„Vergnügt – erlöst – befreit!“

Gottesdienst

Foto Festung Ehrenbreitstein: Ulrich Pfeuffer

„Vergnügt – erlöst – befreit!“
Ökumenischer Festgottesdienst vom Christusfest auf der Festung Ehrenbreitstein bei Koblenz
05.06.2017 - 10:05
Über die Sendung

Der Gottesdienst ist Auftakt zum Christusfest anlässlich des 500jährigen Reformationsjubiläums. „Vergnügt – erlöst – befreit!“ Das ist das Motto des ökumenischen open-air Gottesdienstes von der Festung Ehrenbreitstein bei Koblenz. Es sind Worte des Kabarettisten Hans Dieter Hüsch, er beschreibt damit Menschen, die an Gott glauben. Wie gut diese Worte zum christlichen Glauben passen, darum geht es im Festgottesdienst.

Durch den Gottesdienst führen Oberkirchenrätin Barbara Rudolph, evang. Kirche, und Dechant Thomas Darscheid, kath. Kirche. Die Predigt hält Oberkirchenrätin Barbara Rudolph. Musikalisch wird der Gottesdienst begleitet von ‚Buccinate Deo‘, Auswahlensemble im Posaunenwerk Rheinland unter der Leitung von Landesposaunenwart Jörg Häusler. Es singt „FriFra Voce“, Jugendchor des Kirchenkreises Obere Nahe unter der Leitung von Kreiskantor Roland Lißmann. Am Keyboard spielt Thomas Layes.

Dieser Gottesdienst wurde von Vertreterinnen aller Kirchen der ACK (Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen) in Rheinland-Pfalz vorbereitet. Beteiligt sind weiter Karen Wilson, Pfarrerin Herrnhuter Gemeinde; Margarete Moritz, Freikirche der Mennoniten; Dr. Jochen Wagner, Freikirche der Baptisten (Vorsitzender der ACK Südwest); Margit Ebbecke, Pastoralreferentin Kath. Gemeinde; Werner Zupp, Pfarrer evang. Kirche im Rheinland. Sie alle feiern Reformation bewusst als Christusfest gemeinsam mit allen christlichen Kirchen in der Region.

Nach diesem Gottesdienst gibt es fröhliche Kirchentagsatmosphäre mit dem Markt der Möglichkeiten auf der Festung Ehrenbreitstein. Dafür sorgen weitere inspirierende Gottesdienste und Andachten, neun Konzerte von Gospel bis Rap, sieben Theaterstücke und Musicals, drei Diskussionspodien, 15 Bewegungs- und Kreativangebote für Kinder und Jugendliche und 23 Stände kirchlicher Organisationen. Den Abschluss des Tages bildet um 17 Uhr auf der Bühne im Festungspark ein Sendungsgottesdienst mit den leitenden Geistlichen der pfälzischen und rheinischen Kirche, der ACK Südwest, der Bistümer Trier und Speyer und der Griechisch-orthodoxen Metropolie. Eintausend Luftballons mit Segenswünschen sollen dann in den Himmel steigen und die Botschaft des Ökumenischen Christusfestes in die Welt tragen.

 

Kontakt: www.christusfest-koblenz.de

Foto Festung Ehrenbreitstein: Ulrich Pfeuffer

 

Gottesdienst anhören

 

PREDIGT

Liebe Gemeinde,

 

Hoch oben, hier auf der Festung Ehrenbreitstein, am Steilhang des Ufers von Rhein und Mosel  sind wir zusammengekommen. Kirchen links und rechts des Rheins: Hier feiern wir zusammen das Reformationsjubiläum. Hier draußen -  umgeben von geschichtsträchtigen Festungsmauern, über uns der offene Himmel, um uns herum, wo die Mauern weichen, viel Natur und weiter Blick in die Landschaft - hier draußen fällt es leicht zu singen:

 

Ich bin vergnügt, erlöst, befreit.

 

Mit diesen Worten feiern evangelische Christinnen und Christen die Reformation vor 500 Jahren, aber nicht nur sie.

 

Das große Fest an diesem Pfingstmontag haben alle zusammen vorbereitet: evangelische, katholische,  freikirchliche und orthodoxe Christinnen und Christen. Wir sind überzeugt, dass der Heilige Geist, den Jesus Christus seinen Jüngern für das Pfingstfest angekündigt hat,  keine Kirchenmauern kennt und weht, wo er will.

 

Und er gibt uns auch einen neuen Blick füreinander. Weil wir unseren Blick leiten lassen von Jesus Christus. Von seinem freien und offenen Blick für die Menschen, die ihm begegnen.  So entdeckt Jesus eines Tages eine Frau in der Synagoge, wie die Bibel im 13. Kapitel des Lukasevangeliums erzählt.

 

 

Jesus lehrte in einer Synagoge am Sabbat. Und siehe, eine Frau war da, die hatte seit 18 Jahren einen Geist, der sie krank machte, und sie war verkrümmt und konnte sich nicht mehr aufrichten. Als aber Jesus sie sah, rief er sie zu sich und sprach zu ihr: Frau, du bist erlöst von deiner Krankheit! Und legte die Hände auf sie; und sogleich richtete sie sich auf und pries Gott.  Der Vorsteher der Synagoge aber war unwillig, dass Jesus am Sabbat heilte.

(Lukas 13, 10-14)

 

 

Selbstverständlich ist diese Heilung nicht. Für die Umgebung nicht, für die Frau nicht. Sie hatte einen Geist, der ihren Rücken krumm machte. So wird erzählt. Genaueres sagt die Bibel nicht. Aber dass Menschen sich krank schuften, um über die Runden zu kommen, das gibt es bis heute. Wir wissen von Kindern aus unseren Partnerkirchen in Ruanda, die vom Tragen schwerer Wasserkanister schon früh einen Rückenschaden davon tragen.

 

Wir arbeiten körperlich nicht mehr so hart. Aber Rückenschmerz ist die Volkskrankheit unserer sitzenden Gesellschaft.

 

Bei uns müssen manche Männer ein breites Kreuz haben, müssen alles wegstecken können, bis sie nicht mehr können. Im Krankenhaus habe ich Männer getroffen. Sie erzählen, wie sie bis zur Erschöpfung, bis zum Bandscheibenvorfall gearbeitet haben. Und nun spüren sie noch den Vorwurf, sich nicht genug um ihre Gesundheit gekümmert zu haben, zu wenig Sport, zu viel gegessen. Ich kenne Frauen,  auf deren Rücken werden alle möglichen Probleme ausgetragen: wenn die Personaldecke zu eng ist, springen sie ein, wenn jemand krank wird, oder gleichen mangelnde Kinderbetreuung durch Nachtschichten aus.  Es gibt Menschen die sind ständig zusammen gestaucht worden, von den Eltern, den Lehrern, dem Chef, bis sie sich nicht mehr trauen, Rückgrat zu zeigen.

 

Eine alte - und  moderne Geschichte. 18 Jahre war die Frau schon krank, von der die Bibel erzählt. Eine ganze Generation, eine gefühlte Ewigkeit. Die besten Jahre ihres Lebens.

 

Und doch ist es für sie nicht das Ende. Das Beste steht ihr noch bevor.  Sie begegnet Jesus Christus. Oder besser ausgedrückt: Jesus begegnet ihr.

 

Die Synagoge ist proppenvoll.  Jesus hat viele interessante Gesprächspartner. Diskutiert mit ihnen vielleicht über das richtige Verständnis der heiligen Schriften. Aber dann sieht er sie, findet sie.   Warum spricht er gerade sie an? Es scheint so, als suche er geradezu nach Menschen, mit deren Schicksal kein Mensch tauschen möchte. Aber er sucht nicht die Dunkelheit und das Leid, er möchte Licht ins Dunkle bringen. Weil Gottes Liebe sich in der Menschlichkeit erfüllt, der Hinwendung von Mensch zu Mensch. Das lehrt Jesus – und das tut er.  „Du bist erlöst von deiner Krankheit“, sagt er zu der Frau. Und die richtet sich auf. Geht mit erhobenem Haupt aus dem Tempel. Und tanzt und singt draußen vielleicht weiter.

 

Ich bin vergnügt, erlöst, befreit. – so hat Hans- Dieter Hüsch diesen Moment der Befreiung in Worte gefasst. Es gibt so schöne Befreiungs- Geschichten in der Bibel. Gar nicht so sehr von Helden, von bewundernswerten Menschen, aber von Menschen, die Wunderbares erleben.  Gar nicht so sehr von großartigen Menschen, aber von Menschen, die Großes erleben.

 

Menschen, die uns berühren, weil Christus sie berührt hat. Er legt der Frau die Hände auf, erzählt die Geschichte. Und wer so jemanden wie diese Frau kennt, weiß sofort: Wann hat dieser Körper zum letzten Mal liebevolle Hände gespürt. Wann hat diese Seele die ganze zärtliche Aufmerksamkeit eines anderen erfahren? Wann ist ihr jemand auf Augenhöhe begegnet?

 

18 Jahre – eine lange Zeit. Aber jetzt beginnt etwas Neues. Nach diesen unendlich langen Jahren, die sie verbogen haben, steht sie aufrecht. Jesus heilt die Frau am Sabbat. Da soll kein Mensch arbeiten. Nur Gott loben. Deshalb ist der Vorsteher der Synagoge unwillig über Jesus. Er durchbricht die gute  Ordnung- um der Frau willen. Aber dann hört der Sabbat, der Tag an dem die Menschen Gott loben sollen, ein neues, ungewohntes Loblied auf Gott. Ein Loblied auf den Schöpfer, der seine Geschöpfe nicht nur erschafft, sondern sie auch liebevoll wieder aufrichtet. So soll es sein. Jesu Wirken hört nicht auf, bis auch der letzte, die letzte die Stimme zum Lob Gottes erhebt.

 

 

Jesus richtet in der Synagoge eine Frau auf, deren Rücken viele Jahre lang verkrümmt war. Von Arbeit, von Sorge, von der Last des Lebens. Martin Luther hat sich in seinem Ringen um Gott ähnlich erlebt wie die Frau in der biblischen Geschichte.

 

Luther war überzeugt: jeder Mensch ist in gewisser Weise in sich verkrümmt.  „homo  incurvatus in se ipsum“, hat er es genannt. Der in sich verkrümmte Mensch. Jeder Mensch ist getrieben von der Angst, was aus ihm wird, ob er gut genug ist, ob er in den Augen der Anderen bestehen kann. Er kreist angstvoll um sich selber  Bis er berührt wird von der liebevollen Zuwendung Gottes.

 

 

Martin Luther hat diese Zuwendung in den Worten der Bibel gefunden.  Er hat sie studiert, er hat mit den Worten gerungen und dann in die deutsche Muttersprache übersetzt. Luther hat gesucht, was „Christum treibet“, wie er es selbst ausgedrückt hat.  Er hat Gott gesucht: die Wahrheit über sich selber, ein gerechtes Urteil, eine angemessene Beurteilung seiner Person. Und begegnete Christus. Einem Mensch gewordenen Gott.

 

 

Luther begann sich selbst zu lieben, weil  Jesus ihn aufgerichtet hat. Ihn befreit hat von der angstvollen Sorge um sich selber. Und er begann, für seine Mitmenschen zu streiten, so wie Jesus sich für die Frau eingesetzt hat. Am Ende seines schmerzlichen Erkenntnisweges hat Luther gefeiert: Christus hat mich erlöst.

 

 

Darum feiern wir heute hier gemeinsam ein Christusfest. Über alle Konfessionsgrenzen und Kirchenmauern hinweg feiern wir, dass Christus uns begegnet ist. Er hat uns berührt und seine Berührung hat uns aufgerichtet. Sie hat uns frei gemacht und darum vergnügt. Gemeinsam suchen auch wir jetzt,  was Christum treibet.

 

Der uns einen aufrechten Gang schenkt und freien Atem- er treibt uns auch an. Und wir versuchen, seinen Spuren zu folgen.

 

 

Christus geht den krummen Lebenswegen nach. Wie bei Martin Luther ist das etwas, dass zunächst und zuerst uns selbst gilt. Er stellt sich uns in den Weg. Er berührt uns gerade dort, wo wir uns selber wegducken, verkrümmen und klein machen wollen. Und er sagt: Du bist erlöst.

 

Er richtet uns auf mit seiner Kraft und inspiriert uns durch seinen Geist. Das feiern wir heute am Pfingstfest, dem Fest des Heiligen Geistes. Sein guter Geist vertreibt immer wieder die bösen Geister und hilft uns, trotz allem aufrecht zu gehen. Und wir lernen, an Wunder zu glauben.

 

Wunder- ja, die haben wir auch hier im Kirchenkreis an Nahe und Glan erlebt. Ich denke an die Partnerschaft mit unseren Brüdern und Schwestern in Ruanda. Im schrecklichen Völkermord vor 2 Jahrzehnten haben viele Kinder ihre Eltern und Familien verloren. Nun sind sie junge Erwachsene ohne Familienrückhalt. Da werden die ruandischen Gemeinden mit Hilfe der deutschen Partner zur liebevollen Ersatzfamilie. Sie  organisieren Baumaterial als Starthilfe ins Leben. Ich sehe den jungen Mann vor mir, wie er stolz und aufrecht in der Eingangstür seines selbstgebauten Hauses steht, als er uns empfängt.

 

Wunder- die erleben wir auch hier im Ruhrgebiet. Ich sehe die ältere Frau vor mir, wie sie in einer Garage steht, zwischen Kochtöpfen und Bettwäsche. Und dabei Flüchtlinge bei der Erstausstattung  berät. „Wir verschenken nichts“, sagt sie,  „wir verkaufen hier, denn Kaufen hat etwas mit Würde zu tun. Das ist für Menschen, die während der Flucht fremdbestimmt waren, wichtig. Es gibt ihnen wieder die Freiheit, eigenständig zu entscheiden. Sie gehen stolz und aufrecht von hier fort.“

 

Ich sehe den Mann im Rollstuhl vor mir, der zu mir sagt: „Ich mag nicht, wenn Leute davon reden, ich sei an den Rollstuhl gefesselt. Sehen Sie Fesseln? Nein! Mein Rollstuhl gibt mir die Freiheit, mich zu bewegen – trotz meiner Einschränkungen. Und ich finde es herrlich, dass das möglich ist.“

 

Vergnügt, erlöst, befreit – auch er.

 

Wir feiern heute ein Christusfest. Den ganzen Tag über. Dazu sind wir aus unseren Kirchen herausgekommen an die frische Luft, unter die Weite des Himmels. weil wir den aufrechten Gang üben und andere aufrichten, wo es uns möglich ist. Und weil der Geist Gottes viel größer ist, als wir es uns vorstellen können. Amen