Aufbrechen

Evangelischer Rundfunkgottesdienst

Bild: Oliver Borchert

Aufbrechen
Gottesdienst aus der St. Paulskirche in Schwerin
01.07.2018 - 10:05
13.06.2018
Markus Wiechert
Über die Sendung

Vom Aufbrechen und Gesegnet werden erzählt zu Beginn der Sommerferien die biblische Hauptfigur im Gottesdienst. ‚Geh‘ in ein Land, das ich dir zeigen will‘, spricht Gott zu Abraham, ‚ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein‘. „Dieser Verheißung gehen wir nach“, erzählt Pastor Markus Wiechert, Kirchenrat in der Landeshauptstadt und der Beauftragte der Nordkirche für Landtag und Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern. „Wir laden ein, den persönlichen Aufbrüchen nachzuspüren und auf Gottes Segen zu vertrauen; zudem: unser schönes Bundesland zu besuchen, die Stadt Schwerin und den Orgelsommer“.

 

Wie einladend die malerische St. Paulskirche in Schwerin klingen kann, das lässt sich im Radiogottesdienst zum Schweriner Orgelsommer erleben. Die Architektur der Kirche folgt dem romantischen Gemälde „Dom am Wasser“ und inspirierte unzählige neugotische Kirchbauten in Deutschland. Sie gilt als Musterbau auch im akustischen Ideal der Neogotik: „Die Orgel findet ihren natürlichen Ort dem Altar gegenüber am Westende der Kirche auf einer Empore über dem Haupteingang“.

 

Mit der Konzertreihe „Orgelsommer“ würdigt die Paulskirchengemeinde diese herausragende Rolle ihrer Orgel. Geschaffen hat sie der Buchholz-Schüler Friedrich Friese (1827-1896): Im Grundton kräftig, im romantisch erweiterten Repertoire der Holzpfeifen weich und im Bau der Trompete an Silbermann anklingend. Kantor Christian Domke sagt es so: „Ein fantastisches Instrument! Im Radiogottesdienst wollen wir sie aber nicht erklären, sondern biblische Motive zum Klingen bringen, etwa Worte aus Psalm 73: Dennoch bleibe ich stets an dir“.

 

Dazu bringen die 60 Sängerinnen und Sänger der Paulskirchenkantorei französische Kathedralmusik von Luis Vierne zu Gehör. Als zweiter Organist ist Joshua Brodbeck aus Columbia/Ohio zu hören, der während des Orgelsommers zu Gast ist. Die Hörerinnen und Hörer können sich auf vertraute Choräle freuen wie „Wohl denen die wandeln“ in einem Chorsatz von Heinrich Schütz, „Vertraut den neuen Wegen“ (EG 395) und – passend zum Orgelsommer - „Freuet euch der schönen Erde“ (EG 510).

 

Mehr Informationen unter: www.radiokirche.de und www.paulsgemeinde-schwerin.de

 

 

Gottesdienst nachhören

 

Den Gottesdienstmitschnitt finden Sie auch direkt unter http://www.deutschlandradio.de/audio-archiv.260.de.html?drau:broadcast_id=122

Predigt zum Nachlesen
 

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

Liebe Gemeinde!

Abraham war Optimist! Das ist für mich das Wundersame dieser Aufbruchsgeschichte. Gerade da, wo meine Erfahrung sagt: „Das bringt nichts“, sagt mir die Bibel: Mit Gottes Segen geht es weiter!

 

Es gibt einen Film, den habe ich bei der Erzählung von Abraham vor Augen. Er heißt „Bach in Brazil“ und handelt von einem Musiklehrer aus Bückeburg. Sein Leben als Eigenbrödler plätschert so dahin. Doch dann erbt er ein originales Notenblatt mit Musik von Johann Sebastian Bach. Er muss es sich allerdings persönlich abholen, und zwar aus einer bunten brasilianischen Barockstadt. Zunächst hat er den Aufbruch gescheut, aber dann passiert ganz viel Segenvolles. Mit brasilianischen Straßenkindern spielt er Bach im Samba-Rhythmus. Und durch das gemeinsame Musizieren wird er beseelt und verwandelt.

 

Gott lädt uns jetzt ein, in seinem Wort unsere eigene Geschichte zu entdecken! Denn auch für uns gibt es was zu erben. Nämlich: den Segen! Den Segen, den Gott Abraham verheißt – und über ihn auch uns. Hören wir noch einmal auf die Stimme, die zu Abraham spricht:

 

„Abraham! Geh in ein Land, das ich dir zeigen will. Verlass‘ deine Heimat, denn ich habe Großes mit dir vor. Viele Nachkommen sollst du haben. Mein Segen wird dir Kraft geben auf deinem Weg und dir einen großen Namen machen. Und du wirst auch für andere ein Segen sein“.

 

Als Abraham das hört, ist er 75 Jahre alt. Ein gestandener Mann, der sich in seiner Heimatstadt Haran einiges aufgebaut hatte. Er brachte es zu großem Besitz und lebte inmitten von Freunden und Verwandten, die ihm Sicherheit gaben. Nur ein Wunsch war für ihn und seine Frau Sara bisher nicht in Erfüllung gegangen: das war der Wunsch nach Kindern. Ich weiß nicht, ob und wie die beiden damit abgeschlossen haben. Aber ich glaube: Manche Wünsche sind so groß, dass sie lange wach bleiben in unserer Seele. Und dann dieser Ruf Gottes: „Geh los, du wirst viele Nachkommen haben und du sollst ein Segen sein!“

 

Aber Aufbrechen in die Fremde, ohne zu wissen, ob man dort willkommen ist? Ich kann mir gut vorstellen, dass Abraham manch schlaflose Nacht verbracht hat. In der Stille mag sich die Stimme Gottes allmählich verbunden haben mit der Sehnsucht, dass das Leben – ja das Gott – wirklich noch etwas anderes für ihn bereithält. Wenn ihm auch noch nicht klar ist, wohin sein Leben jetzt geht, wurde ihm doch klar, dass der Segen Gottes ihn auf diesem Weg begleitet. Er zieht los und nimmt nur mit, was unmittelbar zu ihm gehört: Seine Frau Sara, Knechte und Mägde, seinen Neffen Lot, seine Tiere und Zelte.

 

Liebe Gemeinde, Aufbrechen ist nicht jedermanns Sache. Manche von uns haben Erfahrungen gemacht, die sie davon abhalten. Wer Krieg und die Vertreibung aus der Heimat selbst erlebt hat, dem mag es schwer fallen, noch einmal loszugehen. Weil die Dinge im Herzen kein Ende nehmen. Davon schreibt Arno Geiger in seinem Roman „Der alte König in seinem Exil“. Einfühlsam erzählt er aus dem Leben seines Vaters:

 

 „Er muss sich im Lazarett geschworen haben, ein Leben lang zu Hause zu bleiben, sollte er jemals wieder dorthin gelangen. Ich weiß noch, wie oft es in meiner Kindheit Ärger gab, wenn das Thema Urlaub zur Sprache kam und der Vater zum hundertsten Mal sagte, Wolfurt sei ihm schön genug… Erst viel später entwickelte ich ein Verständnis dafür, dass den Weigerungen des Vaters ein Trauma zugrunde lag und dass die Dinge im Herzen kein Ende nehmen und dass das Verhalten des Vaters deshalb so aussah, wie es aussah. Solches Heimweh wollte er kein zweites Mal riskieren.“

 

Der Vater erkrankt an Demenz. Und die Krankheit offenbart, in welcher Spannung er lebt: Immer wenn es Abend wird kommt auch die Unruhe. Dann bricht er auf und irrt umher wie ein alter König in seinem Exil. Nichts fühlt sich mehr an wie sein zu Hause. Er misstraut dem Ort, an dem er sich aufhält. Auf der Suche nach einem Ort letzter Geborgenheit.

 

Wer von uns wollte diesen Ort nicht finden? Für Abraham ist er aber nicht erst mit einem Zukunftsort verbunden. Er findet ihn unterwegs durch alle Höhen und Tiefen. Immer wieder neu im Vertrauen auf Gottes Segen. Nicht die ersehnte Erfüllung am Ende des Lebensweges macht diesen Ort für ihn aus. Sondern die Geborgenheit in Gott, mit der er auch Enttäuschungen und Rückschläge durchlebt hat. Abraham ist deshalb zum Urbild des Glaubens geworden, weil die Zuversicht im Herzen bei ihm kein Ende genommen hat. Er hat die Spannung ausgehalten zwischen dem Segen, der ihm ja versprochen war, und der Erfüllung, die er nicht selbst herbeiführen konnte. Sein erster Aufbruch geschieht im Grunde in seinem Herzen, mit dem er sich Gott ganz und gar anvertraut. Und er ist die Voraussetzung für den Aufbruch, der dann geschieht.

 

 

Liebe Gemeinde, ich glaube: Bevor die Zuversicht im Herzen wachsen kann, muss die Sehnsucht im Herzen wachsen! Und das kann durchaus die Sehnsucht nach einem Ort sein, den wir noch gar nicht kennen. Viele biblische Geschichten legen uns die Sehnsucht ins Herz. Sie erzählen von den Wüsten, die blühen; den Lahmen die Tanzen; den Stummen, die reden. Der Mensch in seiner Sehnsucht ist ein Gottesbeweis, sagt Heinrich Böll. Und so frage ich mich manchmal im Rückblick, ob meine Sehnsucht nicht auch eine Stimme Gottes ist. Etwa die Sehnsucht, einen sinnvollen Platz im Leben zu haben. Oder die Sehnsucht, die Fülle guter Lebenserfahrungen mit anderen zu teilen. Und so verstehe ich auch die Verheißung an Abraham, anderen zum Segen zu werden. Ich kann mich noch gut erinnern, wie eines Tages ein Jugendlicher in unsere Kirchengemeinde kam und sagte:

 

 „In der Schule habe ich so viel Wissen angehäuft. Jetzt frage ich mich wofür? Jetzt möchte ich unbedingt etwas Sinnvolles tun. Das mich und andere weiterbringt. Ich möchte nach Bolivien aufbrechen, in eines der der ärmsten Länder Lateinamerikas. Und dort bei den Straßenkindern durch das Theaterspiel neue Lebensfreude und neue Perspektiven wecken. Theater spielen ist schon in der Konfirmandenzeit eine große Leidenschaft von mir geworden. Jetzt will ich etwas damit machen. Aber ich möchte nicht losgehen ohne den Segen. Kann ich vor der Abreise in einem Gottesdienst gesegnet werden?“

 

Stark fand ich damals diese Bitte und das Vorhaben. Und wir haben es so gemacht.

 

Mit der Sehnsucht im Herzen können wir spüren, wo Veränderung nötig ist. Sie lässt uns fragen: Was hat Gott noch mit mir vor? Wo will ich Neuland betreten, und schaffe ich das? Manchmal ist Veränderung der einzige Weg, um die Zukunft zu erlangen, Abraham hat das gespürt und ist losgegangen.

 

Eine Frau aus unserer Gemeinde erzählt, wo Abraham sie an ihre eigene Geschichte erinnert:

 

„Es begann damit, dass ich während meiner Zeit in Kalifornien beruflich unzufrieden war. Und so wuchs in mir die Sehnsucht, meine Leidenschaft, den Gesang, in meinem „fortgeschrittenen“ Alter doch noch zum Beruf zu machen. Das ging aber nur mit einer großen geographischen Veränderung. Von Freunden und Familie gab es Bedenken. Als es dann klappte, als ich eine Stelle am Theater in Deutschland bekam, war es Freude und Angst zugleich: denn das bedeutete ja auch, jetzt alles erstmal hinter mir zu lassen und alleine wieder nach Deutschland zu ziehen. Da bekam ich Angst vor der eigenen Courage. Aber die Sehnsucht, als Sängerin arbeiten zu können, war stärker. Viele sahen mich als Ermutigung. So eine große Veränderung zu wagen, und das in meinem Alter! Das löste bei anderen die Sehnsucht aus, auch etwas zu verändern“.

 

Aufzubrechen kann eine Kraft entfalten, die auch andere Menschen bewegt. Und diese Kraft kann anderen Menschen Mut machen, die eigene Berufung zu entdecken. Und: ein neues Land.

 

„Mein Lebensweg hatte mich nach Mecklenburg-Vorpommern geführt, in ein für mich neues Land. Ich hatte Angst, alles Frühere loszulassen. Aber als ich es dann tat, und endlich aus Zerrissenheit Klarheit wurde, hat mich die Entscheidung befreit. Und dann wurde ich mit einer neuen Liebe gesegnet. Und andere Menschen lassen mich spüren, dass ich auch für sie zum Segen geworden bin. Es ist nie zu spät, eine Veränderung herbeizuführen, oder zuzulassen. Man muss sich nur trauen, und der inneren Sehnsucht folgen – mit Zuversicht im Herzen“.

 

Liebe Gemeinde,

immer wieder und gerade auch in unseren Tagen wird die Zuversicht im Herzen bei sehr vielen Menschen, die unfreiwillig aus ihrer Heimat aufbrechen müssen, auf eine harte Probe gestellt. Auch unter uns leben viele Menschen, die den Weg aus einer bedrohten Heimat in eine ungewisse Zukunft gehen mussten. Auf der Flucht vor über siebzig Jahren oder erst vor kurzer Zeit aus den Kriegs- und Krisengebieten unserer Welt. Anders als Abraham sind sie aus der Not heraus aufgebrochen. Für sie war es oft die einzige Chance, um zu überleben. Ich frage mich: Was ist aus der Verheißung geworden, die Gott damals an Abraham gerichtet hat: „In dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden“.

 

Wenn Menschen aufbrechen müssen, nicht weil Gott sie ruft, sondern weil andere behaupten, von Gott gerufen zu sein, Krieg und Gewalt zu verbreiten und in seinem Namen Kriege zu führen: dann macht mich das wütend! Denn die Geschichte von Abraham weist uns doch auf eine ganz andere Spur! Weil sie davon erzählt, wie durch Abraham alle Völker der Erde Segen gewinnen können. Juden, Christen und Muslime sehen in Abraham den Urvater ihres Glaubens. Wir alle sind Abrahams Nachkommen. Den Segen Gottes erlangt keiner für sich allein. Aber er kann spürbar werden, wo wir aufeinander zugehen, uns verständigen und gemeinsam für Frieden und Gerechtigkeit eintreten. Ich glaube, das ist ein Ruf Gottes heute an uns. Dass wir widersprechen, wenn Vorurteile gegen Menschen anderer Religionen verbreitet werden. Dass wir die Begegnung suchen, anstatt uns Angst einjagen zu lassen. Und versuchen der Wahrheit auf die Spur zu kommen, wo Fake News verbreitet werden. Ja, als Nachkommen Abrahams müssen wir uns fragen, wie können wir ein Segen sein, für alle, die aus der Not heraus aufbrechen müssen.

 

Liebe Gemeinde,

ich wünsche Ihnen, dass Sie im Glauben den Mut zu neuen Aufbrüchen finden. Besonders dort, wo es eine Veränderung braucht. Getragen von der Verheißung, dass Gottes Segen Sie begleitet. Inspiriert von Jesus Christus, der Petrus zugerufen hat: Fahr noch einmal hinaus. So wünsch‘ ich uns Lebenskraft für unseren Weg! Manchmal können wir ganz neu entdecken, was Gott uns zeigen will, wenn wir einen neuen Schritt wagen. In unserem Innersten fängt es an, aber es kann uns auch äußerlich dazu bringen, Neues zu wagen. An Abraham können wir sehen, dass der Segen die Kraft gibt, in Bewegung zu bleiben. Sich nicht einfach mit dem abzufinden, was schon ist. Es neu und anders zu wagen, wenn alle Wege zu Ende zu sein scheinen. Die Geschichte von Abraham zeigt uns: Selbst wenn es aussichtslos erscheint, eröffnet Gott Wege, die neue Kräfte freisetzen und neue Möglichkeiten für uns bereithalten.

Über Abraham reicht die Verheißung des Segens bis zu uns. Gott spricht auch zu uns: Durch die Musik und durch sein Wort, das uns berührt. Er begleitet uns auf all unseren Wegen. Ganz gleich, ob ich vor einem großen Aufbruch stehe, oder in meinem Inneren bewegt bin. Gott sagt uns heute: Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein. Das macht mir Mut, Großes von der Zukunft zu erwarten, weil Gottes Versprechen so groß ist! Und ich glaube: Das ist auch der Grund, warum Abraham Optimist war. Weil er in der Geborgenheit Gottes lebte. Möge diese Zuversicht im Herzen bei uns wachsen und uns teilhaben lassen an jener Geborgenheit in Gott, die Abraham auch unterwegs eine Heimat gegeben hat. Amen.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

13.06.2018
Markus Wiechert