DLF-Gottesdienst aus Karlsruhe

Gottesdienst Karlsruhe
DLF-Gottesdienst aus Karlsruhe
Gottesdienst aus der Freien evangelischen Gemeinde Karlsruhe
06.03.2016 - 10:05

In meiner Predigt heute geht es um drei brandaktuelle Themen:

• Wie können wir Berührungsängste gegenüber dem Fremdartigen ablegen?

• Wie können wir Menschen ohne Unterschied lieben?

• Und die Frage: Ist Mission noch zeitgemäß?

 

Die Fragen ergeben sich aus der Beschäftigung mit dem Text in Apostelgeschichte 10. Dort wird die Begegnung zwischen Petrus und Kornelius berichtet. Damit wir den Predigttext besser verstehen, stelle ich Ihnen die beiden Hauptakteure kurz vor.

Petrus kennen wohl die meisten – zumindest dem Namen nach. Er ist der Sprecher der Jünger Jesu, nachdem dieser nicht mehr bei ihnen ist. Und er ist wohl auch so etwas wie der Chef der ersten Gemeinde, die sich gebildet hat. Seine Kultur und seine Anschauungen sind intensiv vom Judentum geprägt. Aber Jesus hatte vieles davon in Frage und auf den Kopf gestellt. Und nun müssen er und die anderen umsetzen, was das konkret für die junge Gemeinde bedeutet. Unser Predigttext berichtet von der wohl wichtigsten Lektion, die er diesbezüglich zu lernen hat. Ohne dieses Erlebnis wäre es vermutlich nie zur Mission außerhalb des Judentums gekommen. Und auch wir heute hätten vielleicht nie vom Evangelium gehört.

Und dann ist da Kornelius, Hauptmann einer römischen Hundertschaft. Ein Ausländer, der sich für den jüdischen Glauben interessiert, ohne wirklich dazuzugehören. Er hatte sich durch großzügige Spenden an die jüdische Gemeinde hervorgetan. Wollte er damit die Gunst der Juden oder gar Gottes erkaufen? – Mir scheint eher, dass sein Verhalten ein Licht auf seinen Charakter und seine Sehnsucht wirft. Er wollte, dass sein Leben dem entspricht, was Gott vermutlich von ihm erwartete. Er wollte es Gott recht machen. Er betete zu Gott und hatte doch – zumindest nach dem, was die Juden dachten und ihm erzählt hatten – nur einen sehr begrenzten Zugang zum Gott Israels. Aber Gott hatte seine Gebete sehr wohl gehört und wollte ihm begegnen.

Die zwei Männer kennen sich bisher noch nicht. Beide haben Träume, mit denen Gott sie auf ihre Begegnung vorbereitet. So kommt es, dass Petrus sich auf den Weg macht, Kornelius zu besuchen. Unser Predigttext beginnt mit der Ankunft von Petrus und seinen Begleitern bei Kornelius.

Wir hören Apostelgeschichte 10 ab Vers 24 aus der Gute Nachricht Bibel.

 

24 Am Tag darauf kamen sie in Cäsarea an. Kornelius hatte seine Verwandten und die engsten Freunde zusammengerufen und erwartete sie.

25 Als Petrus durchs Hoftor trat, kam ihm Kornelius entgegen und warf sich vor ihm nieder.

26 Doch Petrus zog ihn hoch und sagte: »Steh auf, ich bin auch nur ein Mensch!«

27-28 Er sprach noch weiter mit ihm und betrat dabei das Haus. Als er die vielen Leute sah, sagte er zu ihnen: »Ihr wisst, dass ein Jude nicht mit einem Nichtjuden verkehren und vollends nicht sein Haus betreten darf. Aber mir hat Gott gezeigt, dass ich keinen Menschen als unrein oder unberührbar betrachten soll.

29 Deshalb bin ich eurer Einladung ohne Widerrede gefolgt. Aber jetzt möchte ich doch gern erfahren, warum ihr mich gerufen habt!«

30-31 Kornelius antwortete: »Es war vor drei Tagen, ungefähr zur selben Zeit wie jetzt. Ich betete hier im Haus zur Gebetszeit um drei Uhr nachmittags, als plötzlich ein Mann in leuchtendem Gewand vor mir stand und sagte: ›Kornelius, Gott hat deine Gebete erhört und er will dir das Gute vergelten, das du den Armen getan hast.

32 Schicke darum Boten nach Joppe und lass Simon mit dem Beinamen Petrus zu dir bitten! Er ist zu Gast beim Gerber Simon unten am Meer!‹

33 Da habe ich sofort zu dir geschickt, und ich freue mich, dass du gekommen bist. Nun sind wir alle hier vor Gott versammelt und bereit zu hören, was der Herr dir aufgetragen hat.«

34 Petrus begann zu sprechen: »Wahrhaftig, jetzt begreife ich, dass Gott keine Unterschiede macht!

35 Er liebt alle Menschen, ganz gleich, zu welchem Volk sie gehören, wenn sie ihn nur ernst nehmen und tun, was vor ihm recht ist.

 

Soweit der Text aus der Apostelgeschichte.

 

Eine krasse Begegnung

Ist es nicht erstaunlich, wie schwer es dem Petrus fällt, sich auf den Römer Kornelius einzulassen? Klar, er ist ein Nichtjude, ein Ausländer, noch dazu ein Vertreter der verhassten römischen Besatzungsmacht. „Ihr wisst, dass ein Jude nicht mit einem Nichtjuden verkehren und vollends nicht sein Haus betreten darf (V 28).“, sagt Petrus ganz offen zu seinen Gastgebern. Und auch den tieferen Grund dafür verschweigt er nicht. Er betrachtet Römer als unrein und unberührbar. Solche Vorurteile sitzen ganz tief. Die Barriere liegt in der Seele und der religiösen Gedankenwelt des Petrus begründet. So etwas lässt sich nicht so leicht überwinden.

Dabei hätte Petrus es besser wissen können. Schließlich hatte er von Jesus persönlich den sogenannten „Missionsbefehl“ bekommen: „Geht nun zu allen Völkern der Welt und macht die Menschen zu meinen Jüngern und Jüngerinnen Mat 28,19)!“ Wie soll man denn zu den Menschen in aller Welt hingehen, wenn man nicht bereit ist, ihr Haus zu betreten? Die Barrieren in Petrus sind offenbar so groß, dass dieses krasse Erlebnis nötig ist, um ihm die Augen – und vor allem das Herz zu öffnen.

 

Mission – ein belasteter Begriff

Indem wir uns mit der Bedeutung des Ereignisses und der Befindlichkeit des Petrus beschäftigen, sind wir zwangsläufig einem Begriff begegnet, der heute recht unterschiedliche Empfindungen hervorruft: Mission. Mission klingt für viele nach Gewalt gegen Andersglaubende, zumindest nach Überlegenheitsgefühlen der westlichen Kultur gegenüber dem Rest der Welt. Damit befindet sich das Wort Mission in gefährlicher Nähe zu Begriffen wie Kolonialismus oder Rassismus. Bevor man überhaupt weiter über das Thema nachdenkt, ist es deshalb nötig, sich dem Missbrauch der Mission in der Geschichte der Kirche zu stellen. Man kann sich als Christ ja nur dafür schämen, was im Namen der Christenheit oder unter Berufung auf Jesus insbesondere im Mittelalter während der Kreuzzüge alles angerichtet worden ist. Da ist es nicht verwunderlich, dass es massive Vorbehalte gegen Mission gibt. Aber gilt nicht auch hier der bekannte Grundsatz: „Der falsche Gebrauch einer Sache hebt ihren richtigen Gebrauch nicht auf.“? Oder anders gefragt: Hat sich Jesu Auftrag denn dadurch erledigt, dass die Christen zu bestimmten Zeiten so schändlich versagt haben?

Vielleicht liegt unsere Hemmschwelle aber auch an einer anderen Stelle. Zu den höchsten Werten unserer Kultur gehört die Toleranz. Die religiöse Ausprägung davon lautet, dass jeder nach seiner eigenen Façon selig werden soll. Viele ziehen daraus die Konsequenz, dass jede Form von Mission völlig fehl am Platz ist. Egal was Jesus seinen Jüngern dazu gesagt hat.

Der Gedanke hat ja durchaus einiges für sich. Er verkennt aber, dass das Evangelium ein wunderbares Geschenk von Gott ist, durch das Menschen mit Gott persönlich in Kontakt kommen und ihr Leben ganz anders gestalten und bewältigen können. Wer das Evangelium verschweigt, beraubt die Menschen einer Sache, die sie dringend brauchen. Um dieses Geschenk Gottes geht es – und nicht um irgendwelche Machtansprüche von Christen. Die Menschen um uns her haben ein Recht darauf, zu erfahren, was Gott für sie vorgesehen hat. Was sie dann daraus machen, ist ihre eigene Angelegenheit. Es geht selbstverständlich nicht darum, anderen etwas überzustülpen und aufzudrängen. Aber wer gibt ihnen die Chance, authentischen und lebendigen christlichen Glauben kennenzulernen? Wer wird für Menschen wie Kornelius und Co heute zum Petrus?

 

Mission – heute so wichtig wie damals

Hier im Gottesdienst sitzen rund ein Drittel Jugendliche und junge Erwachsene – darunter viele Studenten. Ein weiteres Drittel ist zwischen 30 und 45 Jahre alt. Ihre Kinder haben parallel ein eigenes Programm in verschiedenen Altersgruppen. Mindestens ein Drittel der Besucher sind internationale Gäste aus aller Herren Länder – darunter auch etliche Asylbewerber. Sie alle haben vielen Fragen. Längst nicht alle würden sich als Christen bezeichnen. Aber sie sind offen für das Evangelium und haben ein Interesse daran zu erfahren, was es ihnen zu bieten hat.

Wir haben drei Personen gebeten, von sich zu berichten, was die Verkündigung des Evangeliums für sie persönlich bedeutet. Hören Sie selbst!

 

  1. N. aus Iran

I am 26 years old and from Iran. My aunt was like a lighthouse for me – she was the only older person in my family with whom I would talk about my many problems.

Ich bin 26 Jahre alt und stamme aus dem Iran. Für mich war meine Tante wie ein Leuchtturm. Sie war die einzige ältere Person in meiner Familie, der ich meine Probleme anvertrauen konnte.

 

She was a practicing Christian. But then she had to leave Iran. She went to a neighboring country and found a Christian church.

Sie war Christin und lebte ihren Glauben. Doch dann musste sie den Iran verlassen. In einem Nachbarland fand sie Anschluss in einer christlichen Gemeinde.

 

My boyfriend and I wanted to learn more about this God, so we visited her there. She told us about Jesus’ love and of God’s wonderful graciousness. And about the bible. What she said moved us greatly.

Mein Freund und ich wollten mehr über diesen Gott wissen, also besuchten wir sie. Sie erzählte uns von Jesus‘ Liebe und Gottes großer Güte. Und von der Bibel. Das hat uns beide nicht mehr losgelassen.

 

Unfortunately in Iran, you cannot simply walk into a church and meet people, let alone buy books on Christian faith. We did not even dare to search in the Internet. So my boyfriend and I returned to visit my aunt. We spoke with her and the pastor of her church.

Leider konnte ich in Iran nicht einfach so in eine Kirche gehen und Christen kennen lernen oder Bücher kaufen. Wir wagten auch keine Suchanfrage im Internet. Also fuhren mein Freund und ich noch einmal zu meiner Tante und sprachen mit dem Pastor.

 

We had many questions. We were so moved by what they told us about God’s love, that we asked to be baptized right there and then.

Wir hatten viele Fragen. Wir waren so ergriffen von dem, was sie uns über Gottes Liebe sagten, dass wir uns dort, im Ausland, haben taufen lassen.

 

When we arrived in Karlsruhe as refugees, I searched in the Internet for churches with English language offerings. I contacted three churches and praise to God, they all responded quickly.

Als wir in Karlsruhe als Flüchtlinge ankamen, suchte ich im Internet nach Gemeinden mit einem Angebot auf Englisch. Ich schrieb drei an, alle drei meldeten sich sehr schnell.

 

Now, on Sundays we visit the church service and on Mondays we joined a bible study group. Our family is dispersed, but here we have a new family.

Nun gehen wir Sonntags in den Gottesdienst dieser Gemeinde und montags in eine Bibelgruppe. Unsere Familien sind verstreut, aber hier haben wir eine neue Familie.

 

  1. Anette

Mein Name ist Anette. Ich bin Architektin und gehöre seit 23 Jahren zur Gemeinde. Gott hat mich damals auf der Suche nach dem Sinn des Lebens tief berührt, als ich das Geschenk entdeckt habe, das er mir macht: Jesus Christus, der am Kreuz für unsere Schuld gestorben ist. Das war für mich sehr existenziell und keineswegs nur ein theologischer Satz. Eigentlich wollte ich Karriere machen und ganz Süddeutschland zubauen, aber dann habe ich nochmal ganz neu sortiert. Gott hat mein Leben verändert, und ich finde das so umwerfend, dass ich diese Erfahrung jedem wünsche. Das zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Deshalb erzähle ich sehr gerne von meinem Glauben.

Hier in der Gemeinde habe ich dazu eine tolle Möglichkeit, wo ich mich einbringen kann, weil jedes Jahr ein Alpha-Kurs stattfindet. Das ist ein Glaubensgrundkurs, der weltweit angeboten wird. Ich treffe da auf Menschen, die mit vielen Fragen kommen und Sinn für ihr Leben suchen. So wie ich damals.

 

  1. Chen

Mein Name ist Chen, und ich komme aus China. Zurzeit studiere ich in Karlsruhe auf Master. Ich lernte die FeG am 24. Dezember kennen. Eine koreanische Freundin hatte mich zu einer Weihnachtsfeier eingeladen. Sie ist Christin und ein sehr herzlicher und gewissenhafter Mensch. Ich vertraue ihr sehr. Mir schien die Gemeinde wie ein Ort an dem Menschen Freude und Leid mit einander teilen. An dieser Weihnachstfeier lernte ich den Leiter der Internationalen Arbeit kennen. Ich fand, er sah ein bisschen aus wie der Weihnachtsmann. Er lud mich zu einer wöchentlichen Kleingruppe ein, so lernte ich mehr Menschen aus der Gemeinde kennen. Ich bin mir nicht sicher, wo ich mit dem Glauben stehe. Doch eines weiß ich, ich mag die Menschen die ich hier treffe, ihre Freundlichkeit und fühle mich bei ihnen wohl. Wenn ich kann, will auch ich ihnen gerne helfen.

 

Lassen Sie uns noch einmal zum Bericht der Apostelgeschichte zurückkehren. Das Fazit, das Petrus zieht, klingt in unseren Ohren selbstverständlich und banal. Und doch ist es ein Durchbruch für ihn und sein Weltbild. Weil Gottes Liebe allen gilt! So einfach ist das mit der Begründung der Mission. Weil Gottes Liebe allen gilt, sollen seine Leute in alle Welt gehen und das Evangelium von dieser Liebe verkündigen. Und doch fällt das schwer. Dem Petrus – und auch uns.

 

Vorurteile und Berührungsängste überwinden

Wir müssen uns vor Augen führen: So ein römischer Offizier mit seiner beeindruckenden Uniform und den Soldaten in seinem Umfeld flößt vermutlich Angst und Respekt ein. Er steht für die fremde römische Kultur, für Unterdrückung und Machtausübung durch die Besatzer. Dass so einer sein Freund werden könnte, ist für Petrus wohl kaum vorstellbar. Und dann ist da noch das andere Bild, das sich wie eine Folie über den Hauptmann legt: Der Mann ist unrein, und wer sich mit ihm näher einlässt, verunreinigt sich selbst. Alles in allem ist völlig klar: Das ist niemand, mit dem man seinen Glauben teilen könnte. Solch ein Mensch ist kein Kandidat für Gott. – Aber Gott schaut nicht die Person, das Äußere an, sondern er sieht ins Herz hinein.

Wie können wir Berührungsängste gegenüber dem Fremdartigen ablegen? Und wie können wir Menschen ohne Unterschied lieben? Indem wir uns von Gott beeinflussen lassen und die Menschen in unserer Umwelt mit seinen Augen betrachten. Dann gerät in uns etwas in Bewegung, und wenn es gut läuft, haben auch wir solche Aha-Erlebnisse wie Petrus, dass wir anschließend sagen: „Jetzt begreife ich, dass Gott keine Unterschiede macht! Er liebt alle Menschen, ganz gleich, zu welchem Volk sie gehören, wenn sie ihn nur ernst nehmen und tun, was vor ihm recht ist (V 34-35)“.

Lassen sie mich es noch einmal vom Gedanken der Mission her zuspitzen. Auch in unserem Umfeld leben Menschen, denen wir es nie zutrauen würden, dass sie sich für Jesus und das Evangelium interessieren. Und doch ist Gott schon lange mit ihnen unterwegs. Er hört ihre vielleicht sehr diffusen Gebete, und er kann ihre Bemühungen und Taten deuten. Wie bei Kornelius. Er sieht, dass dahinter die Sehnsucht nach einer heilen Welt und damit letztlich nach ihm, Gott steckt. Und dann sucht er andere Menschen, die er wie Petrus senden kann, um seine Liebe erlebbar zu machen, das Evangelium zu erklären und die Brücke zu Gott zu bauen. Unsere ausländischen Mitbürger gehören ganz gewiss dazu. Darüber haben wir ja bereits gesprochen, und zwei von ihnen sind ja gerade persönlich zu Wort gekommen. Aber ich bin sicher, dass inzwischen auch ein großer Teil der traditionellen deutschen Bevölkerung dazu gehört.

 

Wie sehen die Menschen heute aus, denen Gottes Liebe gilt?

Ich denke an die vielen Kirchendistanzierten, die sonntags lieber ausschlafen, als zum Gottesdienst zu gehen und vielleicht auch keinen Rundfunkgottesdienst mehr einschalten. Weiß die jüngere und mittlere Generation in unserem Land denn überhaupt noch, was den christlichen Glauben ausmacht? Und wenn ja – glauben sie, was sie darüber wissen? Manchmal erstaunt es Menschen aus anderen Kulturen und Religionen, wie wenig die Christen in Deutschland von ihrem eigenen Glauben halten.

Mir scheint, die Zeit ist endgültig vorbei, dass Menschen aus Tradition den Glauben ihrer Eltern und Großeltern übernehmen. Die Entchristlichung dürfte in unserem Land sehr viel weiter fortgeschritten sein, als die Statistiken der Zugehörigkeit zu einer Kirche oder Religionsgemeinschaft ahnen lassen. Dagegen gibt es nur ein einziges Mittel. Wir müssen wie zu Zeiten der Urgemeinde das Evangelium ganz neu kommunizieren und begründen. Das Evangelium ist nach wie vor attraktiv und muss unter die Leute. Weil es Gottes Kraft vermittelt, sinnvoll zu leben und mit Perspektive zu sterben.

Wenn wir dem zustimmen, dann gilt es, den Missionsauftrag ganz neu zu entdecken und zu überlegen, wie wir zu den Menschen hingehen können. Hingehen bedeutet für uns aber das gleiche wie für Petrus, nämlich die eigenen kulturellen Barrieren zu überspringen und uns auf die Kultur der anderen einzulassen. Bleiben wir ruhig in Deutschland und bei unseren jungen Erwachsenen. Ihre Welt ist mehrheitlich nicht das Kulturbürgertum mit seinen Traditionen. Sie sind mit Fernsehshows, digitalen Medien und jederzeit abrufbarer Musik groß geworden. Sie sind von Pop- und Rockmusik geprägt und können mit herkömmlicher Kirchenmusik nichts anfangen. Man mag das bedauern, vielleicht sogar verachten. Aber so – und nicht anders! – sehen heute die meisten der Menschen aus, denen Gottes Liebe gilt und die diese Liebe dringend brauchen. Und sie sind unsere Freunde, unsere Nachbarn, unsere Familienangehörigen und Kollegen.

 

Weil Gottes Liebe allen gilt

Ein älterer Mann sagte mir einmal: „Mir ist es wichtiger, dass mein Enkel zum Gottesdienst kommt, als dass hier meine Lieder gesungen werden. Das kann ich ja auch im Seniorenkreis tun.“ Seine Worte haben mich sehr beeindruckt und mir etwas Wichtiges klar gemacht: Wir brauchen einen Grund, um uns zu verändern und auf andere zuzugehen. Veränderung nur um etwas anders, vielleicht moderner zu machen, reicht nicht. Der Grund für diesen Mann war die Liebe zu seinem Enkel und die Überzeugung, dass dieser Junge Gottes Liebe kennenlernen müsse. Dadurch war er in der Lage, über den eigenen Horizont hinaus zu schauen und entsprechend zu handeln.

Wir versuchen deshalb durch die Art unserer Gottesdienste, auch glaubensfernen Menschen das Evangelium zu vermitteln. Jugendlichen – jungen Familien – aufgeschlossenen Älteren – und auch ganz vielen Menschen aus aller Welt. Wir erleben hier in Karlsruhe, dass dieser Versuch zurzeit von vielen gut angenommen wird. Aber ganz sicher werden wir dabei nicht jedem gerecht. Und natürlich kann man es auch ganz anders anpacken, als wir es tun. Wir meinen keineswegs, die richtige Methode für die heutige Zeit gefunden zu haben. Wir merken, wie schnell Bewährtes überholt sein kann und sind unsicher, wie wir unsere Arbeit in der Zukunft ausrichten sollen. Aber wir wollen am Puls der Zeit bleiben.

Eine solche Ausrichtung ist aber nicht nur die Sache der Gemeinde, sondern die jedes einzelnen Menschen. Wer immer den Wert des Evangeliums für sich erkannt hat, hat etwas Wertvolles weiterzugeben, das er nicht für sich behalten sollte. Dazu muss man kein Pastor oder Pfarrer sein. Wäre es nicht klasse, wenn wir – da wo es sich ergibt – in unserem Umfeld und Alltag ganz selbstverständlich über unseren Glauben redeten? Unaufgeregt, unaufdringlich und ohne erhobenen Zeigefinger. Aber auch fröhlich und selbstbewusst. Und dann kann man seine Gesprächspartner bei Gelegenheit auch einfach mal zum Gottesdienst einladen.

 

Heute Petrus – morgen Kornelius

Ein letzter Aspekt ist mir noch wichtig. Es ist ja keineswegs so, dass man irgendwann alle Fragen geklärt hat und dann als Wissender anderen den Weg weisen könnte. Wir bleiben unser Leben lang Suchende und Lernende. Wir erleben Zeiten, da fühlen wir uns in unserem Glauben sehr sicher und geborgen. Und dann gibt es auch wieder Phasen der Verunsicherung und des Zweifels, in denen uns kaum mehr ein Gebet über die Lippen kommt. Die Rollen sind keineswegs immer so klar definiert, wie wir vielleicht denken. Ich habe es immer wieder erlebt, dass die Infragestellung durch jemanden, der mit Gott noch herzlich wenig anfangen kann, meinem eigenen Glaubensleben neue Impulse gegeben hat. Ich musste mir dann nämlich selbst neu Rechenschaft ablegen, was ich eigentlich glaube und was mein Leben wirklich trägt. Mit frommen Floskeln komme ich da nicht weiter. Weder bei meinem Gegenüber, noch bei mir selbst. Oder ich erlebe in der Gemeinde, wie Menschen mit Krisen und Versagen, mit Leid und Schuld klarkommen müssen. Mal kann der eine dem anderen Gottes Wort neu nahebringen. Und ein Jahr später ist es gerade umgekehrt, und der Ratgeber ist dankbar, dass ein anderer seinen Blick wieder auf Gott auszurichten hilft. Aber auch dafür ist es nötig, dass ich mich nicht in meiner kleinen Privatwelt eingrabe, sondern meine Barrieren überwinde und hingehe oder auch jemanden zu mir rufe. Von unserem Predigttext her gedacht heißt das: Mal bin ich der Petrus, und ein andermal durchaus der Kornelius. Und beide sind es, die Gott in diesem Prozess erleben – damals zur Zeit der Apostelgeschichte, aber auch heute noch. Genau dafür ist Gemeinde da. Genau darin besteht ihr Reichtum. Genau darum bin ich so gerne ein Teil der Gemeinde Jesu.

 

Amen