Seit 40 Jahren wird im Gottesdienstraum der evangelisch-methodistischen Zionsgemeinde in Nürnberg gebetet. Manchmal leise im Herzen, immer wieder laut in Gottesdiensten und Gemeindeveranstaltungen. So wie man das in einem Kirchengebäude erwartet.
Aber wie geht Beten? Braucht es dafür eine besondere Fähigkeit? Und was ist Beten? "Beten - heißt sich lieben lassen!" Davon ist Pastorin Birgitta Hetzner überzeugt. Sie predigt und leitet durch den Gottesdienst am Sonntag, 20. Oktober 2024, von 10.05 bis 11.00 Uhr. Der Deutschlandfunk überträgt live im Radio.
Von ihren Erfahrungen mit dem Beten erzählen Susanne Bader, Gudrun Simon, Bernd Held, Heiko Müller und Pastor Robert Hoffmann. Simon Sendler und Shayan Javad gestalten die Musik mit Orgel, Klavier und Sitar, einem typischen Instrument im Iran.
Die Evangelisch-methodistische Zionsgemeinde in Nürnberg ist eine internationale Gemeinde – so wie die weltweite Evangelisch-methodistische Kirche. Sie steht in der Tradition ihres Gründers John Wesley im 18. Jahrhundert. Sein Motto war: "Not erkennen und handeln."
Lieder des Gottesdienstes:
1. Lied Wir sind willkommen (Liederbuch 2/Nummer 23)
2. Lied Sonne und Mond (GB EmK 46, 1-3)
3. Lied Dir, der alles Freude schenkt (GB EmK 49, 1-3)
4. Lied Meine engen Grenzen (EG 588,1+2+4 / GB EmK 328, 1-3)
5. Lied Bei Gott bin ich geborgen (GB EmK 350)
6. Lied Gott ist gegenwärtig (EG 165, 1 +5+6 / GB EmK 337, 1+5+6)
7-11. Lied In der Stille angekommen ( Das Liederbuch / Nummer 36 Strophe 1-4)
12. Lied Gott, ich suche dich (GB Emk 342, 1-4)
Predigt nachlesen:
I
"Sammeln Sie Punkte?", fragt mich die Kassiererin im Supermarkt. "Nein", murmele ich schnell und packe meine Sachen in die Tasche. Es nervt mich, diese stetige Frage nach den Punkten. Ich lege meine Karte auf das Bezahlgerät und schiebe meinen Wagen mit den Einkäufen zu meinem Auto. Auf dem Parkplatz höre ich, wie mein kleiner innerer Lehrmeister sich meldet. Der weiß immer alles und legt den Finger in die Wunde: "Natürlich sammelst du Punkte!", mahnt er mich. Ich stöhne innerlich auf. Was will der schon wieder?
"Neulich, als dein Nachbar dich gefragt hat, ob du alle Mülltonnen im Haus wieder reinstellen kannst, hast du innerlich gerechnet und beschlossen, dass du schon so oft die Tonnen reingestellt hast. Jetzt wäre er mal dran. Oder letzte Woche, als ihr euch in der Familie gefetzt habt, da warst du dir doch auch sicher, dass dieses Mal nicht du wieder als erstes das Gespräch suchst, schließlich hast du doch die letzten vier Mal den Anfang gemacht." "Och, lass mich in Ruhe!", nörgle ich innerlich. "Das machen doch alle. Menschen sind nun mal so gestrickt. Das innere Punktekonto gehört wohl dazu."
Schnell versuche ich, meinen kleinen inneren Lehrmeister wieder in die hintere Ecke meines Herzens zu drücken. Aber sein Sticheln hat mein Gedankenkarussell schon angestoßen. Ja, es stimmt: Ich sammle Punkte auf einer imaginären inneren Liste. Selbst Gott ist davon nicht ausgeschlossen. Ich ertappe mich dabei, dass ich dann Gott vorrechne, wie viele Punkte ich bei ihm schon gesammelt habe.
Vielleicht weil ich besonders nett zu meinem Nachbarn war; mich nicht gedrückt habe, als es darum ging, in der Elternschaft der Schule Verantwortung zu übernehmen. Vielleicht – weil Lügen und andere schlecht Machen nicht zu meinen Grundeigenschaften zählen. Und außerdem in den letzten Urlauben wir mehr mit dem Rad und weniger mit dem Auto unterwegs waren; ich zudem regelmäßig meditiere und viel gebetet habe. Eigentlich ist das alles doch gar nicht so verkehrt. Ist ja alles irgendwie gut.
Aber Punkte sammeln wollen, das erzeugt Druck. Da muss ich Leistung bringen. Und bei Gott, das weiß ich doch, brauche ich gar keine Punkte sammeln. Gott liebt mich, ohne irgendwelche Bedingungen zu stellen. Ich muss dafür nichts tun. Nicht mal beten. Schon gar kein Leistungssport-Beten.
Beten ist doch eigentlich ein Gespräch unter Freunden. Da genügt manchmal ein kleiner Seufzer und mein Freund / meine Freundin weiß Bescheid, wie es mir geht. Ich kann sagen, was ich denke, oder einfach auch schweigen, wenn mir danach ist. Beten, das kann ein kleines "Ach Gott" sein.
Ein guter Freund, der auch mein geistlicher Begleiter ist, sagt mir immer wieder: "Beten, Birgitta, beten heißt sich lieben lassen.
II
Beten heißt sich lieben lassen. Ich brauch mich nicht größer darstellen, als ich bin. Keine Punktesammeln. Weder im Supermarkt noch bei anderen Menschen. Schon gar nicht bei Gott. Mein inneres Punkte-Sammeln kann ich mir sparen – ich muss Gott nicht vorrechnen, was ich alles Gutes getan habe und wo ich scheinbar besser war als all die anderen. Aber ich brauch mich auch nicht kleiner und niedriger machen, als ich bin. Es gibt bei Gott kein Ranking beim Beten, sondern einfach nur die Chance, mir von der Seele zu reden, was mich belastet. Ich darf mich ehrlich machen vor Gott, um…? Ja, um was? Um mich von Gott lieben zu lassen. Beten ist das Angebot: Komm in die Nähe Gottes! Tritt in die Verbindung mit ihm, damit du wieder spürst: Du bist geliebt.
Am Anfang des Gottesdienstes habe ich gesagt, dass der Apostel Paulus in der Bibel schreibt: "Betet ohne Unterlass!" Und der katholische Kardinal John Henry Newman meinte: "Gebet ist das Atemholen der Seele."
Ich vermute, die beiden haben erlebt: Gottes Nähe ist wohltuend. So wie das selbstverständliche Ein- und Ausatmen guttut. Mehr noch: Es ist lebensnotwendig.
Beim Einatmen bringen wir guten Sauerstoff in unsere Lungen. Beim Ausatmen strömt aus, was uns vergiften würde. Beim Beten, da darf ich abgeben, was mich belastet, und kann Entlastung erfahren. Und ich bekomme frische Lebensenergie.
Aber so wie mir der Atem manchmal stockt, so stockt auch mein geistlicher Atem. Da kommt vor lauter Alltagsstress das Beten zu kurz. Ich bin dann spirituell kurzatmig.
Aber wenn es stimmt, dass das Gebet der Atem des geistlichen Lebens ist, dann würde mir doch viel fehlen, wenn ich nicht bete. Dann würde meine Seele atemlos.
Das Besondere am Beten ist ja: Ich kann über das sprechen, was ich sonst mit niemandem teilen würde. Es ist so gut, mit jemandem über das zu reden, was mir schwer auf dem Herzen liegt. Und doch gibt es immer wieder Themen, über die ich mit niemandem reden möchte. Sie sind mir peinlich, und ich schäme mich dafür.
Schuld zugeben gehört dazu. Ich schäme mich für den Fehler, den ich gemacht habe. Ich habe Angst davor, eine Abfuhr zu bekommen. Entschuldigung ist wohl eines der schwierigsten Wörter! Aber auch meine Wut, meine Eifersucht oder all die peinlichen Sachen, die mir schon passiert sind. Darüber rede ich nicht gerne öffentlich. Wie gut zu wissen, dass Gott mich mit liebevollen Augen anblickt.
Das hilft mir in meinem Umgang mit Gott. Teresa von Avila ist überzeugt: "Das innere Gebet ist nichts anderes als ein Gespräch mit einem Freund, mit dem wir oft und gern allein zusammenkommen, um mit ihm zu reden, weil wir sicher sind, dass er uns liebt." Wenn also der Liebhaber des Lebens – so wird Gott in der Bibel bezeichnet – es aushält, dass ich alles mit ihm berede, warum es dann nicht tun? Gott will, dass mein Leben gelingt. Gott, der Liebe ist, ermöglicht mir mein Leben. Gottes Liebe ist an keine Bedingungen geknüpft. Gott sammelt keine Punkte! Gott liebt mich. Ohne Wenn-dann. Ohne Wenn und Aber. Bedingungslos geliebt.
III
Beten lernt man nicht durch Vorträge und Bücher. Es gibt kein Rezeptbuch, so nach dem Motto: Man nehme diese und jene Zutat, gieße alles fröhlich ineinander, rühre das Ganze kräftig um, und fertig ist ein Gebet, das mich Gott erfahren lässt und alle Sorgen wegwischt. So funktioniert es nicht. Das Heilige lässt sich nicht mithilfe von Methoden einfangen. Man muss es ausprobieren.
Beten geschieht, indem ich es tue. Indem ich bete. Leben in der Gottesliebe muss ich immer wieder einüben. Beten ist höchst individuell. Das, was mir hilft, wo ich gute Erfahrungen mache, kann für die andere ganz anders. Das eine mag für mich bewegend sein. Jemand anderem erscheint es kurios, wunderlich, vielleicht sogar skurril. Manche beten mit besonderen Wörtern. Andere beten, in dem sie Gutes für andere tun im Sinne von Jesus. Nicht die äußere Form entscheidet, nicht die Sprache und auch nicht die Anzahl und Lautstärke der Wörter.
Wenn ich in Kontakt mit Gott, dem Liebhaber des Lebens, komme, dann kann es herausfordern, mein Leben mit seinen Höhen und Tiefen vor Gott zur Sprache zu bringen. So eine ehrliche Bestandsaufnahme kann mir den Atem verschlagen. Aber es lohnt sich. Wenn ich mich mit meinem Leben vor Gott gestellt habe, wenn ich meinen biographischen Brüchen und den unerfüllten Wünschen ins Auge geschaut habe, dann habe ich erfahren: Gott überwindet meine Angst davor mit seiner Liebe. Seine bedingungslose Liebe hilft mir. Wenn Gott mir seinen Spiegel vorhält, sehe ich mich darin, wie ich bin. Und über meinem Spiegelbild steht der Satz von Gott: Ich liebe dich! Das gibt mir Kraft, mich zu verändern, wo es notwendig ist, innerlich weiterzukommen und über mich selbst hinaus zu wachsen.
Jesus lädt zu einem ehrlichen Gespräch mit Gott ein. Liebe braucht Ehrlichkeit. Und ich kann mich fallen lassen und darauf vertrauen, dass Gott es absolut gut mit mir meint. Denn Beten heißt sich lieben lassen. Mehr nicht, aber auch nicht weniger.
Amen.
Es gilt das gesprochene Wort.