Krankenhauskapelle der Huyssens-Stiftung in Essen
DLF-Gottesdienst aus Essen
Gottesdienst aus der Kapelle der evang. Huyssens-Stiftung Essen-Huttrop
22.11.2015 09:05

Liebe Gemeinde, liebe Hörerinnen und Hörer,

 

was wäre unser Leben ohne die Musik – sie kann etwas von dem ausdrücken, was kaum in Worte zu fassen ist – und worüber gleichzeitig nicht geschwiegen werden kann (der französische Schriftsteller Victor Hugo soll das so ausgedrückt haben). Die Musik heute Morgen erzählt etwas vom Leben. Wie schwer es manchmal ist – und was Hoffnung gibt.

 

Auf unserem Altar stehen Blumen. Auch das ein Sinnbild für das Leben: sie zeigen die Schönheit und Kostbarkeit des Lebens und stehen genauso für die Verletzlichkeit und Vergänglichkeit aller Geschöpfe.

 

Beide Bezeichnungen des heutigen Sonntags haben ihr Recht und ihre Bedeutung. Am Totensonntag gedenken wir unserer Verstorbenen. Wir erinnern uns an sie, allein oder gemeinsam mit anderen. Wir möchten ihre Lebenswege würdigen und uns vergewissern über die Liebe, die bleibt. Und ist es der Ewigkeitssonntag. Dieses Datum vermittelt: Es gibt Hoffnung. Nehmt den Horizont wahr, den der christliche Glaube anbietet!

 

Dieser letzte Sonntag des Kirchenjahres ist für viele Menschen belastend und beängstigend. Er wirft vor allem die Frage auf, wie es gelingen kann, mit der eigenen Trauer umzugehen. Wenn wir trauern, tut es uns gut, ausdrücken zu können, was wir empfinden, was wir erleiden. An Tagen mit einer besonderen Bedeutung spüren wir das erst recht: wenn etwa der Sterbezeitpunkt sich jährt, oder eben Totensonntag ist.

 

Ein Beispiel: eine schon ältere, verwitwete Frau sagte mir einmal: „Ich habe für mich entdeckt, wie ich den Tag gestalten möchte: vormittags gehe ich in die Kirche; anschließend mit einer Freundin ans Grab. Am Nachmittag trinken wir immer mit ein paar Freunden und Weggefährten Kaffee. Das ist für mich die wohltuendste Form, diesen Tag zu erleben. Und ich bin sicher: es würde ihn freuen.“

 

So hat sie sich ein Ritual geschaffen. Bei Symbolen und Ritualen geht es um eine Zeichensprache: Unheil soll gebannt, heilende Kräfte sollen gestärkt werden.

Traditionen und Rituale entwickeln sich. Das können wir auch an der Trauerkultur nachvollziehen. Anonyme Bestattungen nehmen zu; individuelle Gestaltungsformen aber auch. Ganz unabhängig davon können wir vom christlichen Glauben her sagen: Gott erinnert sich an jeden Menschen. Ganz gleich, ob das Grab aufwändig gestaltet ist, die Trauerfeier individuell war – oder ob jemand im kleinen Kreis anonym beigesetzt wurde.

Gleichzeitig sind neue Formen kollektiver Trauer entstanden. Ich denke etwa an die Unfallkreuze am Straßenrand. Seit etwa 20 Jahren gehören sie zum Erscheinungsbild zahlreicher Landstraßen.

Und ich glaube schon: Menschen spüren, dass das Symbol des Kreuzes Kraft entfalten kann. Das Kreuz als das wichtigste Sinnbild des christlichen Glaubens weist auf etwas Doppeltes hin: Gott fühlt mit, leidet mit, wo immer Menschen es schwer haben. Gott begleitet Wege bis in die schlimmsten Talsohlen des Lebens. Das ist im Bild des gekreuzigten Christus enthalten. Zugleich zeigt das Kreuz, dass Leid und Zerstörung verwandelt werden können; dass Hoffnung berechtigt bleibt, sogar gegen allen Augenschein. Denn es verweist auf Jesus Christus, der den Tod besiegt hat. Das macht dieses Zeichen so wertvoll und einzigartig.

Der Apostel Paulus hat es so ausgedrückt: „Denn wir sind zwar gerettet, doch auf Hoffnung. Die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung, denn wie kann man auf das hoffen, das man sieht? Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir darauf in Geduld.“ (Röm. 8, 24f)

 

 

„Ist Gott für uns, wer kann wider uns ein?“ (Röm. 8, 31b)

Das ist eine reichlich kühne Ansage von Paulus im Predigttext für den heutigen Sonntag. Kann sie dem standhalten, was Menschen erleiden; was das Leben für manche unerträglich machen kann? Der Apostel Paulus wusste, wie zerbrechlich menschliche Lebensgebäude sind. Er hatte mehr als eine Ahnung davon, was das Leben zur Qual werden lassen kann. In seinen Briefen deutet er immer wieder an, was er selbst erlebt hatte: Verfolgung und Schiffbruch, Todesgefahr und schwere Erkrankung.

An anderer Stelle bezeichnet Paulus „den Tod als den letzten Feind…“ (1. Kor. 15, 26) So erfahren und erleiden Menschen den Tod, immer wieder jedenfalls. Die Ehrenamtlichen aus unserer Palliativ – Gruppe haben Erfahrungen angesprochen, die dem nahekommen. Menschen erleben bereits das Sterben als „Feind“ – manches Mal zumindest!? Tatsächlich stellt die Einsamkeit vieler sterbender Menschen ein großes, vielleicht das größte Problem dar. Wer allein ist oder wer sich von seinen Mitmenschen verlassen sieht, wird der sich nicht umso eher auch als gottverlassen erleben!?

Was kann uns scheiden von der Liebe Gottes? fragt der Apostel Paulus. Um dann zu sagen: gleich, was kommt – nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes! Aber wie erleben Menschen das, die schwer krank sind? Die eben doch unerträglich gewordene Schmerzen haben; die empfinden, anderen nur noch eine einzige Last zu sein; die sich als ausgeliefert wahrnehmen? Die fragen, ob durch all die Maßnahmen eigentlich ihr Leben verlängert wird oder doch nur ihr Leiden und Sterben.In der Tat hat die Intensivmedizin mit ihren enorm gewachsenen Möglichkeiten die Grenzen zwischen Leben und Sterben fließend gemacht. Der Palliativmediziner Gian Domenico Borasio hat doch Recht, wenn er fordert: „Es gilt zu lernen, dass sehr oft stattdessen am Lebensende von Menschen ein liebevolles ärztliches Unterlassen angesagt ist.“

Ja, das kommt vor, dass Patienten sagen: „ich will nicht mehr…“ Nicht selten drücken Menschen, die keine Heilung mehr erwarten können, dann zugleich aus: „Ich will so nicht mehr weiterleben.“ Ein solcher Satz ist dann meist ein Ruf nach Kontakt und Zuwendung, ein Aufschrei gegen das Empfinden des Verlassen- und Preisgegeben – Seins.

Vieles davon spiegelt die aktuelle gesellschaftliche Diskussion um die Beihilfe zum Suizid wider. Vor gut 14 Tagen hat der Bundestag strittig darüber diskutiert. Thema war und ist aber nicht nur die Regelung einer ethischen und juristischen Frage. Zur Debatte steht: welches Bild vom Menschen haben wir, und wie will unsere Gesellschaft mit schwer kranken und sterbenden Menschen umgehen? Um nicht missverstanden zu werden: Es gibt extreme Grenzsituationen, in denen auch die so segensreiche Palliativmedizin unheilbar erkrankte Menschen nicht ganz von ihren Leiden befreien kann. Wir sprechen von vielleicht zwei von tausend Fällen. Mit m.E. guten Gründen sagen die Verantwortlichen unserer Kirche hier: Trotz verlässlicher Regeln braucht es in solchen Grenzsituationen Raum für eine persönliche Gewissensentscheidungen des Arztes, der Ärztin, zusammen mit dem Patienten und den Angehörigen. Wer in einem schlimmen Dilemma eine ethische Abwägung verantworten muss, bewegt sich immer in einer Grauzone. Gutes tun und schuldig werden liegen dann nah beieinander.

Unsere Kirchen tun m.E. gut daran, eine ärztliche Beihilfe zum Suizid nicht als Regelfall zu befürworten. Es wäre jedenfalls fatal, wenn sie zu einer „normalen Option“ (H. Bedford – Strohm) würde. Das Bild und die Rolle dessen, der dazu da ist, Leben zu erhalten, wäre grundsätzlich in Frage gestellt. Zum anderen könnte es zu einem Dammbruch kommen. Die Hemmschwelle würde deutlich sinken, dann auch auf andere Druck auszuüben, damit sie diese Möglichkeit in Anspruch nehmen. Menschen mit Demenz etwa oder Menschen, die einfach sehr alt und mehrfach erkrankt sind.

Wie kann menschliche Würde zur Geltung gebracht werden, bis zuletzt. Vom christlichen Glauben her wurzelt die Menschenwürde in einer Zusage: Ihr seid Ebenbilder Gottes. „Gottebenbildlichkeit“ ist ein Beziehungsbegriff. Unsere Würde, unser Wert bestimmt sich nicht durch das, was wir haben oder können. Auch nicht dadurch, ob wir krank sind oder gesund, jung oder alt, mit einer Behinderung leben oder nicht. Sondern unsere Würde bestimmt sich dadurch, dass wir Menschen mit dem lebendigen Gott verbunden sind, der jeden einzelnen bejaht und annimmt, wertschätzt und liebt. Das wirft anderes Licht auf die Überzeugung des Apostels Paulus: „Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein?“

 

 

„Denn ich bin gewiss….weder Leben noch Tod kann uns scheiden von der Liebe Gottes…“

Leichthin oder gar triumphartig hat Paulus diese Worte sicherlich nicht gesagt. Aber vor dem Hintergrund von Krisen und Leidenswegen, die er durchgestanden hat, einer Hoffnung, die er durchgehalten hat und einem Gottvertrauen, das sich für ihn bewährt hat. Vielleicht zögern wir, diese Worte mitzusprechen; möchten sie eher mit einem „Frage-“ als einem „Ausrufezeichen“ versehen!? Ob wir dennoch versuchen können, an sie anzuknüpfen?

In der Tat denke ich: mit der sog. Sterbehilfedebatte ist die Suche nach Leitbildern verbunden. Wie gehen wir mit dem Sterben und dem Tod um? – Was dient dem Leben bis zuletzt? Was führt uns weiter, wenn wir an unsere Grenzen stoßen?

Ganz bestimmt ist der Ausbau der Hospize und der Palliativmedizin ein Gebot der Stunde. Und genauso eine gute entsprechende Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten, Pflegerinnen und Pflegern sowie Ehrenamtlichen in der Hospizarbeit. Das ist doch den Einsatz von einer Menge Geld wert!

Eng verbunden ist damit die Frage nach der gesellschaftlichen Einstellung zum kranken und hilfebedürftigen Menschen. Ein Mensch muss dem anderen zur Last fallen dürfen. Das ist ein Teil seiner Würde. Es ist – ohne Abstriche – ein Menschenrecht. Zumal dieses Hoffnungsbekenntnis des Apostels Paulus damit in engem Zusammenhang steht:

„Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes...“

Wir schwanken oft hin und her zwischen Verzweiflung und Zuversicht, drohender Resignation und erneuertem Lebensmut. Vielleicht ist gerade das immer wieder die Frage: was gibt dann den Ton an? Franz von Assisi ging so weit, „den Tod als Bruder“ wahrzunehmen! Das ist das deutlichste Gegenbild zum Tod als „Feind“. Es ist der vielleicht denkbar stärkste Vertrauensbeweis zum himmlischen Vater.

Christen bezweifeln die „Allmacht“ des Todes. Sie träumen davon, sie setzen darauf, dass die Zukunft Gott gehört. Der Apostel Paulus ist überzeugt: der leidende und gekreuzigte Jesus behält Anteil an der Lebenskraft des Schöpfergottes. Christen halten an der Botschaft vom auferweckten Jesus Christus fest.

Der katholische Name des heutigen Sonntags heißt: „Christkönig“.

D.H.: so wenig wir die vergessen, die wir gern gehabt haben und lieb behalten werden – so wenig gehen sie aus dem Gedächtnis Gottes verloren. Wo wir Menschen nur Vergehen, Ende und Abbruch wahrnehmen, hat Gott seine eigenen Vorstellungen und Möglichkeiten, uns am Ende unseres Lebens an Sein Ziel zu führen. So ist Sterben ein Übergang hinein in uns noch unbekannte Räume der Zukunft Gottes; bei Gott werden wir Menschen schon erwartet. Dort finden wir Frieden, Geborgenheit und Heimat.

Der Tod als „Bruder“!? Es bleibt eine Gnade, in Frieden mit sich und anderen sterben zu können.

Mit diesem Zuspruch des Evangeliums im Rücken können wir leichter „das Zeitliche segnen“. Einmal endgültig und immer wieder an jedem neuen Tag. Jörg Zink hat das sinngemäß so interpretiert: „Jede Stunde ist wie ein Streifen Land, das ich aufwerfe wie mit einem Pflug – durch meine Gedanken, meine Arbeit, meine Gebete, meine Liebe und Verantwortungsbereitschaft, meiner Art und Weise, wie ich Kontakte gestalte.“ Damit dadurch im Auf und Ab des Lebens Gutes entstehen kann, Frucht wächst, Segensreiches gedeiht. Darauf zielt die gute Botschaft ja: Menschen unterstützen einander, setzen ihre Kräfte konstruktiv ein, zeigen einander Dankbarkeit und Freundlichkeit, können sich versöhnen, Trost und Hoffnung weitergeben.

Für Paulus bleibt es das, was vor allem zählt: Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes. Jetzt nicht und auch nicht später einmal.

Und es stimmt es wohl, was Peter Beier (der frühere Präses unserer EKiR) einmal so ausgedrückt hat: „Manchmal singen Christen auch dem Tod, den Rätseln des Lebens und dem Rest, der nicht aufgeht, ins Gesicht.“ Amen.