Es ist wie Feuer

Feuerflammen

Gemeinfrei via unsplash/ Edgar Chaparro

Es ist wie Feuer
Wenn Religion gefährlich wird
23.05.2021 - 08:35
20.05.2021
Jörg Machel
Über die Sendung:

"Am Sonntagmorgen" im Deutschlandfunk zum Nachhören und Nachlesen

 
Sendung nachhören

 

Die Religionen stehen nicht in gutem Ruf zur Zeit. Am heutigen Pfingsttag, dem Gründungstag der Kirche gewissermaßen, ist hierzulande ein enormer Bedeutungsverlust zu konstatieren. Beide großen Kirchen scheinen mehr mit sich selbst beschäftigt, als dass sie inspirierend nach außen wirken. Da ist viel Asche, wenig Feuer. Dort aber, wo Religion lebendig ist, wo die Glut heiß ist und zu entzünden vermag, ist sie oft gefährlich ambivalent. Auf der Landkarte der Religionen liegen Himmel und Hölle dicht beieinander. Religionen versprechen Segen, für viele aber werden sie zum Fluch. Und zwar gerade dann, wenn sie leidenschaftlich sind, wenn sie brennen.

 

Jesu öffentliches Wirken startet sanft und versöhnlich, eindrucksvoll durchaus, aber ohne alle Schärfe:

Zu der Zeit kam Jesus aus Galiläa an den Jordan zu Johannes, dass er sich von ihm taufen ließe. Aber Johannes wehrte ihm und sprach: Ich bedarf dessen, dass ich von dir getauft werde, und du kommst zu mir? Jesus aber antwortete und sprach zu ihm: Lass es jetzt geschehen! Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Da ließ er's geschehen. Und als Jesus getauft war, stieg er alsbald herauf aus dem Wasser. Und siehe, da tat sich ihm der Himmel auf, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube herabfahren und über sich kommen. Und siehe, eine Stimme vom Himmel herab sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. (Matthäus 3,13-17)
 

Wenn es so war, dann ist etwas Außergewöhnliches passiert. Dann nämlich hat ein großer Mensch verstanden, dass seine Zeit vorüber ist, hat sich nicht an die Macht geklammert und an seinen Einfluss, sondern hat akzeptiert: Meine Zeit ist vorbei, ich trete ab, ein Besserer ist da, folgt ihm nach und lasst mich ziehen.

Historiker bezweifeln diese Variante. Sie halten es für wahrscheinlicher, dass mit dieser Geschichte der Mantel der Harmonie über einen schmerzlichen und spannungsreichen Prozess der Ablösung gebreitet wurde. Das Konzept des Johannes und das Konzept Jesu sind ja nicht zwei Wege, die ineinander münden. Die Ansätze scheinen vielmehr konträr zu sein, sich in gewissem Sinne sogar auszuschließen. Einig sind sich Johannes und Jesus, was die Analyse angeht, sie sehen die Welt am Scheideweg. Es wird nicht weitergehen wie bisher. Das Recht wird mit Füßen getreten. Die Römer missachten die Rechte der Menschen und die Mächtigen des Volkes Israel handeln nur zum eigenen Vorteil. Sie kollaborieren mit den Besatzern, wann immer es ihnen nützlich erscheint. Die Religion hatte ihre Kraft verloren. Zwischen blinder Buchstabenfrömmigkeit und laxer Beliebigkeit hatte man sich eingerichtet. Herausführen aus dieser Katastrophe sollen beide Wege. Radikal klingen die Visionen des Johannes, feurig ist seine Rede, entschlossen predigt er den Umsturz:

Ihr Otterngezücht, wer hat euch gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet? Seht zu, bringt rechtschaffene Früchte der Buße; und nehmt euch nicht vor zu sagen: Wir haben Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott kann dem Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken. Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt; jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen. (Lukas 3,7-9)
 

Diese Worte fallen auf fruchtbaren Boden bei vielen Verzweifelten und Suchenden seiner Zeit. Das Konzept des Johannes ist stimmig. Er lebt in der Wüste, ernährt sich nur von dem, was die karge Landschaft zu bieten hat, von Wurzeln, wildem Honig, von Insekten. Er kleidet sich mit einem rauen Kamelhaarmantel und verabscheut das luxuriöse Leben in den Städten.

Ich bin an die Gottesmänner in Afghanistan erinnert, wenn ich mir Johannes anschaue, auch äußerlich hätte man ihn von einem der Mujaheddin nur schwer unterscheiden können. Ich sehe Bin Laden vor mir und denke an das Ende des Täufers, an seine Enthauptung als Staatsfeind und Aufrührer.

Ja, auch Johannes hatte etwas Unbarmherziges in seiner Botschaft. Es ist nachvollziehbar, dass er den Mächtigen nicht nur auf die Nerven ging, sondern von ihnen als echte Gefahr angesehen wurde. Mein Empfinden Johannes gegenüber ist ambivalent. Ich lasse mich beeindrucken von der Schlüssigkeit seiner Entscheidungen. Was er sagt und was er tut, stimmt überein. Wie er über die Welt redet, so empfinde ich sie auch: als korrupt und als gnadenlos gegenüber den Schwachen. Ich kenne diese Träume vom radikalen Umsturz, diesen Ruf nach der Axt, mit der die morschen Balken einer verkommenen Welt zerschlagen werden müssten.

 

Aber ich kenne auch die Folgen dieses Wunsches, wann immer er umgesetzt wurde. Zwar wurden Balken zerschlagen, aber sie begruben am Ende dann doch wieder Menschen unter sich und richteten viel Leid an. Und jene, die die Axt führten, waren bald nicht mehr zu unterscheiden von denen, die sie doch überwinden wollten. Ob jemand aus Machtgier wütet oder aus dem Willen etwas zum Guten zu wenden, interessiert die Leidtragenden wenig. Und es zeigt sich, dass sich die guten Vorsätze und die eigenen Interessen sehr schnell mischen. Auch der Machthungrige versteckt sich gern hinter Idealen und beim Idealisten verbinden sich große Ziele schnell auch mit niedrigen Motiven. Der Weg Jesu war ein anderer. 
 

Ihr habt gehört, dass gesagt ist: »Du sollst deinen Nächsten lieben« (3. Mose 19,18) und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, auf dass ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Denn wenn ihr liebt, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? Tun nicht dasselbe auch die Zöllner? Und wenn ihr nur zu euren Brüdern freundlich seid, was tut ihr Besonderes? Tun nicht dasselbe auch die Heiden? Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist. (Matthäus 5,43-48)
 

Auch Jesus will die Welt radikal neu, auch er findet sich nicht ab mit den Zuständen und kritisiert sie in aller Schärfe. Selbst vor einem Gewaltausbruch schreckt er nicht zurück, als er das Geschachere und Gefeilsche im Tempel erlebt. Und doch unterscheidet er sich von Johannes fundamental. Den entscheidenden Unterschied markiert die Einsicht Jesu, dass der Vater im Himmel die Sonne scheinen lässt über Böse und Gute und dass er es regnen lässt über Gerechte und Ungerechte (Matthäus 5,45). 
Diese Einsicht schützt vor den fundamentalen Entgleisungen, die der Ansatz des Johannes immer wieder nach sich zieht. Niemand darf sich zum Vollstrecker der göttlichen Gerechtigkeit aufschwingen, wo Gott selbst doch so viel Zurückhaltung übt – das ist die erste fundamentale Einsicht.

Die zweite, tröstliche Botschaft liegt darin, dass uns selbst ebenfalls ein Lebensrecht eingeräumt wird, obwohl wir doch auch immer wieder böse sind und ungerecht.

Ich erinnere noch einmal an den Ausgangspunkt, an die Versöhnung zwischen Johannes und Jesus. Vielleicht liegt ja darin die Botschaft, diese gegensätzlichen Wege in uns selbst zur Versöhnung zu bringen. Die fundamentale Empörung über das Unrecht auf der Welt, diesen Zorn, der zerschlagen und auslöschen will. Und die Einsicht in unsere eigene Fehlbarkeit, die auch im ärgsten Feind noch das eigene Antlitz zu erkennen vermag.  Martin Luther bringt es auf den Punkt: Wir Menschen sind simul iustus et peccator, das heißt, wir sind Gerechte und Sünder, beides zugleich. 
In einem sind sich die Taliban in Afghanistan und evangelikale Fundamentalisten in den USA einig: die Bösen sind die anderen. Und beiden Seiten liefert der behauptete Gegensatz der Religionen Argumente, um das eigene Handeln zu rechtfertigen. Bis in liberale Kreise hinein hält sich das Bild vom sanften Christentum und vom gewalttätigen Islam, das aber ist Kriegsrhetorik. So wie Christen durch islamistische Prediger gern als Kreuzzügler diffamiert werden. Beides ist falsch, so falsch wie es war, das Judentum als die Religion des Gesetzes und das Christentum als die Religion der Liebe zu charakterisieren. Vielmehr trägt jede Religion beide Aspekte in sich, und jeder Gläubige hat sich zu entscheiden, in welchen Strom er eintauchen will.

Ich will den Zorn nicht weg reden. Weder den Zorn, der Idealisten treibt, sich gegen eine Welt voller Ungerechtigkeit zur Wehr zu setzen, noch den Zorn derer, die unter dem Terror verblendeter Extremisten leiden. Es gibt viele Gründe zur Axt zu greifen und abzuhacken, was morsch und verdorben ist. Dagegen aber steht das versöhnende Wort Jesu, das daran erinnert: die Kraft der Liebe vermag diesen Zorn zu verwandeln. Dagegen steht auch ein Islam, der sich an diesen Sätzen des Koran orientiert: 
 

Nicht gleich sind die gute und die schlechte Tat. Wehre ab mit einer Tat, die besser ist, da wird der, zwischen dem und dir eine Feindschaft besteht, so, als wäre er ein warmherziger Freund. (Sure 41,34) 
Wenn einer jemanden tötet, … so ist es, als hätte er die Menschen alle getötet. Und wenn jemand ihn am Leben erhält, so ist es, als hätte er die Menschen alle am Leben erhalten.

(Sure 5,32)
 

Der Versuch, das Böse auszumerzen, wird das Gute nicht hervorbringen können. Vielmehr werden die Kämpfer für Recht und Gerechtigkeit selbst infiziert und ununterscheidbar von denen, die sie aus gutem Grund zu vernichten meinten. Auch der Apostel Paulus war ein Eiferer nach Art des Johannes. In den Jesusanhängern sah er eine Bedrohung für seine Religion und sein festgefügtes Weltbild. Er verfolgte die Christen, wollte sie auslöschen. Eine Vision, in der ihm der auferstandene Jesus begegnete, wurde für ihn zum Wendepunkt. Nun konnte er sagen: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ Vielleicht der einzige Weg, der zum wirklichen Frieden führt.

Wenn die Welt ihre Angst und ihren Hass überwindet, werden es die Extremisten und Fundamentalisten aller Lager schwer haben, Gefolgsleute zu finden. Die Flammenzungen über den Häuptern der Apostel stehen für Erleuchtung, nicht für Brandstiftung.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Musik dieser Sendung:
 

  1. Ozzy Osborne, Fire, CD-Titel: Prince of Darkness
  2. Orchester Ambros Seelos/ Ambros Seelos, Fire, CD-Titel: 70 Jahre Ambros Seelos
  3. Johnny Cash, Ring of Fire, CD-Titel: Johnny Cash and the Royal Philarmonic Orchestra
20.05.2021
Jörg Machel