Licht ist dein Kleid

Am Sonntagmorgen
Licht ist dein Kleid
Anziehend Angezogenes in der Bibel
25.10.2015 - 08:35
26.06.2015
Pfarrerin Gabriele Herbst

Es ist schwarz. Mein Konfirmationskostüm. Ich trage es mit Widerwillen. Dünn und schlaksig, wie ich bin, hängt es traurig an mir herum. Niemals vorher bin ich in ein solches Outfit geschlüpft. Aber nun verlangt es die Kleiderordnung jenes Dorfes, in dem ich mein eigenes Ja zum Christsein geben soll. Es ist das Jahr 1961. Mein Vater ist der Pfarrer, der mir dieses Ja in der großen, neoromanischen Kirche abnimmt. Natürlich im schwarzen Talar. Er ist zu erwachsen und zu beschäftigt, um zu spüren, wie verloren ich vor dem Altar knie. Wie ich mich dem Segen jenes Gottes nicht öffnen kann, dessen Angesicht doch leuchtend, lichtvoll und liebevoll über mir aufgehen will.

 

„Lobe den Herrn, meine Seele! Herr, mein Gott, du bist sehr herrlich, du bist schön und prächtig geschmückt. Licht ist dein Kleid, das du anhast.“ (Psalm 104, 1 und 2)

 

Besonders dieser Vers aus Psalm 104 wird für mich als Jugendliche zu einem modischen Aha – Erlebnis. Gott trägt ein Kleid aus Licht, ein schönes Kleid, ein herrliches Kleid. Was für eine befreiende Nachricht . Wenn ER schön sein darf – dann doch auch ich. Oder nicht?

Ich bin schon als Jugendliche eine suchende, eifrige Bibelleserin. Ich brauche Argumente für die sozialistische Oberschule in der DDR. Mitschüler und Lehrer fragen mich häufig nach meinem christlichen Glauben. Kirche setzen sie, zu meiner Scham, mit Prüderie und Farblosigkeit gleich.

 

„Ich freue mich im Herrn und meine Seele ist fröhlich in meinem Geist; denn er hat mir die Kleider des Heils angezogen und mit dem Mantel der Gerechtigkeit gekleidet wie einen Bräutigam und eine Braut, die in ihrem Geschmeide prangt.“ (Jes. 61,10)

 

Worte des Propheten Jesaja: wie Musik, wie Farbtupfer auf eine graue Leinwand. Sie stimmen meine Seele fröhlich, aber auch aufmüpfig. Kurz vor meinem Abitur, an einem Karfreitag, ziehe ich meine selbstgenähte knallrote Wolltuchjacke an. „So willst du in die Kirche?“ mein Vater ist entsetzt. Ich entgegne ihm selbstbewusst: Ostern war doch schon!

Mein Vater und ich haben diesen Gottesdienst niemals vergessen. Kurz vor seinem Tod kommt er noch einmal auf diese knallrote Jacke zurück. Du hast mich oft bis zur Weißglut gebracht, erinnert er sich.

Aber wo nichts glüht, ist es auch nicht warm.

Wie Recht er damit hat. Im Blick auf unser Verhältnis zueinander und im Blick auf mein Verhältnis zu Gott und dem christlichen Glauben. Es ist warm geworden und bis heute warm geblieben. Auch, weil ich nach und nach die Kleider anlegte, die zu mir und meiner Art zu glauben passen.

 

Kleidung und Mode sind ein wichtiges Thema für die meisten Menschen, früher und heute. Das Bedürfnis, sich schön zu machen, seinem Wesen Ausdruck zu verleihen – auch durch das, was man anzieht – das findet sich in allen Kulturen, in allen sozialen Schichten.

Bei kleinen Kindern oder bei Menschengruppen, die fernab von der Zivilisation leben, kann man spüren, wie viel kreative Energie aufgebracht wird, um sich zu schmücken, ein Kleid zu entwerfen, einen Schmuck zu kreieren. Bekleidung ist immer auch Botschaft: So bin ich. Ich möchte, dass Du mich wahrnimmst. Ich möchte schön für Dich sein.

Die christlichen Kirchen haben dieses Bedürfnis nach Schönheit immer wieder mit dem Beigeschmack von Eitelkeit, Selbstsucht und Unglauben versehen. Gerade erst hörte ich eine junge Pfarrerin in einer Predigt sagen, dass sie am Sonntagmorgen einen Kampf mit ihrem Spiegel geführt habe. Darf ich im Gottesdienst Ohrringe anlegen oder nicht? Darf ich meine Lippen schminken, oder soll ich das lieber bleiben lassen? Sie hatte sich gegen die Ohrringe und gegen Lippenrot entschieden.

„Weil Gott uns dient mit Wort und Sakrament, sollen wir ihm im Gottesdienst dienen mit Gebet und Lobgesang“, lese ich bei Luther in seiner Torgauer Kirchweihpredigt von 1544. Und ich frage mich: Stören bei solchem Lobgesang Ohrringe und rote Lippen? Muss der Lobgesang für Gott, der selbst herrliche Lichtkleider trägt, primär schwarz oder gedeckt farbig erklingen? Muss das Christentum immer so ungemütlich sein, wie es ein Modejournalist unserer Tage ausdrückt? (1)

 

„Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid ?“ – „Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid?“ (1. Kor. 3,16 )

 

Ich habe oft in tansanischen Gottesdiensten gepredigt. Es ist atemberaubend, wie festlich, bunt und witzig gekleidet die Menschen dort in die Kirche kommen. Viele wohnen in einfachsten Verhältnissen. Morgens kommen sie aus Hochlandkälte und Staub in den Gottesdienst und tragen ihre schönsten Kleider und Anzüge. Es ist eine Pracht. Der Sonntag ist der Tag der SCHÖNHEIT, der Tag der guten Nachrichten, des Zusammenkommens, des Singens, Lobens und Betens. Hier bin ich, Gott! Ich habe mich schön gemacht, für mich, meinen Nachbarn, aber auch für Dich. Kannst du das sehen? Lass den Tag zum Fest werden! Lass mich Dein Tempel sein, Dein geschmücktes Haus, in dem wir ein Fest der Unterbrechung vom Alltag feiern. Morgen erst geht der Alltag wieder los. Er kann schwer genug sein. Lass uns heute zusammen Kraft schöpfen für morgen.

 

Die Kirchen Afrikas inspirieren mich. Die Christen dort loben durch ihre Musik und ihre Art, sich schön zu machen, Gott. Den Gott, der dem Menschen, bevor er ihn aus dem Paradies vertrieb, selbst Röcke aus Fellen machte. Er soll nicht nackt in die Welt, er soll nicht frieren in der Fremde. Es ist Gott nicht gleichgültig, wie seine Menschen gekleidet sind.

Zuhause in Magdeburg besuche ich zwei Frauen, die auf sehr unterschiedliche Weise mit Mode zu tun haben: Margrit, eine Ärztin und ehemalige evangelische Ordensschwester – und Anke, eine junge Modemacherin in ihrem Atelier.

Margrit trug als Ordensschwester viele Jahre ihre Ordenstracht. Sie antwortet auf meine Frage, was Mode für sie bedeutet, ohne langes Überlegen:

 

„Kleidung, Mode ist für mich auf jeden Fall eine Möglichkeit, Unterschiedliches von mir zu zeigen, … normalerweise ist ein Hauptkriterium, ob ich damit Fahrrad fahren kann. … ich finde es auch schön, an besonderen Tagen auch mal was anzuziehen, was ich nicht jeden Tag anziehe. Dass es dafür auch Kleidung gibt, die eine andere Atmosphäre mir schafft, wenn ich sie anziehe…“

 

Ein Thema, das für sie kein Thema war – solange sie die einheitliche Tracht der evangelischen Schwestern trägt. Aber auch in dieser Zeit ist nicht gleichgültig, was sie trägt:

 

„Wenn du Tracht trägst und dich außerhalb deiner eigenen Ordensgemeinschaft bewegst, fällst du immer auf, du siehst immer anders aus als die anderen. Das hat einerseits was Erleichterndes, Du musst dir nämlich nicht die Gedanken machen, bist du jetzt gerade richtig angezogen oder nicht… andererseits bist du aber auch immer in ner besonderen Form in der Aufmerksamkeit, was manchmal für mich auch was Belastendes war und manchmal sicher auch ne Distanz zu anderen Menschen bewirkt hat. Mir ist es nicht schwer gefallen, Tracht zu tragen, aber ich merke, dass ich mich heute ohne Tracht, unbekümmerter bewegen kann. Ich fall nicht mehr so auf. Und das gibt mir auch wieder ein Stück mehr von Freiheit. Gleichzeitig ist es für mich wie für jede andere Person die Frage, was drücke ich mit meiner Kleidung aus, da gibt es keine automatische Antwort mehr, sondern ich muss mich auch täglich darum ein Stück mühen.“

 

Die Modemacherin Anke arbeitet in ihrem Atelier. Sie entwirft und fertigt Mode für Frauen – jeden Alters, jeder Figur und jeder Lebenssituation – um sie damit strahlender und lebendiger zu machen.

 

„Also für mich ist Mode Ausdruck dessen, wie ich mich fühle. Und ich finde, Mode verstärkt… wie einem ist, an dem jeweiligen Tag. Sie verschönert. Und unterstützt und … sie ist einfach Ausdruck unseres Seins. Und sie ist Ausdruck … unserer Gefühle, unserer Stimmungen und daher denke ich, dass in der Beziehung Kleider auch Leute machen, weil sie einfach das Selbstwertgefühl stärken und wir dann dadurch auch stärker rüberkommen.“

 

Wir drei Frauen sind uns einig. Wir möchten mit unserer Kleidung ausdrücken, wer wir sind. Was wir fühlen, was wir glauben. Egal ob mit oder ohne Tracht. Wir möchten schön und glaubhaft sein dürfen, auch mit Unvollkommenheiten und Versehrtheiten. Wir möchten uns unseres Körpers freuen – weil Gott den Menschen wunderbar gemacht hat, als seinen Tempel, dem Haus, in dem ER gerne wohnen will.

 

„Ziehet den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist, in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit.“ (Eph. 4,24)

 

Gerechtigkeit, Frieden und Heiligkeit können sich bunt und laut gebärden. Gottes Schönheit leuchtet nicht nur im Unauffälligen auf, im Verzicht, im Leisen, im eintönigen Mausgrau und Schwarz. Und mein Glaube an ihn auch nicht. Es gibt eine Menge biblischer Texte, die davon erzählen, welche wunderbaren Anziehsachen Gott seinen Menschen zugedacht hat: hochzeitliche Kleider, Kleider die so schön sind wie die Lilien auf dem Felde. Kleider die man geschenkt bekommt, wenn einem das Leben misslang und man es wieder auf eine gute Spur bringen möchte, wie ein verlorener Sohn oder eine verlorene Tochter. Von weißen Kleidern ist die Rede und vom Overall der Liebe, den man sommers wie winters überwerfen sollte. Er ist das Schönste unter allen Kleidungsstücken. Schöner noch als ein Glaubensmantel oder ein Hoffnungsblazer.

Und der schwarze Talar, die Amtskleidung evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer? Schon vor Jahrzehnten habe ich ihn gegen einen weißen eingetauscht. Ich habe ihn erleichtert mit Zustimmung einer offenen Kirche und Gemeindeleitung abgelegt, wie das schwarze Konfirmationskostüm meiner Kindheit. Anke, die Modedesignerin, versteht das gut:

 

„Ich finde Schwarz nicht gut… Also ich würde zum Beispiel an ein schönes, leuchtendes Grün denken. Grün ist die Hoffnung… Grün bedeutet Leben und würde finde ich doch viel mehr zur Kirche passen.“

 

Und Margit, die Ordensschwester?

„Ich bin froh dass ich im Laufe meines Lebens … Pfarrer und Pfarrerinnen erlebt habe, die weiße Talare getragen haben. Ich find das sehr viel schöner, weil es bewegender ist, weil es heller ist, lichter ist. Es drückt für mich mehr von Freude aus, von Hoffnung. Von daher wäre ich sehr dafür, wenn Pfarrer und Pfarrerinnen in Zukunft nur noch weiße Talare tragen würden.“

 

Und wir Menschen uns anziehen lassen von Gott, von dem es im Psalm heißt:

„Lobe den Herrn, meine Seele! Herr, mein Gott, du bist sehr herrlich, du bist schön und prächtig geschmückt. Licht ist dein Kleid, das du anhast.“ (Psalm 104, 1 und 2)

26.06.2015
Pfarrerin Gabriele Herbst