alles für andere Menschen her. Ein Wanderprediger auf der Seite der Armen, der Kranken, der Ausgestoßenen. Ich hätte erwartet, dass er Schwierigkeiten mit so einer Vergeudung von teurem Öl hätte. Hat er aber nicht. Als sein Jünger Judas deswegen motzt, nach dem Motto: Man hätte doch das Öl verkaufen und das Geld den Armen geben können, da sagt er nur: "Lass sie." Und rechtfertigt ihre Aktion: "Sie hat es aufbewahrt, um mich damit heute schon für mein Begräbnis zu salben." Sechs Tage vor dem Passahfest spielt die ganze Szene, wenige Tage also, bevor Jesus der Prozess gemacht wird. 

Wenn damals jemand gestorben ist, wurde er oder sie mit bestimmten Ölen eingerieben - so war es der Brauch. Ob Maria das auch im Sinn hatte, bleibt offen. 

Die Salbungsaktion von ihr hat ein bisschen was von "Der Zweck heiligt die Mittel". Ja, Maria vergeudet kostbares Öl, das sie gut für andere Sachen hätte verwenden können. Doch für Maria muss das einfach sein, diese intime und duftende Salbung von Jesu Füßen. Sie drückt damit Wertschätzung, Liebe und Hingabe aus.  

Und für Jesus? Für ihn ist es vielleicht ein Genuss, die Berührung an den Füßen, das gute Öl, der kostbare Duft, der das ganze Haus erfüllt. Ein Geschenk, das er annimmt. Ein bisschen Luxus nach viel Entbehrung. Noch einmal eine verschwenderische Wohltat, bevor er stirbt.


II
Was ist eigentlich notwendig? Und was ist Luxus? Oder anders: Wo ist Luxus notwendig? Das scheinbar Überflüssige? Wenn Menschen zu uns kommen ins Kölner Segensbüro, dann sind viele überrascht, weil wir ihnen nicht sagen, was notwendig ist und was nicht. Weil wir nicht Daumen heben oder senken und sagen: Das geht, und das geht nicht. Das kennen die meisten so nicht. 

In ihrem Kopf, da gibt es Bilder von Pfarrern (meistens Männern), die streng nach Ablauf ihr Programm durchziehen. Und – so gehen die Bilder weiter – wenn man davon abweicht, wenn man besondere Wünsche hat, dann gibt’s Probleme. Kirche hat in ihren Köpfen so und so zu sein – weil sie es so kennengelernt haben. Wir zeigen, dass das nicht so sein muss.

Wenn wir Menschen segnen, dann richten wir uns nach dem, was die Menschen brauchen und sich von Herzen wünschen. Nichts muss so sein, wie irgendeine Regel das vorgibt. Wir sind überzeugt: Die Menschen, die Segen suchen, wissen sehr gut, was ihnen wichtig ist und wo sie Gott zu finden hoffen. Aus sich heraus, aus ihrem Herzen. 

Sie kommen vielleicht nicht mit Nardenöl. Aber mit Dingen, die abweichen von dem, was vermeintlich so und so zu sein hat. Da ist das Pärchen, das unbedingt am Karneval im Kostüm und mit den Hunden auf dem Arm gesegnet werden will. "Ist das noch Kirche?", fragt ein Zeitungsleser später. Und unsere Antwort ist: Wer sind wir, darüber zu urteilen? Wenn ihnen das Karnevalskostüm wichtig ist, wenn sie mit großem Ernst und voller Überzeugung daran hängen, wer sind dann wir, es ihnen auszureden?

Eine Frau kommt zu uns. Sie hat eine lange Krankheit hinter sich und will ihre Niere segnen lassen, die eine, die ihr noch verblieben ist. Ein Organ segnen. Klingt erst einmal ungewöhnlich. Und gleichzeitig sehr verständlich und berührend. Denn wir sind ja lebendige Wesen mit Herz und Verstand, mit Seele und Niere. Ich segne sie. Als Person mit einer Krankheitsgeschichte. Baue ein Ritual, mit dem sie symbolisch die Krankheit hinter sich lassen kann. Ein Ritual, das Aufbruch verkörpert. Das ihr hilft, Fuß zu fassen im Leben nach der Krankheit – und gnädig mit ihrem Körper zu sein, der eben nicht immer perfekt funktionieren muss. 

Ein Mann lebt seit geraumer Zeit getrennt. Er hat überhaupt nicht gedacht, dass er auch seine Scheidung durch Segen begleiten lassen kann. 
Bei dem Ritual, das wir gemeinsam gestalten, bricht er aus einem Block Salz ein Stück heraus. Er gibt es in eine Schale mit Wasser für all das Bittere und Ungeweinte. Während er das tut, kann er endlich weinen. Er vergießt Tränen, wie Maria in der biblischen Geschichte Nardenöl vergossen hat. Er bittet Gott um einen Neuanfang, ums Heilwerden, ums Vergeben-Können. 

Im Segensbüro machen wir die Erfahrung: Die Menschen sagen uns Pfarrerin und Pfarrer mehr über Gott als wir ihnen. Sie tragen Gott in sich, wie auch immer sie Gott nennen. Und gemeinsam suchen wir nach Ausdrucksformen. Und so sind wir es oft, die von ihnen lernen, Öl zu vergießen und scheinbar Überflüssiges zu tun. Was anderen als Klimbim erscheint, als anstößig, das lernen wir hochzuhalten und ernst zu nehmen. 

Hätzjeföhl. Auf Kölsch für Herzgefühl. Darum geht es: Dass wir ein aufgeschlossenes Herz haben. Aufgeschlossen für die eigenen Gefühle. Für das, was uns bewegt, uns zu schaffen macht und freut. Und Herzgefühl, ein aufgeschlossenes Herz für andere: Wo sind sie gerade in ihrem Leben? Welche Geschichten bringen sie mit? Was gibt es an Ungelöstem in ihrem Herzen, welche Last aus der Vergangenheit, welche Hoffnung für die Zukunft? Was erzählen sie uns über Gott? Was können wir von ihnen über Gott lernen? Und wofür bitten sie Gott um Segen. Um Gottes Nähe. Um Gottes Schutz auf dem Weg, der vor ihnen liegt. 

Als in der biblischen Geschichte Maria Jesus die Füße salbt und mit ihren Haaren trocknet, ist das ein überraschender Moment für alle im Raum. Überraschende Nähe. Überraschende Wohltat. Wir können einander überraschend Gutes tun. Und einander Gutes zusprechen und Segen wünschen. 


III
"Viel Glück und viel Segen" – "Geldsegen" – "Da ist ein Mensch zum Segen geworden" – "Heile heile Segen, drei Tage Regen. Drei Tage Sonnenschein, wird bald wieder besser sein."

In unserem Wortschatz spiegelt sich oft wider, was Segen bedeutet. Segen, das bezeichnet etwas Positives. Etwas Hilfreiches, wie eine Finanzspritze, die dringend nötig ist. Oder genau der richtige Mensch zur richtigen Zeit. Oder ordentlich Regen und Sonne, damit die Pflanzen wieder wachsen. 

Segen, das hat mit Wachstum zu tun. Im Alten Testament bezeichnet Segen das, was Pflanzen, Tiere, Menschen wachsen lässt. Wasser, Nahrung, Schlaf. Aber auch Sicherheit, Liebe, Glaube. Das sorgt für inneres Wachsen und Erblühen. 

Segen, das ist das, was das Leben gedeihen lässt. Deshalb singen viele heute noch zum Geburtstag nicht nur "Happy Birthday", sondern "viel Glück und viel Segen". 

Was bedeutet Segen für Sie? Was oder wer ist für Sie persönlich ein Segen? 

Segen, das ist das, was das Leben gedeihen lässt.
Und das ist die Schöpferkraft unseres Gottes. Denn Gott allein segnet. 

Im Alltag finden wir Segen an vielen Stellen. Oft segnen wir auch unbewusst durch Gesten und ein paar gute Worte. Wir wünschen der Person in dem Moment etwas Gutes. Segnen heißt: Gutes sagen. Zum Beispiel, wenn wir abends dem eigenen Kind die Hand auf den Kopf legen und eine gute Nacht wünschen. Oder wenn wir uns am Bahnhof von einer Freundin verabschieden, sie umarmen und sagen: "Komm gut an." Oder wenn jemand in den Urlaub fährt und wir winken und wünschen eine gute Reise. Solche Alltagssegensmomente finden oft in sogenannten Schwellensituationen statt: Beim Hinausgehen aus der Tür, vor dem Einschlafen, vor einer Reise, einer Prüfung oder einer Operation. 

Es gibt auch größere Schwellensituationen im Leben. Etwa, wenn ein Mensch gestorben ist, ein Kind geboren wurde oder zwei Menschen heiraten. Wenn ein Mensch eine Krise durchlebt, eine Scheidung, eine Krankheit oder einen Berufswechsel durchmacht, einen Umzug oder einen Identitätswechsel vollzieht. Dann suchen einige Menschen bewusst einen Segen, ein Ritual für diesen Übergang im Leben. Sie wünschen sich Gutes für das, was in der Zukunft kommen wird. So erleben wir es im Segensbüro.

Wenn wir Menschen jemand Anderes segnen, dann ist es eigentlich eine Segensbitte. Wenn wir die Hände zum Segen heben oder sanft auf den Kopf oder die Schulter legen und sagen: "Gott segne dich", dann bitten wir in diesem Moment Gott ganz besonders um seinen Segen für die Person, die gerade vor uns steht. 

Es ist kein Schutz, keine Versicherung, dass ab jetzt nichts Schlimmes mehr im Leben passiert. 

Es ist die Bitte: Gott, sei diesem Menschen vor mir ganz nah und stärke ihn oder sie mit deiner Liebe. 

Und dieses Gefühl, das da entsteht, zwischen uns Menschen und Gott, das geht manchmal so tief ins Herz, das es ein Leben lang trägt. Wie ein Licht in uns drin, das unauslöschbar ist. 

"Lass sie", sagt Jesus zu dem Jünger, der sich darüber aufregt, dass Maria ihn salbt. Denn das duftende Öl an seinen Füßen ist für ihn ein Segen auf seinem Weg.

Amen. 


Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

Feedback zur Sendung? Hier geht's zur Umfrage!