Wessen sind wir gewiss?

Evangelischer Rundfunkgottesdienst

Bild: Gemeinde Wittenberg

Wessen sind wir gewiss?
Evangelischer Rundfunkgottesdienst aus dem Alten Rathaus in Wittenberg
31.12.2017 - 10:05
13.12.2017
Jan von Campenhausen
Über die Sendung

Zum Abschluss des Reformationsjahres lädt der Oberbürgermeister Wittenbergs ins Alte Rathaus, um das Jahr gottesdienstlich zu beschließen. Welche Gewissheiten sind gewachsen, welche sind womöglich kaputtgegangen? Wessen sind wir gewiss – allein durch Glauben? Der Gottesdienst fragt, wie Luther fragte. Die Predigt hält Pfarrer Jan von Campenhausen.

Das Alte Rathaus auf dem Markt stammt aus der Blütezeit Wittenbergs. Mit der Reformation kam der Aufschwung in die Stadt, der Vorgängerbau wurde zu klein. 1541 wurde es fertig gestellt – mit spätgotischen Bogenfenstern und Renaissance-Giebeln. Das Eingangsportal und der Glockenturm mit Sünderglocke wurde kurz danach hinzugefügt.

Neben den üblichen öffentlichen Zwecken diente der Keller des Rathauses auch als Gefängnis, das eine eigene Folterkammer hatte. Auf dem Platz vor dem Rathaus wurde Gericht gehalten und Urteile auch gleich vollstreckt.

Das erste Obergeschoss diente hauptsächlich der Repräsentation, der große Bürgersaal auch als Kaufhaus. Der Dachboden war der Kornspeicher. Die Körner waren die mittelalterlichen Steuern.

Durch vielfältige Sanierungen ist bis heute der mittelalterliche Eindruck des Hauses erhalten geblieben. Die Stadtverwaltung selbst ist im Jahre 2000 in einen Neubau umgezogen. Heute beherbergt das Alte Rathaus den großen Sitzungssaal des Stadtrates, das historische Bürgermeisterzimmer, das Trauzimmer, die Stiftung Christliche Kunst Wittenberg, die Wittenbergstiftung der evangelischen Kirche in Deutschland und weitere gemeinnützige Vereine.

Gottesdienst nachhören

 

Den Gottesdienstmitschnitt finden Sie auch direkt unter http://www.deutschlandradio.de/audio-archiv.260.de.html?drau:broadcast_id=122

Predigt zum Nachlesen

Gnade sei mit Euch und Friede, von dem der das ist, der da war und der da kommt.

 

Liebe Gemeinde,

Unser altes Rathaus ist ein altes Haus und hat schon sehr viel gesehen. Es steht im Zentrum der Altstadt am Marktplatz. Mal diente es als Lazarett und auch war mal vor dem Eingangsportal der Richtplatz. Heute sind wir im großen ehrwürdigen Sitzungssaal, wo der Stadtrat der Lutherstadt seine Entscheidungen fällt. Auch die Entscheidung, dass die Lutherstadt im zu Ende gehenden Jahr 2017 Gastgeber für das Reformationsjubiläum sein will. Manches hat dieses Gebäude kommen sehen, Bürgermeister, gekrönte Häupter, auch Margarethe II aus Dänemark im mintfarbenen Kostüm eroberte hier unsere Herzen. Sie saß hier und trank Tee, wo ich jetzt stehe und rede. - Bischöfe und Menschen wie Du und ich sind gekommen und wieder gegangen. Auch belastende Geschichte in Deutschland, sie kam und das Rathaus hat sie auch wieder gehen sehen. Auch wir sind gekommen und werden wieder werden gehen. Dieses Jahr 2017 wird sogar schon in wenigen Stunden zu Ende gehen. Wer oder was geht mit? Was bleibt?

 

Das ist klar: Ohne Gewissheit geht es nicht!

Es sind eigentlich die einzig wichtigen Fragen: „Wer oder was geht mit? Was bleibt?“ Ich höre sie, wo man sie nicht sofort vermutet: Sie kommen völlig überraschend aus dem Radio. Sie werden singend gestellt von der Bautzener Rock-Pop Band mit dem schönen Namen Silbermond. Zwischen Kurznachrichten und der aktuellen Meldung der Verkehrsblitzer. Mitten im Leben also. Da wo die wichtigen Fragen entschieden werden.

Silbermond singen ihre Texte in ihrer Muttersprache. Die wird verstanden. Gestellt wird die Frage aller Fragen: Was ist sicher? Was bleibt?

 

Gib mir'n kleines bisschen Sicherheit
In einer Welt in der nichts sicher scheint
Und gib mir in dieser schnellen Zeit irgendwas das bleibt

 

Schon klar, ohne Gewissheit geht es nicht. Mein Leben braucht eine Grundlage, einen Halt, auf den ich mich verlassen kann. Wenn ich die Sicherheit, die Gewissheit habe: „Ja, so kann es gehen, mit Dir kann ich gehen. Mit Dir geht es gut.“ Dann kann das Leben gelingen, so kann ich gut durch das Leben gehen.

So geht das Zusammenleben untereinander. So geht das Leben mit Gott.

Das haben wir erlebt, haben es auch im zu Ende gehenden Jahr 2017 hier in der Lutherstadt Wittenberg erlebt.

 

Viele erzählen immer wieder von ermutigenden überraschenden Begegnungen in der Stadt. Jeden Abend 18.00 Uhr eine Andacht hier mitten in der Stadt vor dem Rathaus. Menschen kommen zusammen: erst sehr wenige, dann wenige, dann mehr, dann ganz ganz viele. - Oder: Wir erlebten einen Roboter, der Menschen den Segen Gottes zuspricht. Aus sieben Sprachen konnte man sich auswählen in welcher Sprache man den Segen Gottes zugesprochen bekommt, darunter auch hessisch. Die vielen Gottesdienste am Reformationstag waren überfüllt, nicht nur in der Lutherstadt, sondern landauf und landab. Der Reformationstag setzte die Menschen in diesem Jahr nicht nur geistig in Bewegung, sondern auch körperlich. Die Kirchen waren „voll bis auf den letzten Platz“, „rappelvoll“ oder schlicht „überfüllt“ wie Weihnachten und Ostern an einem Tag, - berichteten deutschlandweit die Medien.

 

Auch das ist eine klare Sprache. Die Menschen sind auf der Suche, wollen was von der Gewissheit, die Luther getragen hat und die wir am Reformationstag und das ganze Jahr hindurch gefeiert haben.

 

Die Vermutung liegt nahe, dass die Liebe Gottes in die Welt gekommen ist.

Zum Leben braucht es aber mehr als einen bloßen Verdacht oder eine vage Vermutung. Es braucht schon Gewissheit. Auch was den Glauben an Gott angeht. Am besten was, was man sehen kann. So war es, als tausend Konfirmandinnen und Konfirmanden auf dem Campgelände vor der Stadt im Reformationssommer aus tiefstem Herzen singen „Näher mein Gott zu Dir“ - ihre Augen klebten dabei nicht am Handy, sondern waren geschlossen, um Zwiesprache zu halten mit ihm. Viel zu selten sind diese Momente, dass ich mir sicher bin. In solchen Momenten ist Zweifel klein und die Freude ganz groß. Da ist klar, Gott steht zu mir, ich stehe zu Gott, ich gehe mit ihm. Klar doch.

 

Manchmal gehen Gewissheiten auch zu Bruch. Im August des Reformationsjubiläums 2017 verstarb eine 25jährige Freiwillige der Weltausstellung. Aus Kolumbien war sie gekommen, um hier den Reformationssommer mit vielen anderen Jugendlichen zu erleben.

Jeden Morgen fahre ich an dem einfachen violetten Holzkreuz am Straßenrand vorbei.

Wir haben keine Glücksversicherung, so hat es eben Volontärin Zubke gesagt. Aber wir haben uns. Das ist viel. Auch dies eine gute Gewissheit, die wir mitnehmen: Gott stiftet Gemeinschaft.

Und eine zweite Gewissheit haben wir gehört: Der Segen gilt. Und er stiftet an, so hat es Sr. Hannah Maria berichtet. Und: Es lohnt sich, Durststrecken zu überstehen – auch in unserer kirchlichen Arbeit.

 

Gewiss ist auch: Wir sind verletzbar, so sagte es als Drittes unser Oberbürgermeister. Wir sind angreifbar – als Menschen, als Land, als europäische Gemeinschaft. 100%igen Schutz gibt es nicht. Kann es nicht geben. Kann es also irgendein Ereignis geben, dass uns von Gott trennt? Nein. Er trennt sich nicht von uns. Was immer kommen mag.

 

Ich kenne auch die langen Zeiten, wo ich damit beschäftigt bin, ihm und den Fragen wegzulaufen. Gott ist mir fern. Dann vergesse ich ihn, dann habe ich manchmal sogar vergessen, dass ich ihn vergessen habe. Und irgendwann versuche ich mich zu erinnern, wie es war, als ich mir sicher war. „Gott ist doch nah?“ Manchmal klappt das.

Manchmal keimt auch der Verdacht auf, dass Gott sich zurückgezogen hat, zurückgezogen aus dieser Welt. Zu oft siegt die dumme Dreistigkeit, zu oft siegt die kalte Verbitterung. Man sieht es doch: Menschen kommen doch ganz hervorragend ohne Gott aus. Oft noch besser als mancher Fromme.

 

Irrweg: Immer alles save!

Als ordentlicher Deutscher, vorausplanend und organisiert, wie Gott mich nun mal geschaffen hat, hätte ich wirklich gerne mehr Sicherheit, mehr Gewissheit. Etwas, was meinem Kleinglauben auf die Beine hilft.

 

Ungewissheit fällt mir schwer, das ist nicht meine Sache. Gerne hätte ich Gewissheit, bei den Menschen und in meinem Gott. Aber: Was gewiss ist und was nicht, ich hab es nicht in der Hand.

 

Eins wurde mir deutlicher klar: 100%ige Sicherheit kann zum Irrweg, zur Sünde werden. Eine Sünde, die ich mehr fürchten muss, als manche andere denkbare Sünden. Dies ist 100%ige Gewissheit, die keinen Zweifel zulässt. Solche Gewissheit ist der große Feind des Gemeinsamen. Sie ist der große Feind der Liebe. Gemeinsames und die Liebe brauchten Vertrauen. Damit lässt sich nicht mit Sicherheit rechnen.

Solchen Menschen seid Ihr auch schon begegnet. Menschen, die sich ihrer Sache und ihres Gottes so sicher sind, dass keine Frage offenbleibt. Waren diese Menschen einladend zur Liebe, einladend zum Glauben? Solche Menschen lassen einen kalt, machen eher Angst. Selbst Christus war sich nicht sicher: „Warum hast Du mich verlassen?“ schreit er am Kreuz hängend zum himmlischen Vater.

 

Glaube lebt, wenn er Hand in Hand mit dem Zweifel geht. Gewissheit ganz ohne Zweifel lässt keinen Raum für das Geheimnis des Glaubens und auch keinen Grund zu glauben.

 

So kann es gehen: Nichts kann uns trennen von der Liebe

Paulus sagt: „Ich bin gewiss: nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist.“ Mehr als solche Gewissheit gibt es nicht. Das haben wir 2017 erleben müssen.

Wie gehen wir also mit Ungewissheit um? „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch mein Apfelbäumchen pflanzen.“ Luther soll es ja nie gesagt haben. Trotzdem ist es zu seinem meist zitierten Wort geworden. Nach einem Klick zeigt es über 100.000 Ergebnisse bei weniger als 1 Sekunde Suche der Internet-Suchmaschine.

 

Der Satz mit dem Apfelbäumchen ist nicht von ihm, aber er bringt Luthers Haltung auf den Punkt. Er zeugt von einer geradezu unverfrorenen Sorglosigkeit: Bäume pflanzen, wenn die Gewissheit des festen Bodens gerade den Bach runter geht. Trotzig sein Liedchen zu pfeifen gegen den Wind der Zeit. Auf Gottes Liebe zu setzen.

Schwere Fragen haben keine leichte Antwort. Das wär leichtfertig. Gehst Du mit mir? – bis ans Ende mit mir?

 

Die Antwort kann das Leben geben. Ein „Ja“ mit Folgen.

Ich werde jedenfalls weiter Radio hören. Vielleicht kommt ja mal wieder eine wichtige Frage.

Die Frage will ich nicht überhören - und die Antwort erst recht nicht: „Ich bin gewiss: nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist“. Amen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

13.12.2017
Jan von Campenhausen