Frieden

Gottesdienst
Frieden
Rundfunkgottesdienst aus der St. Jakobikirche in Chemnitz
05.03.2017 - 10:05
Über die Sendung

Am 5. März begeht die Stadt Chemnitz ihren Friedenstag. Dabei wird ihrer Zerstörung vor 72 Jahren am Ende des Zweiten Weltkriegs gedacht. Impulse für das friedliche Zusammenleben in den Herausforderungen unserer Zeit verbinden sich mit dem Gedenken. Fester Bestandteil des Chemnitzer Friedenstages ist ein Gottesdienst. In diesem  Jahr werden Elemente einer  wiederaufgefundenen Agenda von 1714 dem Bittgottesdienst um den Frieden liturgisch die Struktur geben. Erstmalig erklingen Werke, die schon zu mittelalterlicher Zeit an diesem Ort gesungen wurden.  Es predigen im Gottesdienst Pfarrerin Dorothee Lücke, Pfarrer Stephan Brenner und Heike Steege.

 

Die St. Jakobikirche ist neben dem alten Rathaus am Markt eine der wenigen historischen Gebäude in der „Stadt der Moderne“, die heute noch erhalten sind. Das gotische Hallenlanghaus der Jakobikirche war bereits als Nachfolgebau einer romanischen Anlage errichtet worden. Die aufblühende Stadtgemeinde fügte zwischen 1402 und 1412 einen Chor nach böhmisch-süddeutschen Vorbildern an, der in Sachsen einzigartig ist und dessen kunstgeschichtliche Bedeutung weit über Chemnitz hinaus weist.  Über viele Jahrhunderte hinweg bildete St. Jakobi den geistig-kulturellen Mittelpunkt der Stadt. Am Ende des Zweiten Weltkriegs wurde auch die Kirche beinahe vollständig zerstört. Nachdem bereits 1949 der Hallenchor als „Notkirche“ diente, das Äußere der Kirche bis 1965 fertig gestellt war, wurde der Ausbau des Langhauses 1974 eingestellt. Nach der deutschen Wiedervereinigung konnte an die Weiterführung der Arbeiten gedacht werden. Sie fanden im Sommer 2009 ihren Abschluss.

Sendung nachhören

Liebe Gemeinde hier in der Jakobikirche und am Radio!

Verlorenes Paradies – Eva und Adam haben vom Baum der Erkenntnis gegessen. Sie müssen das Paradies für immer verlassen, , müssen den Ort verlassen, an dem sie sicher und in Harmonie gelebt haben.

 

Heute ist das Paradies für uns ein scheinbar unerreichbarer Mythos. Mehr ein Traum von einem Ort des Schönen. Modeparadies, Gartenparadies. Ein Ort des Glücks oder des Reichtums, Urlaubsparadies, Steuerparadies Ein Ort des Friedens jenseits dieser Welt. Doch es kann auch etwas anders gesehen werden

 

Ich möchte von einem jungen Mann erzählen, den ich über meine Arbeit mit jungen Geflüchteten kennengelernt habe.

Ahmet stammt aus Afghanistan. Er ist sechszehn Jahre, fast siebzehn. Klein für sein Alter, schwarze Haare, immer gut frisiert und schick gekleidet, unerlässlich die roten Turnschuhe.

Ahmet wurde von seinen Eltern auf die Flucht geschickt – um sein Leben zu sichern und zukünftig auch für das Überleben der Familie im Heimatland beitragen zu können. Seine beschwerliche Flucht verlief über den Iran, die Türkei und schließlich bis nach Deutschland, wo er hier in Chemnitz als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling Aufnahme fand.

Als ich ihn kennengelernt habe, beschrieb Ahmet seine ersten Eindrücke von Deutschland so: : Ich glaube im Paradies angekommen zu sein. Alles ist hier so unglaublich reich, so offen und frei. Alles, was ich mir wünsche, ist da. Wie für mich gemacht. Verlockend.

 

Dieser junge Mann entdeckt sich selbst. Er will sich ausprobieren. Ahmet war versucht, alles Neue auszukosten.

 

Eva und Adam – Es war nicht böser Wille, als sie vom Baum der Erkenntnis aßen; die Entdeckerfreude ließ sie das Gebot überschreiten. So sind wir Menschen. Wir wollen mehr wissen, als uns zugänglich ist. Wir wollen Grenzen überschreiten und können oft nicht einschätzen, was wirklich gut ist, für uns und andere.

 

Inzwischen ist Ahmet schon einige Monate hier in unserer Stadt. Sein Bild vom Paradies hat Risse erhalten. Es ist nicht leicht, die Sprache zu erlernen, einen Schulabschluss zu erwerben und gar eine Ausbildung zu machen. . Er hatte sich sehr gewünscht, deutsche Freunde zu finden, doch die Sprachbarriere und auch große kulturelle Unterschiede scheinen das unmöglich zu machen. Ahmet spürt Ablehnung und Misstrauen, wenn er durch die Stadt läuft, oder sich in der Innenstadt mit seinen afghanischen Freunden trifft. Nicht zuletzt bekommt er immer mehr Angst vor der Zukunft; Angst davor, dass sein Asylgesuch abgelehnt wird und er zurück muss in sein Heimatland.

 

Ahmet hat Angst vor der Vertreibung aus dem Paradies, dass nicht mehr das Paradies ist.

 

Ja, wir leben jenseits von Eden. Es bestehen keine paradiesischen Verhältnisse. Nicht für den Flüchtlingsjungen Ahmet, nicht für uns alle.

 

Und doch können wir etwas tun, um unseren Wünschen für das verlorene Paradies dieser Welt etwas näher zu kommen.

 

Unsere Versuchungen heute sind anders.

Wir meinen, alles wäre ideal, wenn wir unter uns bleiben könnten; wenn es das Flüchtlingsproblem nicht gäbe. So wünschte ich mir, dass wir nicht der Versuchung unterliegen, Flüchtlinge pauschal abzulehnen

 

Wie wäre es, wenn wir sie individuelle Menschen wahrnehmen, die Hoffnungen haben wie wir, Sorgen und Ängste. Wie wäre es, wenn wir ihnen offen und herzlich entgegentreten und uns in ihre Situation hineindenken?

Das ist noch nicht das Paradies, aber es schafft sichere Orte, Orte des Friedens, vielleicht einen Anklang auf das, was verloren ging.

 

 

Immer am 5. März steht es da, das kleine kreuzförmige Holzgebäude auf dem Chemnitzer Neumarkt. Das Friedenskreuz.

Drinnen eine besinnliche Stimmung. Bilder werden nacheinander projiziert: Chemnitz vor und nach dem verheerenden Bombenangriff am 5. März 1945.

Wie würde ich die Fotos sehen, wenn ich damals hier gelebt hätte? Käme da nicht alles wieder hoch – auch der Zorn auf die Angreifer: Das haben die uns angetan.

Bild auf Bild. Nicht nur Chemnitz wird gezeigt – auch das zerstörte Warschau, Coventry…

Mir wird bewusst: Andere können auch sagen: Das haben die uns angetan.

Wieder draußen. In meinem Kopf kommen Bilder dazu, von heute – aus Afghanistan, aus Syrien, aus dem Irak, aus dem Sudan, aus Libyen, aus der Ukraine … – und die Frage: Kann bei dem, was Menschen sich gegenseitig antun, auch immer eindeutig gesagt werden, wer schuld ist? Spielt da nicht Vieles mit? – Auch die Art des weltweiten Handels mit zivilen und mit Rüstungsgütern? Der Riesenreichtum hier, die Riesenarmut da?

Die Konturen verschwimmen, die Konturen zwischen Gut und Böse, zwischen unschuldig und schuldig, zwischen Opfern und Tätern. Und diese „Abschiebe-Praxis“, ich meine diese „Schuld-Abschiebe-Praxis“ à la Adam und Eva, wird mir fragwürdig:

„Hast du nicht gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot, du sollst nicht davon essen? … – Die Frau, die du mir zugesellt hast, gab mir von dem Baum und ich aß. … – Die Schlange betrog mich, sodass ich aß. …“

Ja, sie ist menschlich, die Schuld-Abschiebe-Praxis. Doch besser wird’s mit ihr nicht. Nicht global und nicht persönlich. Eher im Gegenteil. Siehe Adam und Eva.

Ich gehe einige Schritte weiter und drehe mich um. Im Abstand erkenne ich die Kreuzform des kleinen Gebäudes deutlich. Das Friedenskreuz ist ja ein Plus, denke ich. Es steht für ein Pro und nicht für ein Contra.

Ich weiß, in dieser nichtparadiesischen Welt, jenseits von Eden, wird auch das deutliche Contra gebraucht. Ich muss Kritik aussprechen und andere auf ihre Schuld hinweisen dürfen.

Aber im Blick auf das Chemnitzer Friedenskreuz, dieses Friedens-Plus, werde ich dazu angeregt, auch jenseits von Eden das Pro, das Dafür-Sein voranzustellen.

So will ich in erster Linie Verständnis für andere entwickeln, statt vorschnell mit Schuldzuweisung zu reagieren. Und ich will für eigene Schuld einstehen, statt sie auf andere abzuschieben. Ich bin für einen „Schuld-Abschiebe-Stopp“.

Heute Abend möchte ich mit anderen zusammen am Friedenskreuz „Dona nobis pacem“ singen – „Gib uns Frieden“. So klingt dann dieser Kriegstag von 1945 aus, der in unserer Stadt zum Friedenstag geworden ist. Und über Chemnitz hinaus möge es in uns allen weiterklingen, dass Gott für alle Menschen ist – und der von ihm erbetene Frieden auch.

Improvisation

 

 

Liebe Gemeinde, liebe Hörerinnen und Hörer,

wie Adam und Eva leben auch wir jenseits von Eden, nicht mehr im Paradies. Aber wir dürfen heute hier Gottesdienst in der St. Jakobikirche feiern.

Durch die Bomben und das Feuer am 5. März 1945 wurde diese Kirche fast vollständig zerstört Jahrzehntelang stand sie als Ruine, nur vorne der Chorraum konnte als Notkirche für das Gemeindeleben genutzt werden.

Vergessen und aufgegeben war sie.

Der Kirchenraum, in dem wir uns befinden, diente als Garage, als Lagerraum – in den letzten Jahren wurde er wieder aufgebaut.

Das ist für mich ein Zeichen für Gottes Erbarmen über uns Menschen. Trotz allen Unfriedens, den wir Menschen verursachen.

Täglich ist sie geöffnet, damit jeder hier im Stadtzentrum in diese Kirche kommen kann. Eine Gruppe von Ehrenamtlichen hält sie offen.

Das wird auch gut genutzt, sobald die Tür aufsteht, kommt jemand. Zündet eine Kerze an, nutzt diesen Ort der Stille, des Friedens, um zur Ruhe zu kommen.

Die Tür steht für alle offen.

Jeder darf hier Gott suchen. Die Erfahrung machen: Er ist immer noch da.

Hier in diesem Raum erlebe ich und viele Menschen mit mir seine Nähe.

 

An das Paradies erinnert seit 600 Jahren der Chorraum hier vorne, mit seinen warmen Farben und seinem wunderbaren Gewölbe.

Das Paradies, nach dem wir uns sehnen, seit Anfang unseres Menschseins.

Der Garten Eden, den wir verloren haben, weil wir nicht nach Gottes Willen leben.

 

Aber, das sagt mir die Geschichte von Adam und Eva:

Auch jenseits von Eden bleibt Gott bei den Menschen.

Er begrenzt ihre Lebenszeit,

aber er lässt sie leben, auch

nachdem sie vom Baum gegessen haben.

 

Und nicht nur das, er hat weiterhin Interesse an ihnen, sucht sie, will im Gespräch mit ihnen bleiben und fragt nach ihrer Verantwortung. – „Adam, wo bist du?“

Damit ist die Geschichte auch die erste Erzählung von Gottes Erbarmen über uns Menschen

Das ermutigt mich, an ihm festzuhalten und weiter auf seine verändernde Kraft für mich zu hoffen

 

Sein Wort, das wir an diesem Ort hören können, seine Nähe, die wir hier erfahren, gibt uns Kraft und Mut.

 

Die Beter in Psalm 46 drücken das ganz ähnlich aus. – „Gott ist unsere Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten“.

Das singt jetzt die Agenda St. Jacob. Mit Worten und Melodien, die seit Jahrhunderten Menschen in dieser Kirche singen. Wiederholt wird, quasi als Motto, als Kehrvers: „Ist Gott für uns, wer kann gegen uns sein.“ Auf Latein Si deus pro nobis, qui contra nos.

Das ist meine Hoffnung: Gott ist nicht gegen uns. Er ist für mich, für uns alle. – Heute und jeden Tag. Amen