Mikroabenteuer
Pfarrerin Dr. Stefanie Schardien
18.07.2020 23:50

Das Wort zum Sonntag

spricht Stefanie Schardien, Fürth

Sendedatum: Samstag, 18.07.2020, 23:50 – 23:55 Uhr, im Ersten

Eigentlich verrückt: Da waren wir so viel zuhause in den letzten Wochen und Monaten, aber Erholung fühlt sich anders an: Unsere Gemeindesekretärin erzählt mir: "Ich konnte nicht mal lesen. Ständig war ich mit den Gedanken woanders." Von vielen höre ich: "Ich merke jetzt erst, wie mich das alles gestresst hat. Ich hab irgendwie für nix anderes mehr Energie." Und bei mir?  

Mich hat diese Daueranspannung auch ziemlich mürbe gemacht. Urlaubsreif. Im März dachte ich noch: Ach, im Sommer erholen wir uns alle, da sind wir mit Corona durch. Und ich stellte mir vor: Mein Lieblingslied - Das singen wir dann diesmal doppelt so fröhlich in der Kirche. Ob sie’s glauben oder nicht. Ich sing von Herzen gern "Geh aus mein Herz und suche Freud in dieser lieben Sommerzeit", ein tolles altes Lied von Paul Gerhardt. Also: ich habe auch viele moderne Lieblingslieder, aber eben auch "Geh aus mein Herz"…Vor ein paar Wochen hatte ich das Gefühl: Dieses Jahr taugt Paul Gerhardt einfach nicht. Weil die Anspannung geblieben ist. Und die Furcht vor der nächsten Welle oder dass ein Kind beim ersten Nieser wieder zuhause bleiben muss. All das schleppe ich weiter mit mir rum.  

Manch andere haben noch viel mehr zu schleppen: Freunde haben ihre Urlaubstage schon komplett fürs Homeschooling verbraucht, andere sind einfach pleite wegen Corona. Nichts mit: Geh aus und suche die Freude. Und auch bei den Ballermann-Touristen, die auf sorglos machen wollten, klappt das nicht. Schluss mit gefährlichen Parties. Ballermann zu, Masken auf.

Wie tanke ich also auf in diesem seltsamen Sommer? Geh aus mein Herz und suche Freud. Dieses Lied klingt viel zu positiv, viel zu naiv! Aber nur wenn man nicht weiß, wann es geschrieben wurde. 17. Jahrhundert. 30 Jahre Krieg. Vergewaltigungen, Plünderungen, Millionen sterben. In jedem Dorf, in jeder Stadt. Keine Sicherheit. Und dann schreibt Paul Gerhardt von der schönen Sommerzeit. Und von der Suche nach der "Freude an deines Gottes Gaben". Strophenlang schickt er sein Herz auf Entdeckungsreise nach draußen. Und ich hab es dann auch mal ausprobiert, Gerhardts Erholungskonzept. Genau hinschauen, hinhören: Blumen, Wasser, Bienen, Bäume im vollen Laub. Und sich daran freuen, was einfach so vor uns liegt. Und dabei auftanken.

Passt super zu diesem Sommer mit Schatten. Und ich bin nicht allein damit. Viele gehen auf einmal unspektakulär raus in die Natur – übrigens ohne andere zu gefährden… Wandern, radeln, paddeln. Mikroabenteuer sagt man dazu heute. Paul Gerhardt-Plan heißt das bei mir. Aber egal wie wir es nennen: Wichtig ist, was dabei passiert. Dass die Seele sich erholt, weil solche Mikroabenteuer die Dauerschleife an düsteren Gedanken unterbrechen.

Erholung meinte früher "gesund werden", heil werden. Paul Gerhardt hat entdeckt: Was die Seele heilt, ist die Unterbrechung. Oder wohl noch besser: das Unterbrochen werden durch diese wunderbare Schöpfung, die mir quasi frei Haus zu Füßen gelegt wird. Das ist für mich ein Dauergeschenk Gottes. Mein Blick wird abgelenkt von mir selbst zu den anderen kleinen und großen Geschöpfen und vor allem zum Himmel hin. Dann reicht es auch wieder mit der Energie für andere und anderes.

Schicken Sie Ihr Herz jetzt also möglichst oft zum Ausgehen in dieser lieben Sommerzeit - und erholen sie sich gut. Ich wünsche Ihnen allen eine gesegnete Nacht.

 

Sendeort und Mitwirkende

Bayerischer Rundfunk

Das Wort zum Sonntag