Gemeinde Evang. Bauernkirche Iserlohn
Was macht dich glücklich?
Live-Übertragung aus der evangelischen Bauernkirche in Iserlohn
22.10.2023 10:05
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Predigt zum Nachlesen:

I

Was macht dich glücklich?

Mit einem Lächeln wacht sie auf.

„Das ist der beste Tag ever! Genau wie gestern und genau wie morgen und an jedem anderen Tag – und das für immer!“

Barbie räkelt sich noch einen Moment auf den rosa-roten Polstern und springt gut gelaunt aus dem Bett. Sie winkt den anderen Barbies zu.

Ein neuer glücklicher Tag in Barbie-Land beginnt.

Sie wird in ihrer Barbie-Traumvilla frühstücken. Sie wird mit ihrem pinken Cabrio durch die Stadt cruisen. Sie wird zum Strand gehen. Und abends ist Girl´s night.

Manchmal trifft sie Ken.

Vielleicht ist Ken ein Quäntchen weniger glücklich als Barbie.

Einmal sagt er: „Ich existiere nur in der Wärme deines liebevollen Blicks.“

Aber Barbie schaut meist nicht so genau hin.

Es könnte ewig so weitergehen im Land der glücklichen Barbies.

Eines Abends bekommt das Glück Risse.

Mitten auf der Tanzfläche sagt Barbie plötzlich laut: „Denkt ihr auch manchmal an den Tod?“

Die Party friert für einen Augenblick ein.

Dann lächelt Barbie und das Leben geht weiter.

Am nächsten Tag wacht sie mit Plattfüßen auf. Und überhaupt läuft das Leben nicht mehr richtig rund. Selbstzweifel und Angst verdunkeln die pinke Barbie-Welt. Sie beschließt, diesen unglückseligen Zustand möglichst schnell zu beenden. Dazu muss sie in die „Echte Welt“ reisen. Ken versteckt sich im Cabrio und begleitet sie. 

Ihre Beobachtungen in der echten Welt, der Menschenwelt, sind verstörend. Was Barbie und Ken dort erleben und mit nach Barbie-Land bringen, verändert auch die ihre Welt nachhaltig.

Ob das Glück zurückkehrt?

Der Kino-Film „Barbie“ war in diesem Sommer ein Kassenschlager. In der Geschichte hat das rosa-rote Leben vom Anfang nicht lange Bestand. War das überhaupt Glück?

Glück ist ein großes Wort.

Darum formuliere ich lieber ein bisschen konkreter: Was macht dich glücklich?

Diese Frage habe ich vielen Menschen gestellt, in den sozialen Medien, in der Kirchengemeinde und in den beiden Förderschulen, an denen ich als Schulpfarrerin arbeite.

Manche Erwachsene wussten darauf keine Antwort; erschreckend viele Schülerinnen und Schüler sagten: „Eigentlich bin ich nie richtig glücklich.“

Andere Antworten sprudelten nur so heraus:

Singen im Chor macht mich glücklich.

Dass meine Mutter den Krebs besiegt hat.

Fahrradfahren.

Das Lächeln des Schnuller-Kindes, das ich heute gesehen habe.

Geld.

Das Hoch nach dem Tief, weil ich es dann viel intensiver empfinde.

Zeit mit der Familie.

Tiktok.

Flugzeuge beobachten.

Solange am Strand spazieren gehen, bis die Gedanken schweigen und das Herz beruhigt ist.

Das Feld mit den bunten Blumen und dass der Bauer sich so gefreut hat, als ich ihm dafür gedankt habe.

Zeit mit meinen Enkelkindern.

Mich berühren die Antworten. Menschen haben ihr Herz geöffnet. Sie beschreiben Glückserfahrungen. Glücksmomente.

Menschen haben genauer hingesehen, nicht nur mit den Augen, sondern vor allem mit dem Herzen.

Herbert Grönemeyer beschreibt Glücksmomente in einem Lied so: „Du denkst, dein Herz schwappt dir über. Es sind die einzigartigen Tausendstelmomente. Das ist, was man Sekundenglück nennt.“

Sekundenglück – ja! Und Zum Glück hält das Glück manchmal sogar länger als eine Sekunde an.  

Evolutionsbiologisch sind wir nicht für dauerhaftes Glück gemacht, sagt die Wissenschaft. Denn dieser Zustand macht träge – und das war in grauer Vorzeit lebensgefährlich.

Tatsächlich würden wir wohl ununterbrochenes Glück kaum als Glück empfinden.

Glück ist zerbrechlich.

Gerade das macht es so kostbar.

Glück ist vergänglich.

Unglück zum Glück auch.

Was macht Sie, was macht dich glücklich?

 

II

Jesus und das Glück

Jesus atmet tief durch.

Er lässt seinen Blick über die vielen Menschen wandern, die auf der Wiese am Berghang sitzen.

Halb versteckt hinter einem Felsen entdeckt er eine Familie: Vater, Mutter, drei kleine Kinder. Tagelöhner, die morgens nicht wissen, ob sie genug verdienen für das Abendbrot der Kleinen.

„Und trotzdem sind sie hier“, denkt Jesus. „Schon morgen könnten sie einfach so vertrieben werden aus ihrem Häuschen, wenn es wieder nicht für die Miete reicht. Niemand wird sich für sie einsetzen. Sie sind allein. Ohne Rechte. Arm und machtlos.“

Jesus schließt die Augen.

Er versucht, Worte zu finden für seine inneren Bilder.

Aber das Stimmengewirr lenkt seine Aufmerksamkeit zurück zu den Leuten.

Er öffnet die Augen wieder und sieht die alte Frau, deren Gesicht fast vollständig von ihrem Tuch verdeckt wird.  Seit langem ist sie Witwe.

Man sieht sie nur noch selten draußen, und wenn, dann huscht sie vorbei, lässt ihren Blick wandern.  „Sie wird verrückt“, sagen die Menschen. Dabei sucht sie nur verzweifelt nach einem Stück Brot, das jemand achtlos weggeworfen hat.

Heute hat die Nachbarin nicht lockergelassen, bis sie mitgekommen ist.

Jesu Blick wandert weiter. Er sieht die Frau und den Mann, mittelalt, ganz am Rand. Er sieht aber auch die Lücke zwischen ihnen. Ihr einziges Kind ist vor einiger Zeit beim Fischen aus dem Boot gefallen. Niemand konnte helfen, keiner hier am See kann richtig schwimmen.

Jesus schließt erneut die Augen.

Die Bilder in seinem Kopf und in seinem Herzen formen sich endlich zu Worten.

 

III

Wir und das Glück

Was macht dich glücklich?

So fragen wir heute in diesem Gottesdienst.

Aber ist die Frage eigentlich richtig gestellt??

Geht es im Leben darum?

Geht es um mein und dein individuelles Glück?

Die Vereinten Nationen haben den 20. März zum Internationalen Tag des Glücks ausgerufen.  Am selben Tag erscheint der jährliche „World Happiness Report“. Auch 2023 steht Finnland wieder auf dem Siegerpodest – zum sechsten Mal in Folge. Was ist das finnische Glücks-Rezept?

In der Auswertung des Reports steht dazu: „Die Menschen werden ermutigt, starke, gesunde Beziehungen zu ihren Familien, Freunden und der Gemeinschaft aufzubauen und zu pflegen.“ Das fördere das Grundvertrauen und führe zu mehr Hilfsbereitschaft und zum Anstreben eines Konsens.

Glück und Gemeinschaft gehören oft zusammen: 

Viele der Glücks-Statements, die wir im ersten Teil der Predigt gehört haben, erzählen davon: Das Singen im Chor, die Zeit mit der Familie, das Lächeln des Kindes, der Bauer, der sich über ein Dankeschön freut. 

Auch in Barbie-Land blitzt die Sehnsucht nach dem Glück im Wir auf: Ken spürt, dass da etwas falsch läuft, wenn er sich erst in der Verbindung mit Barbie gesehen fühlt.

Zum Glück gehören Beziehungen auf Augenhöhe. Beziehungen, in denen Menschen sich achten und dafür sorgen, dass niemand zu kurz kommt. Wo gilt: Du darfst so sein, wie du bist. Du genügst.

In der Bergpredigt spricht Jesus nicht von Ungefähr im Plural: Glücklich sind die Armen, die Trauernden, die Hungrigen …

Ich kann für mich alleine glücklich sein. Aber einsam glücklich zu sein, geht kaum.

Glücksmomente auf Kosten anderer zu erleben – auch das ist kein echtes Glück.

In der Sicht Jesu können wir am Ende nur glücklich sein, wenn es den anderen gut geht und auch sie glücklich sind. Da ist Jesus radikal: Maßstab für Glück sind diejenigen, die jetzt und hier nicht glücklich sein können, weil ihnen Menschenrechte vorenthalten werden, weil sie nicht das Lebensnotwendige haben, weil sie trauern.

Glück für alle ist erst erreicht, wenn es den jetzt Leidenden gut geht.

Zum Schluss bin ich noch einmal bei Ken und seinem sehnsüchtigen Satz: Ich existiere nur in der Wärme deines liebevollen Blicks!

Als Pfarrerin in Förderschulen erlebe ich täglich Kinder, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Sie leben in Jugendhilfeeinrichtungen, kennen zerbrochene Beziehungen, haben schon viele Abschiede erlebt, auch viel Ablehnung. Ihr Verhalten spiegelt oft ihre Sehnsucht nach Beachtung und Aufmerksamkeit wider.

Ich ahne: Glücklich zu sein hat etwas damit zu tun, gesehen zu werden. Angesehen zu werden mit einem liebevollen, lebensbejahenden Blick. So angenommen zu werden, wie ich bin. 

Und gilt das nicht für jedes Geschöpf?

Anders gesagt: „Ich existiere, Gott, in der Wärme deines liebevollen Blicks!“

Gottes liebevoller Blick auf die Welt, auf meine Mitgeschöpfe und auf mich lässt auch mich anders sehen lernen.

Ich versuche, wie Jesus Glück vom Ende her zu denken.

Der Riss des Todes wird eines Tages gekittet sein. Dann leben wir im wahren Glück.

Von dort breitet es sich aus.

Gott sei Dank - wir erleben Sekundenglück - schon in unserer Welt.

 

Der Chor wird gleich singen:

Wag den Neuanfang!

Fang zu träumen an!

Einsame finden Freunde.

Die Schwächsten denken mit am Wohl der Welt.

Feinde stärken sich den Rücken,

Vertrauen beendet den Krieg.

Verzweifelte singen,

Ängstliche verspüren Mut.

 

Fangt zu träumen an:

Vom Licht, das durch die Wolken bricht.

Vom Glück.

 

Es gilt das gesprochene Wort.