Predigt zum Nachlesen:
I
Driving home for Christmas – Chris Rea spricht in seinem Lied an, was wir eigentlich ohnehin wissen: Weihnachten bringt Menschen in Bewegung. Tatsächlich freue ich mich auch am meisten darüber, dass meine Töchter sich an diesen Tagen auf dem Weg machen und uns besuchen.
Aber schon die Weihnachtsgeschichte selbst ist voller Aufbrüche. Josef und Maria müssen eine mühsame Reise antreten, weil der Kaiser höhere Steuereinnahmen generieren will. Die Hirten verlassen die Felder, um das Kind zu sehen, dass angeblich die Welt retten wird. Die Weisen aus dem Morgenland folgen dem Stern auf der Suche nach einem Wunderkind. Und nicht zuletzt die Heilige Familie selbst muss vor der Grausamkeit des Königs Herodes nach Ägypten fliehen, kaum dass Jesus das Licht der Welt erblickt hatte.
Viele Menschen sind auch momentan unterwegs, viele davon wissen, dass sie ihre Heimat langfristig, eventuell sogar endgültig verlassen. Und dafür gibt es unterschiedliche Gründe.
Wir leben hier vor den Toren Wiens, der Hauptstadt eines ehemaligen Vielvölkerstaates. Damit ist unsere Bundeshauptstadt schon immer auch ein richtiger Schmelztiegel der Kulturen gewesen. Und ein Blick auf die Namenschilder an den Haustüren zeigt sehr schnell, dass viele Menschen hier leben, die wohl ursprünglich eine andere Herkunft gehabt haben.
Aber ich muss ja gar nicht in die Ferne schweifen. An der Haustür des Pfarrhauses lese ich den Namen Tikkanen-Lippl. Liebe Anne, du bist aus dem schönen Finnland zu uns gekommen. Was hat dich denn dazu veranlasst, deinem alten Zuhause Adieu zu sagen?
Ja lieber Markus, das stimmt, auch ich bin eine Migrantin, eine Zugezogene, eine Ausländerin. Und gleichzeitig kann ich mich nicht mit der Heiligen Familie auf der Flucht nach Ägypten vergleichen, auch nicht mit den vielen Menschen, die wegen Krieg oder Verfolgung ihre Heimat verlassen müssen und deshalb ein neues Zuhause bei uns (oder anderswo) suchen. Ich habe mein Heimatland nicht verlassen, weil ich es musste, sondern weil ich es wollte.
Ursprünglich wollte ich nach der Matura einfach Welt sehen, Erfahrungen im Ausland sammeln, Deutsch lernen, das Leben genießen, und bin als Aupair nach Wien gekommen. Der Plan war eigentlich, nur ein Jahr zu bleiben und dann wieder zurückzukehren und mit dem Theologiestudium in Helsinki zu beginnen. Doch im Leben kommt vieles anders, als man oder frau so denkt.
Ich habe mich in Wien pudelwohl gefühlt, habe Freunde gefunden – und ein neues Zuhause. Im nächsten Jahr habe ich angefangen, Theologie hier zu studieren, nicht in Helsinki. Aus einem Jahr wurden 2 und so weiter. Und irgendwann lernte ich meinen Mann kennen – und lieben.
Jetzt bin ich schon seit fast 30 Jahren hier, habe einen österreichischen Mann und zwei schon große Söhne. Österreich ist mein Zuhause geworden, doch Finnland ist immer noch meine geliebte Heimat. Und nicht nur für mich, sondern auch für meine Söhne, die fließend zwei Sprachen sprechen und zwei Nationalitäten haben. Auch mein Mann hat an Finnland eine zweite Heimat gefunden.
Es ist ein großer Reichtum, in zwei Ländern zu Hause und verwurzelt zu sein. Ich sage immer, ich habe hier auf Erden zwei Heimaten, und das trifft auch auf meinen Glauben zu. Ich bin Bürgerin zweier Welten, und dafür bin ich unendlich dankbar.
II
Neue Welten, neue Länder und Städte zu entdecken und sich dann auch noch zu verlieben – das ist natürlich der schönste und beste Grund, um sich auf den Weg zu machen.
Lieber Martin, wir unterrichten beide in der gleichen Schule und haben uns da auch mit diesem Thema beschäftigt. Du hast ja deine Schülerinnen und Schüler gebeten, sich bei diesem Thema zu beteiligen.
Wir beide unterrichten Religion am Sportgymnasium Maria Enzersdorf, und ich bin dort sehr gerne Lehrer. Manche sagen über unsere Schule, dort trifft sich “Reich und Schön” und da ist etwas Wahres dran. Mein Sohn hat mich auf einen Film über zwei syrische Leistungsschwimmerinnen aufmerksam gemacht, die 2015 ihr Land verlassen mussten und letztendlich unter Lebensgefahr nach Deutschland gekommen sind. Diesen Film habe ich gezeigt und er hat uns sehr beeindruckt. Am Ende habe ich mich gefragt, ob es eine Verbindung geben könnte zwischen dieser Fluchtgeschichte und der Lebenswelt meiner Schülerinnen. Da hatte ich die Idee, sie nach Migrationserfahrungen in ihren Familien zu fragen und ermutigte sie, ihre Verwandten nach Erfahrungen und Erinnerungen zu befragen.
Jetzt sind in der Adventszeit eine wirklich beachtliche Zahl an Herkunftsgeschichten bei uns in der Schule zu bestaunen gewesen. Welche hat denn dich am meisten berührt?
Eine Schülerin hat über ihren Großvater geschrieben, der nach er iranischen Revolution zunächst nach Österreich gekommen war, ihre Großmutter kennen lernte aber dann beschloss, wieder zurückzukehren, weil er sich für politische Veränderung im Iran einsetzen wollte. Seit damals haben sie nichts mehr von ihm gehört...
Martin, du bist ja nicht nur Theologe, sondern auch Therapeut. Was hat dich denn aus diesen professionellen Sichtweisen an den Herkunftsgeschichten der Schülerinnen und Schüler besonders bewegt bzw. Interessiert?
Es war schön zu sehen, wie einige sich für die Geschichte ihrer Familie begeistern konnten, es gab einige ausführliche Telefonate – gleich während der Religionsstunde mit Großeltern, die gerne und ausführlich erzählt haben. Ein Mädchen kam nach so einem Telefonat mit leuchtenden Augen zu mir und sagt mit Entschlossenheit: Ich bin eine Prinzessin! Ihre Großmutter hatte die Gelegenheit genutzt, ihr von ihrer adeligen Abstammung zu erzählen, davor hatte sie das noch nicht gewusst. Ich bin davon überzeugt, dass die Verbundenheit mit der eigenen Herkunftsgeschichte für jeden Menschen wichtig ist.
III
Gnade sei mit euch und Friede von Gott und unserem Herrn Jesus Christus. Amen
Hört die Worte aus dem Johannesevangelium, aus dem ersten Kapitel:
Joh.1,1.10-14
Von Anfang an gab es den, der das Wort ist.
Er, das Wort, gehörte zu Gott.
Und er, das Wort, war Gott in allem gleich.
Er, das Wort, war schon immer in der Welt.
Die Welt ist ja durch ihn entstanden.
Aber sie erkannte ihn nicht.
Er kam in die Welt, die ihm gehört.
Aber die Menschen dort nahmen ihn nicht auf.
Aber denen, die ihn aufnahmen,
verlieh er das Recht, Kinder Gottes zu werden.
– Das sind alle, die an ihn glauben. –
Kinder Gottes wurden sie nicht durch ihre Abstammung.
Sie wurden es auch nicht, weil ein Mensch es wollte
oder weil sie einen Mann zum Vater haben.
Kinder Gottes wurden sie allein dadurch,
dass Gott ihnen das wahre Leben schenkte.
Das Wort Gottes ist Mensch geworden
Er, das Wort, wurde ein Mensch.
Er lebte bei uns, und wir sahen seine Herrlichkeit.
Es war die Herrlichkeit,
die ihm der Vater gegeben hat –
ihm, seinem einzigen Sohn.
Er war ganz erfüllt von Gottes Gnade und Wahrheit.
Liebe Schwestern und Brüder,
jede große Reise, auch ein Weg von 1000 Meilen beginnt mit dem ersten Schritt. Aber bis dorthin, bis dieser Schritt gemacht wird, muss so einiges passieren. Ein paar Beispiele haben wir schon gehört: da ist der Wunsch nach der großen Welt, nach einer neuen Sprache und einer anderen Kultur. Dieser Wunsch kann sich auch wieder verändern, und wieder in die Heimat zurückführen, um dort die Welt zu verändern. Und natürlich kann es auch ein Krieg sein oder die Angst um das eigene Leben, die es nötig macht, aufzubrechen. Manche lassen dafür wirklich alles zurück, sogar ihr Prinzessinnen-sein.
Auch Weihnachten bringt viele Menschen in Bewegung. Da kommt die Familie aus allen Ecken der Welt zusammen, um unter dem Christbaum einträchtig zu singen. Oder das ganze Gegenteil: manche fliehen auch für diesem Übermaß an Harmonie und Familienidylle und können gar nicht weit genug weg sein zu diesem Fest.
Auch die Hirten in der Heiligen Nacht machen sich auf den Weg. Sie können gar nicht glauben, was sie da gehört und gesehen haben. Ausgerechnet ihnen ist ein Engel erschienen. Ausgerechnet sie haben als erstes erfahren, dass der Heiland, der Retter der Welt geboren worden ist. Aber nicht in einem Palast, sondern in einem Stall. Nicht groß und mächtig, sondern klein und hilflos. Ein Kind wie du und ich – und es wird die Welt verändern. Und so machen sie sich auf den Weg nach Bethlehem und ich könnte mir vorstellen, dass sie dabei ganz hoffnungsfroh diese Zeilen gesungen haben: „Weil Gott in tiefster Nacht erschienen, kann unser Nacht nicht traurig sein!“
Feiern wir gerade deshalb Weihnachten? Und wenn ja, warum bereite ich mich dann Monate vorher auf dieses Fest so intensiv vor?
Das ist doch so. Zu keinem anderen kirchlichen Fest gibt es so umfassende Vorbereitungen. Zu keinem anderen Fest gibt es so viele verbindende Traditionen. Manche sind geliebt und manche auch gefürchtet. Aber eins ist sicher: zu Weihnachten werden ganz viele Erinnerungen wach. So wie es früher war, so schön soll es auch in diesem Jahr wieder werden. Friedlich, harmonisch, festlich.
Ganz besonders ist dieses Fest natürlich, wenn die Augen kleiner Kinder ganz groß werden unter dem Christbaum und mit den Kerzen und Sternspritzern um die Wette leuchten. Sehnsucht keimt auf. Es ist eine Sehnsucht nach Liebe, eine Sehnsucht nach Geborgenheit, eine Sehnsucht nach einem erfüllten Leben.
„Weil Gott in tiefster Nacht erschienen …“ Das ist für mich ein unglaublicher Hoffnungssatz. Ich bin nicht alleingelassen mit dem, was das Leben für mich bereithält. Gott sucht meine Nähe, er spürt mich auf.
Gott ist in tiefster Nacht erschienen. Er verlässt seine himmlische Heimat, um Mensch zu sein. Er macht den ersten Schritt, weil er merkt, dass wir ihn ganz nahe bei uns brauchen. Er verlässt seine Komfortzone im Himmel, um mir zu sagen: „Du bist mir wichtig!“
Gott hat nicht gefragt, ob es passt, ob es jetzt passt oder lieber später. Er, das Wort, ist einfach gekommen. Gekommen auf eigenes Risiko. In eine Welt, die ihn zuerst nicht erkannt und ihn dann nicht aufgenommen hat.
Gott kommt in eine Welt, die sehnsüchtig auf die Erfüllung vieler Hoffnungen wartet, aber immer wieder an sich selbst und den eigenen Wünschen, Hoffnungen und Vorstellungen scheitert. Gott war sich nicht zu schade, gerade dorthin zu kommen, wo kein Bett und keine Zimmer für ihn bereitet war.
Gott kommt, weil er Sehnsucht nach uns Menschen hat. Gott kommt, weil er uns liebhat. Weil wir seine Kinder sind.
Seine Nähe will mich wärmen. Seine Kraft möchte mich stärken. Sein Licht will für mich leuchten, nicht nur an dunklen Tagen und Nächten.
Für Gott gibt es keine hoffnungslosen Fälle. Ich bin ihm wichtig und wertvoll, und deshalb gibt er mich nicht auf. Er nimmt die eigene Heimatlosigkeit in Kauf, um mir nahe zu sein. Er setzt sich Ablehnung, Verfolgung und Gewalt aus, weil er weiß, dass ich dieses Zeichen seiner Liebe brauche, um verstehen zu können. Oder um es mit den letzten Worten unseres Liedes zu sagen „Weil Gott in tiefster Nacht erschienen, kann unsre Nacht nicht endlos sein.“
Weihnachten macht mir Mut. Und es ist soviel mehr als nur ein Familienfest unter dem Christbaum. Weihnachten verspricht: Gott will mich. Im Guten und im Schlechten, in Freud und Leid. Er will die Finnin, die auf ihrem Weg ins Abenteuer Liebe und neue Heimat findet. Er will den Iraner, der seine Liebe zurücklässt, um seine alte Heimat zu retten. Er liebt die Prinzessin, die alles Hab und Gut aufgeben muss, um zu überleben.
Er liebt dich und mich, alle Menschen und macht uns in Jesus Christus zu seinen Kindern. Egal, wo wir herkommen. Egal, wo wir sind. Egal, wohin wir gehen.
„Weil Gott in tiefster Nacht erschienen, kann unsre Nacht nicht endlos sein.“
Amen
Es gilt das gesprochene Wort.
Marco Uschmann, Pfarrer für Öffentlichkeitsarbeit
Evangelische Kirche in Österreich
Leiter des Amtes für Hörfunk und Fernsehen
Telefon: +43 699 188 77 045
marco.uschmann@evang.at