Fasten heißt: Freiwerden FÜR

Wort zum Tage
Fasten heißt: Freiwerden FÜR
19.02.2015 - 06:23
05.01.2015
Ulrike Greim

„Eigentlich bin ich ganz anders, ich komme nur so selten dazu.“ Findet Ödön von Horváth.

 

Nun aber ist Passionszeit, Fastenzeit. Es ist die Einladung, zu fragen, was wäre, wenn wir dazu kämen. Wenn wir heute das machten, was wir wirklich wollen. Wenn wir uns Zeit nähmen für Dinge, die uns wichtig sind. Für das, was wir sind. Ich rate einmal: himmlisch wäre das.

 

 

Drei Beispiele:

 

Einmal haben wir gefastet, drei Kolleginnen, ein Kollege und ich. Richtig ganz. Kein Essen. Nur trinken. In der Mittagspause sind die anderen in Kantine, wir auf die Terrasse. Wir haben uns Geschichten vorgelesen. Und Gedichte. Das war wunderschön. Absolut etwas Besonderes.

 

Wir waren sehr offen. Und irgendwie herausgehoben aus dem Alltag.

 

Gut, zugegeben, wir haben das so nur drei Tage durchgehalten. Am vierten bröckelte es, und wir haben die Mittagspause lieber durchgearbeitet, weil so viel zu machen war. Ärgerlich!

 

Aber ich will das wieder. Weil das geht. Weil man sich Platz schaffen kann für Wesentliches. Indem man weglässt.

 

 

Das zweite Beispiel: ein Freund sagte sich: Ich bin eigentlich ganz anders – und jetzt komme ich auch mal dazu. Er hat seine Arbeitszeit reduziert. Er hat Kontakt aufgenommen zu zwei Flüchtlingsfamilien in seiner Stadt. Hat sie auf Behörden begleitet, mit ihnen gebangt und gehofft auf Asyl, auf Duldung, die Kinder haben zusammen gespielt. Sie haben zusammen gegessen und gefeiert, haben geredet und gesungen. So gut es eben ging. Und viel erfahren. Ich arbeite doch nicht, um irgendwann einmal zu leben, sagt er. Ich lebe jetzt. Hier. Und nehme mir jetzt Zeit für das, was ich wichtig finde. Gastfreundschaft gegenüber Geflüchteten ist wichtig. Sie ist eine win-win-Erfahrung. Ich bin oft ganz still geworden, ganz ehrfürchtig. Mein kleiner Horizont wurde geweitet.

 

 

Als drittes erinnere ich mich, wie eine Freundin aus der Kur wiederkam. Man kannte sie als workaholic. Dann fiel sie länger aus. Die Diagnose war erdrückend. Sie hat den Weg ins Leben wieder gefunden. Jetzt geht sie wieder mit in den Chor. Singen ist ein Elixier, sagt sie. „Keine Zeit“ ist kein Argument. Wenn es wichtig ist, habe ich Zeit. Meine Seele braucht Musik, sonst wird sie krank. Hab’s ja gerade erlebt. Sie reserviert sich den Dienstag im Kalender, der Babysitter wird abonniert.

 

 

Es ist Fastenzeit. Fasten heißt: frei werden, Platz schaffen für Wesentliches.

 

Ich faste einmal mit dem Gedanken, dass ich unheimlich wichtig sei und unersetzlich. Ich verzichte darauf, zu meinen, die Welt hinge von mir ab. Und nehme mir Raum. Für Musik, für Kontakte, für Poesie. Ich öffne Gott die Tür.

05.01.2015
Ulrike Greim