In Deutschland leben über 50 Prozent der Bevölkerung in Singlehaushalten. Mehr als 22 Prozent der Kinder im Grundschulalter fühlen sich mindestens manchmal einsam. Auf diese erschreckende Entwicklung macht die "Woche der Einsamkeit" aufmerksam. Pfarrer Wolfgang Beck aus Hildesheim, der als Priester bewusst seine Lebensform gewählt hat, fragt sich: Was ist, wenn aus dem Alleinsein Einsamkeit wird? Und ist unsere Gesellschaft darauf eingestellt? In seinem Wort zum Sonntag sucht Pfarrer Beck nach Auswegen für diejenigen, die sich alleine oder einsam fühlen.
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Alleine ins Kino oder Theater gehen und hinterher mit niemandem über den Film sprechen oder danach ein Glas trinken zu können? Wie macht man das: alleine ins Restaurant gehen, ohne von der Bedienung immer am blödesten kleinen Tisch vor den Toiletten platziert zu werden? Oder gar alleine in Urlaub fahren? Alleine zu leben hat viele Herausforderungen. Und es gibt Situationen, die fühlen sich seltsam an, wenn ich sie alleine erlebe. Freiwillig oder unfreiwillig, wir Menschen müssen das Alleinsein einüben, wohl oder übel. In einer Gesellschaft, in der Singlehaushalte über 50 Prozent ausmachen und zur Normalität geworden sind, ist das Leben doch erstaunlich stark auf Paare ausgerichtet. Erst neulich war ich in einem ganz neuen Kino, in dem alle Sitze zu zweit angeordnet waren. Da ist nicht vorgesehen, dass Menschen alleine kommen und neben Fremden sitzen. Fühlte sich sehr komisch an.
Und da gibt es dann noch ein ganz anderes Phänomen: Nicht automatisch, aber doch ziemlich häufig wird aus dem Alleinleben auch Einsamkeit. Das ist natürlich kein "Privileg" der Alleinlebenden. Auch Menschen in Ehen und Partnerschaften können ja extrem einsam sein. Derzeit gibt es die "Woche gegen Einsamkeit". Sie rückt in diesem Jahr die Einsamkeit von Jugendlichen in den Fokus. Da geht es nicht einfach darum, tiefgehende Gespräche über den Sinn des Lebens oder die persönliche Zukunft zu führen. Wichtige Schritte sind vielmehr, Zeit miteinander zu verbringen, etwas zu unternehmen. Immer deutlich wird, dass Einsamkeit auch zum gesellschaftlichen Problem wird. Für mich als katholischem Priester hat das Alleinleben eine besondere Bedeutung. Es ist seit dreißig Jahren meine eigene, persönliche gewählte Lebensform. Für mich ist das Alleinleben als katholischer Priester stimmig und richtig. Allein zu leben kann Ausdruck einer religiösen Überzeugung und Bestandteil religiöser Praxis sein – eine Praxis, in der ich möglichst viel im Gespräch mit Gott bin und hoffe, dass es keine Selbstgespräche sind. Großen Respekt habe ich vor den Menschen, die alleine leben, obwohl sie es sich nicht ausgesucht haben: Wenn eine Partnerschaft in die Brüche gegangen ist und sich keine neue ergeben hat. Wenn ein geliebter und vertrauter Mensch verstorben ist und zuvor über Jahrzehnte hinweg alles zu zweit erlebt wurde, dann stelle ich mir die Umstellung sehr schwer vor. Und wie groß ist die Sehnsucht nach Partnerschaft und geteiltem Leben manchmal dort, wo sich kein passender Partner gefunden hat?
Die "Woche gegen Einsamkeit" weist auf ein riesiges Thema hin. Denn eine zunehmend individuell geprägte Gesellschaft mit vielen Menschen ohne Kontakt zueinander, steht natürlich vor vielen Herausforderungen. Neben diesen Diskussionen und Analysen im Blick auf die Gesellschaft helfen vielleicht im persönlichen Bereich kleine Schritte: zum Telefon zu greifen, um sich bei einem Bekannten zu melden oder bei jemandem in der Nachbarschaft für ein kleines Gespräch vorbeizugehen. Oder jemanden fragen, ob er oder sie Lust hat, gemeinsam zu einer Veranstaltung zu gehen. Das klingt vielleicht banal. Aber es sind wichtige, kleine Schritte. Es gibt einfach sehr viele Menschen, bei denen die Tage vergehen, ohne dass sie mit jemandem ein paar Sätze gewechselt haben. Das Alleinleben lernen müssen fast alle Menschen irgendwann in ihrem Leben. Auch deshalb ist es gut, Kontakte und Freundschaften zu pflegen und sich gegenseitig mit Aufmerksamkeit ein wenig im Blick zu behalten. Das wünsche ich uns miteinander. Und dass wir nicht aufhören, zu suchen und zu lernen, wie das Leben glücken und gelingen kann – alleine, zu zweit oder als Familie und in jedem Fall: gehalten und getragen von Gott.
Einen guten Sonntag!
Katholischer Senderbeauftragter für Das Wort zum Sonntag für den NDR
Andreas Herzig, Erzbistum Hamburg
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